"Die Mächtigen wollten die Wahlbeteiligung nicht zu groß werden lassen"

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euronews-Reporterin Natalia Marschalkowitsch sprach mit der Politologin Tatjana Stanowaja von der russisch-französischen Handelskammer über den Ausgang der Wahl.

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euronews-Reporterin Natalia Marschalkowitsch sprach mit der Politologin Tatjana Stanowaja von der russisch-französischen Handelskammer über den Ausgang der Wahl.

euronews:
Wir beginnen mit der Wahlbeteiligung: Diese war sehr niedrig – vor allem im Vergleich zu 2011. Warum?

Tatjana Stanowaja:
Das stimmt, die Wahlbeteiligung war sehr gering und sehr viel geringer als erwartet. Dafür gibt es einige objektive Gründe. Zunächst einmal beobachten wir in der russischen Gesellschaft eine wachsende Unzufriedenheit, die mit dem Sinken der Lebensqualität und der Löhne zusammenhängt. Wir beobachten außerdem ein spürbar nachlassendes Interesse für Wahlen und für die Politik insgesamt.

Darüber hinaus gab es eine Strategie seitens der Mächtigen, um die Wahlbeteiligung nicht zu groß werden zu lassen. Über diese Fragen kann man streiten, einige Analysten bestätigen, dass die Mächtigen Bedingungen geschaffen haben, damit die Wahlbeteiligung sinkt. Das stimmt, denn das Vorziehen des Wahltermins von Dezember auf September hat für eine Atmosphäre des Desinteresses gesorgt.

Im Sommer ist es sehr viel schwieriger, die Wähler zu mobilisieren. Deshalb war der Wahlkampf aller Parteien sehr langweilig und inhaltslos. Hinzu kommt, dass die Inhalte des Wahlkampfes fern der wirklichen Interessen der Wähler lagen. Die Fragen der Entwicklung einer Strategie für das Land, die wirtschaftliche Lage und die Außenpolitik wurden außer Acht gelassen. Und selbst wenn darüber gesprochen wurde, war immer die aggressive patriotische Rhetorik das Wichtigste.

euronews:
Vielleicht hängen die Wahlergebnisse damit zusammen, denn wenn man sieht, dass wieder dieselben vier Parteien im Parlament sind und sich nur die Reihenfolge geändert hat. Die Kommunisten haben Sitze eingebüßt und die Schirinowski-Partei hat einen Sprung nach vorne gemacht.

Stanowaja:
Dass die Liberaldemokraten, die Partei von Schirinowski, ein relativ gutes Ergebnis erzielt hat, hängt zweifellos mit der Situation zusammen, die vor vier Jahren begann: Nicht mit den Ereignissen 2014 – der Ukrainekrise und der Rückkehr der Krim zu Russland – sondern mit dem, was zwei Jahre zuvor begann, als Putin wieder das Präsidentenamt übernahm. Von da an wurde aktiv mit nationalistischen Stimmungen gespielt. Man erinnere sich an den Artikel, den Putin 2012 über die besondere Rolle der russischen Nation schrieb.

In dieser Situation und angesichts der Rhetorik, die nicht seit zwei, sondern seit vier Jahren angewendet wird, ist die Schirinowski-Partei salonfähig geworden. Für die Kommunisten ist es schwieriger geworden, ihre Wählerschaft unter diesen Bedingungen zu halten, wenn man weiß, dass Diskussionen über soziale Probleme als sehr riskant eingeschätzt werden. Die Mächtigen wollen diese Diskussion nicht – selbst die anderen Parlamentsparteien spielen dieses Spiel mit.

Deshalb sind die Spielregeln bei Wahlen sehr schwierig, doch die Opposition hat sie akzeptiert, um zumindest in gleichbleibender Stärke im Parlament vertreten zu sein. Man sieht, dass diese Strategie nicht aufgegangen ist, denn die drei Parteien haben Einfluss im neuen Parlament verloren. Die Regierungspartei hat eine Dreiviertelmehrheit erreicht und ist nicht auf Partner angewiesen.

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