Brexit doch nicht so dringend: London hat keine Eile mit Artikel 50

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Von Carolin Kuter
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Dezember 2007, der damalige britische Premier Gordon Brown unterzeichnet den Vertrag von Lissabon, das EU-Regelwerk, das im Artikel 50 auch den Austritt eines Mitgliedsstaates…

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Dezember 2007, der damalige britische Premier Gordon Brown unterzeichnet den Vertrag von Lissabon, das EU-Regelwerk, das im Artikel 50 auch den Austritt eines Mitgliedsstaates regelt. Schon damals gab es viel EU-Kritik aus Großbritannien. Die Skeptiker beklagten wie auch heute den Souveränitätsverlust, vor allem beim Thema Einwanderung. Doch der Labour-Politiker Brown lehnte ein Referendum über den Vertrag ab.

Trotzdem erschien als Einziger zu spät zur Unterzeichnung. Bei der offiziellen Zeremonie mit den übrigen Staats- und Regierungschefs ließ Brown sich von Außenminister David Miliband vertreten. Der Premier unterschrieb erst im Nachhinein. Dies wurde bereits 2007 als Zeichen für die halbherzige britische Verbindung zu Europa betrachtet. David Cameron, damals bereits Tory-Vorsitzender, warf Brown vor, er würde das britische Volk betrügen, weil dieser keine Abstimmung zulassen wollte.

Knapp neun Jahre später sieht es so aus, als hätte genau solch ein Referendum Cameron die politische Karriere gekostet. Der heutige Premier hatte die Abstimmung veranlasst. Die Mehrheit stimmte am vergangenen Donnerstag für den Brexit. Weil Cameron für den Verbleib in der EU gekämpft hatte, kündigte er nach dem Referendum seinen Rücktritt an. Sein Wahlkampfversprechen, Artikel 50 nach einem Exit-Votum sofort anzuwenden, löste er jedoch nicht ein. Vor seinem Rücktritt im Oktober solle nichts passieren. Cameron: “Die Verhandlungen mit der Europäischen Union müssen unter einem neuen Premierminister oder einer neuen Premierministerin beginnen. Ich halte es für richtig, dass dieser neue Regierungschef oder neue Regierungschefin entscheidet, wann Artikel 50 angewendet wird und wann der formale und legale Prozess zum Austritt aus der EU beginnt.”

Doch nicht nur Cameron schreckt zurück vor den Geistern, die er rief. Auch das Pro-“Brexit”-Lager ist nach dem Austrittsvotum zurückhaltend. Dessen prominentester Anführer, der konservative ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson, drückte auf die Bremse: “Es gibt keinen Grund zur Eile. Wie der der Premierminister schon richtig sagte, gibt es keinen Grund, Artikel 50 zu gebrauchen.”

In dieses Horn stieß auch Finanzminister George Osborne. Er betonte, dass das Austrittsverfahren nur von Großbritannien selbst eingeleitet werden kann: “Nur das Vereinigte Königreich kann Artikel 50 anwenden. Meiner Meinung nach sollten wir das erst tun, wenn wir eine genaue Vorstellung davon haben, welche neuen Vereinbarungen wir mit unseren europäischen Nachbarn treffen wollen.”

Brüssel sieht das anders. Die Spitzen der EU machten bereits am Wochenende Druck auf eine rasche Umsetzung des Ergebnis des Referendums. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: “Wir erwarten jetzt, dass die Regierung des Vereinigten Königreichs dieser Entscheidung des britischen Volks so schnell wie möglich nachkommt, wie schmerzhaft dieser Prozess auch sein mag.”

Ähnlich äußerten sich auch die Außenminister aus sechs EU-Gründerstaaten, die sich am Wochenende in Berlin trafen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn: “Ich hoffe, dass wir kein Katz- und Mausspiel spielen werden. Das würde nicht zu Großbritannien und der Europäischen Union passen. Es muss Klarheit herrschen. Das Volk hat gesprochen. Diese Entscheidung müssen wir umsetzen.”

Der niederländische Außenminister Bert Koenders hofft auf einen Neuanfang: “Die Menschen müssen sehen, dass Europa Ergebnisse bringt, das ist der Schlüssel. Wir müssen ein neues Kapitel aufschlagen. Wir wollen kein Vakuum. Es ist wichtig, dass die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich mit gutem Willen und trotzdem so schnell wie möglich geführt werden.”

Denn Großbritannien ist nicht das einzige Land, in dem EU-Gegner mobil machen. Die Spitzen der Union schauen bereits auf Staaten wie die Niederlande oder Frankreich. Dort fordern die Rechtspopulisten Geerd Wilders und Marine Le Pen ebenfalls Referenden über die EU-Zugehörigkeit.

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