Wie es zum Brexit Referendum kam

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Von Euronews
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1973 – Willkommen im Club Zusammen mit Dänemark und Irland tritt Großbritannien am 1.

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1973 – Willkommen im Club

Zusammen mit Dänemark und Irland tritt Großbritannien am 1.Januar 1973 der Europäischen Wirtscahftsgemeinschaft bei. Kein leichtes Unterfangen. Bevor die konservative Regierung unter Edward Heath den Vertrag unterschreibt, muss sie jahrelang verhandeln.
Ein Rückblick: Anfang der 70er Jahre ist Großbritannien eine der ärmsten europäischen Mächte. Seine Wirtschaftsleistung liegt hinter der von Frankreich, Italien und Deutschland. Der Handel mit anderen Commonwealth-Staaten geht mehr und mehr zurück.
Bereits in den 60er Jahren hatte London Brüssel mehrmals Avancen gemacht, doch zwei Versuche scheiterten, der Gemeinschaft beizutreten. Beide Male verweigerte der französische Präsident Charles de Gaulle die Mitgliedschaft, der wegen der engen Verbindungen Londons zu Washington ein gemeinsames “Ertrinken im Atlantik” beschwor, sollte Großbritannien beitreten. Nachfolger Georges Pompidou hob das französische Veto schließlich auf und machte den Weg für Großbritannien frei.

1975 – das erste Referendum

1974 wählen die Briten eine Labour-Regierung an die Macht. Sie ist uneins, ob Großbritannien einen Platz in Europa haben solle. So kommt es im Juni 1975 zu einem Referendum, ob Großbritannien aus der Gemeinschaft austritt. Labour-Minister machen Wahlkampf für und gegen den Verbleib. Andere einflussreiche Politiker wie die damalige Oppositionsführerin Margaret Thatcher, Wirtschaftsvertreter und Medien sind für die Mitgliedschaft. Ausschlaggebend für die britischen Wähler in den inflationären 70er Jahren sind Themen wie sichere Arbeitsplätze und niedrige Preise.
Unter hoher Wahlbeteiligung stimmen zwei Drittel der Briten für einen Verbleib im europäischen Club.

1984 – “I want my money back”

Beim Referendum unterstützte sie noch überschwänglich die europäische Sache – beim Gipfel in Fontainebleau haut Premierministerin Margaret Thatcher auf den Verhandlungstisch. Großbritannien sieht sich benachteiligt, da 70% des europäischen Haushalts in die europäische Landwirtschaft fließen. Die ist in Großbritannien im Vergleich zu Frankreich oder Deutschland wesentlich schwächer ausgeprägt. Unter dem Motto „I want my money back“ erreichte sie einen Britenrabatt auf britische Beitragszahlungen an die damalige EG.
Dieser Verhandlungserfolg wird als symbolischer Sieg betrachtet – und bestimmt von nun an den Ton zwischen Brüssel und London.

1986 – Weichen für den Europäischen Binnenmarkt

Margaret Thatcher ist eine große Befürworterin der Einheitlichen Europäischen Akte, die 1986 von neun europäischen Staaten abgesegnet wird. Damit werden die Weichen für den europäischen Binnenmarkt gestellt, der 1992 in Kraft tritt. Die europäischen Staaten erhoffen sich so Vorteile angesichts von Handelsmächten wie den USA oder Japan.

Mit dem Vertrag nimmt das wirtschaftsfreundliche Großbritannien institutionelle Reformen, Veränderungen im Wahlrecht und den Verlust von staatlicher Souveränität in Kauf. In den frühen 2000er Jahren und lange nach ihrem Abschied als Premierministerin bezeichnete Thatcher die Einheitliche Europäische Akte als schrecklichen Fehler.

1988 – deutliche Worte in Brügge

In den späten 80er und frühen 90er Jahren üben britische Konservative offen Kritik an EG-Kommissionspräsident Jacques Delors. Thatcher reibt sich 1988 in ihrer Rede in Brügge an Delors Äußerung über ein neues Europa, in dem 80% der Wirtschafts- und Sozialpolitik auf europäischer und nicht nationaler Ebene entschieden werden sollen. Sie warnt in Brügge vor einem abgegrenzten europäischen Superstaat mit einem dominanten Brüssel.

In den späten 80er Jahren steht Großbritannien vor dem Dilemma, ob es dem Europäischen Wechselkursmechanismus beitreten soll, der die Wechselkursfluktuationen innerhalb spezifisch festgelegter Grenzen halten sollte. Zwei einflussreiche Minister sind dafür – im Gegensatz zu Thatcher dafür. Die Eiserne Lady wird kurz vor ihrem Abtritt überstimmt, Großbritannien tritt dem Europäischen Wechselkursmechanismus bei.

1993 – Mäkeln an Maastricht

Am 1. November tritt der kontrovers diskutierte Vertrag von Maastricht in Kraft. Es gibt neue Schnittflächen in der europäischen Zusammenarbeit wie in der Sicherheits-, Justiz- und Außenpolitik – die Geburtstunde der Europäische Union. Doch es ist keine einfache Niederkunft. Die Dänen erteilen Maastricht per Referendum eine Absage. In der Volksabstimmung in Frankreich sprechen sich die Franzosen ganz knapp dafür aus. In Großbritannien wird der Vertrag heftig im Parlament diskutiert, einige Tories rebellieren.

1997 – “Euro-Blairismus”

1997 wählen die Briten eine Labour-Regierung unter Tony Blair, die sich pro-europäischer als ihre Vorgänger zeigt. Blair ist der erste Premierminister, der nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, er spricht französisch. Es folgt ein Jahrzehnt des “Euro-Blairismus”, in dem der Regierungschef eine treibende Rolle in der Reform der EU-Landwirtschaftspolitik und bei den Verträgen von Lissabon spielt.

In den späten 90er Jahren diskutiert Großbritannien kontrovers, ob es der Euro-Zone beitreten soll. Tony Blair ist für den Euro, fürchtet aber die britische Presse. So fragte die Boulevardzeitung The Sun ein Jahr nach seiner Wahl: “Ist das (Tony Blair) der gefährlichste Mann für Großbritannien?”

Finanzminister Gordon Brown entwirft schließlich einen Fünf-Punkte-Test für die britische Wirtschaft. 2003, also vier Jahre nach der Euro-Einführung, seien die Bedingungen noch immer nicht erfüllt, verlautet aus dem zuständigen Ministerium. Die Unterstützung für den Euro verliert in Großbritannien an Schwung und versickert allmählich.

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2004 – Wir werden immer größer

2003 zieht Blair in den Krieg, um US-Präsident George W. Bush im Irak zu unterstützen. Dadurch entsteht ein tiefer Riss zwischen Großbritannien und seinen europäischen Partnern – vor allem zu Deutschland und Frankreich.

Gleichzeitig ist Blair ein Hauptunterstützer der EU-Erweiterung von 2004, als zehn neue Mitgliedsstaaten aus Mittel- und Osteuropa aufgenommen werden. Unter ihnen sind auch acht frühere Mitglieder der Sowjetunion, die nach Ende des Kalten Krieges die freie Marktwirtschaft einführen. Die bisher größte EU-Erweiterung hat Folgen für das Brexit-Referendum.

Aus Sorge vor Masseneinwanderungen dürfen die EU-Kernstaaten trotz der garantierten Bewegungsfreiheit die Einwanderung zeitweilig beschränken. Fast alle tun dies auch – bis auf Schweden, Irland und … Großbritannien, das die neuen osteuropäischen Arbeitskräfte willkommen heißt. Trotzdem ist die Immigration ein schwieriges Kapitel in Großbritannien. In den vorhergehenden Jahren endete die Reise vieler Einwanderer aus den Balkanstaaten mit dem Ziel, in Großbritannien ein neues Leben zu beginnen, in Flüchtlingslagern in Nordfrankreich.

Während frühere Schätzungen der Regierung von einigen Zehntausend Menschen ausgehen, entpuppen sich die Zahlen als höchst ungenau: Die Einwanderungszahl ist zwanzig Mal höher. Zwar tragen die Neuankömmlinge zweifellos zum Wirtschaftswachstum bei, zwar gibt es in anderen EU-Staaten prozentual mehr Einwanderer pro Kopf, doch für viele Briten belastet ihre hohe Zahl den Arbeits- und Immobilienmarkt, Schulen und das Gesundheitswesen. Vor allem aber führt es vielen Briten vor Augen, dass sie nicht ihre eigenen Grenzen kontrollieren zu können.

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2006 – Farage beflügelt die UKIP Partei

Zwei Parteien sind es, die maßgeblich das Brexit-Referendum in Großbritannien vorantreiben. Und beide Parteien haben neue Führungsfiguren mit großem Einfluss.

David Cameron wird 2005 zum Führer der konservativen Opposition gewählt. 2009 hält Cameron sein Versprechen ein, zahlreiche konservative EU-Parlamentarierer aus der konservativen Europäischen Volkspartei abzuwerben, um eine neue europaskeptische, antiföderalistische Partei zu gründen, die innerhalb von fünf Jahren zur drittstärksten Kraft im EU-Parlament wird.

Ein Jahr später wird Nigel Farage Parteichef der United Kingdom Independence Party. Oberstes Ziel von UKIP: Großbritannien aus der EU zu holen. Unter Farage wird UKIP so populär, dass die Partei bei den Europäischen Parlamentswahlen 2014 in Großbritannien die meisten Stimmen auf sich vereint.

Der große Erfolg von UKIP trägt maßgeblich dazu, dass das Referendum über den Verbleib in der EU abgehalten wird.

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2011 – Cameron allein auf weiter Flur

Die neue konservative Regierung unter Cameron setzt sich verstärkt für die Souveränität Großbritanniens ein. Das Land bleibt Gipfeln der Euro-Zone fern unter der Begründung: eine engere Integration in der EU solle Euro-Zone-Mitgliedern vorbehalten bleiben. Das britische Parlament verabschiedet den European Union Act, um der Vormacht der EU Grenzen zu setzen. Bei Machtverschiebungen zu Gunsten von Brüssel müssen künfitg Referenden abgehalten werden.

Im Dezember gehen die Streitigkeiten zwischen London und Brüssel in eine neue Runde. Auf einem Gipfel zur Eurokrise weigert sich Cameron, einen deutsch-französischen Vorstoß über Absicherungen der City of London zu unterstützen. Er blockiert Vorschläge für einen neuen EU Vertrag über steuerliche Regulierungen, was Großbritannien in die Isolierung führt. Politische Beobachter sprechen von einem Showdown zwischen London und Brüssel. Cameron hat es in der Vergangenheit versäumt, kleinere EU-Staaten, die ebenfalls wirtschaftlich liberal sind, zu Verbündeten zu gewinnen.

2013 – Die Geister, die Cameron rief

Cameron kündigt einen Referendum an, um über den Platz Großbritanniens in der reformierten EU abzustimmen. Die Verhandlungen mit Brüssel wollen die Tories führen, sollten sie die nächsten Wahlen gewinnen. Umfragen zufolge liegt die Unterstützung für UKIP in der Bevölkerung bei 10%.
Die Einwanderungszahlen steigen unaufhörlich: 2013 kommen 213.000 Immigranten nach Großbritannien. 2014 sind es 178.000 Einwanderer, Tendenz steigend.

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2016 – Der Deal ist in der Tasche, das Datum steht

Großbritannien gelingt es im Februar, der EU große Zugeständnisse abzuringen, falls es in der EU bleibt. Doch Europaskeptiker lässt der Deal kalt. Die Konservativen sind bei der Frage gespalten.

Cameron bleibt nur, den 23. Juni als Datum festzulegen und sich FÜR den Verbleib in der EU auszusprechen.

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