Gegen Bildungskluft: Mehr Geld für Lehrer, die an Problemschulen unterrichten

Gegen Bildungskluft: Mehr Geld für Lehrer, die an Problemschulen unterrichten
Von Euronews
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Frankreichs Bildungsministerin, selbst mit Migrationshintergrund, hofft, dass die jüngsten Reformen der Ungleichheit an den Schulen abhelfen.

Frankreich schwächelt im Schulwesen, Menschen aus sozial schwachen Milieus und vor allem Menschen mit Migrationshintergrund haben nicht dieselben Chancen in der Schule, im Beruf – und in der Gesellschaft. Bildungsstudien belegen, dass sich die Ungleichheit noch verschärft hat, allen Reformen zum Trotz. Wir sprachen mit Bildungsministerin
Najat Vallaud-Belkacem über die Schieflage an Frankreichs Schulen.

Sophie Claudet, Insiders:
“Frau Ministerin, jüngste Studien über das französische Schulsystem zeigen, dass Frankreich das Land mit den größten Ungleichheiten in der OECD ist, und dies seit Jahren.”

Najat Vallaud-Belkacem:
“Man muss sich dabei vor Augen halten, dass die Untersuchungen 15-jährige Schüler testen. Was man also beurteilt, ist das Schulsystem, das die Schüler in der Vergangenheit gehabt haben. Unsere Reformen traten zwischen dem letzten und diesem Jahr in Kraft. Die Kinder, die nach diesen Reformen unterrichtet werden, können also erst in sagen wir gut zehn Jahren mit diesen Tests beurteilt werden.

Un collège de l’éducation prioritaire https://t.co/mLImPFm1f3#Strasbourg#Alsacepic.twitter.com/rDoVeLNvrG

— StrassFeed (@StrassFeed) September 21, 2016

2015 haben wir nach dreißig Jahren zum ersten Mal eine echte Reform des prioritären Bildungssystems (speziell geförderte Schulen in Problemgegenden, A.d.R.) durchgeführt. Die Schulen, die dort nichts mehr zu suchen hatten, haben wir herausgenommen und andere, die bislang nicht davon profitierten, es aber verdienten, hineingenommen, damit sie eine bessere Finanzierung bekommen. Es wurde fast eine halbe Milliarde Euro zusätzlich in die prioritäre Bildung gepumpt. Die Lehrer an prioritären Schulen werden besser bezahlt, weil dort der Unterricht am schwierigsten abzuhalten ist. Und vor allem ging es um neue pädagogische Konzepte, die auf eine viel intensivere Betreuung der Schüler setzen, als dies bei Schülern außerhalb der prioritären Bildung der Fall ist.”

Éducation prioritaire. Mêmes élèves qu'au collège et pourtant les lycées sont toujours écartés du dispositif https://t.co/aB5O3tmHnjpic.twitter.com/xt4kDsydTn

— SNES-FSU (@SNESFSU) October 27, 2016

Inspiration bei Deutschland, der Schweiz und den nordischen Ländern

Sophie Claudet, Insiders:
“Man sieht bei den Ländern der PISA-Studie, die die Probleme besser in den Griff bekommen, eine bessere Lehrer-Ausbildung und Evaluation und Korrektur in Echtzeit. Gehört dies auch zu Ihrer Reform?”

Najat Vallaud-Belkacem:
“Wir haben gerade eine tiefgreifende Reform verabschiedet über die Lehrer-Laufbahn, ihre Bezahlung, ihre Beaufsichtigung und ihre Evaluierung. Und das ist sehr wichtig, denn zum ersten Mal konnten wir das Prinzip durchsetzen, dass die Lehrer, die sich am meisten engagieren, auch besser anerkannt werden als die anderen.”

Sophie Claudet, Insiders:
“Kann Frankreich sich von anderen Ländern inspirieren lassen? Ich denke da an Deutschland und Polen, die bei PISA 2000 sehr schlecht abschnitten und reagiert haben.”

Najat Vallaud-Belkacem:
“Die Reform des Collège ist ganz ehrlich sehr von dem inspiriert, was in Deutschland, der Schweiz und den nordischen Ländern gemacht wurde. Beim ganzen interdisziplinären Bereich, das heißt: Wie können verschiedene Disziplinen in einem bestimmten Moment zusammenwirken und für die Schüler Sinn machen, weil sie mit einer Stimme sprechen? Und wie lassen wir die Schüler kooperieren? Wir haben da viele Inspirationsquellen.”

WATTIGNIES : Au collège Jean-Moulin, l’éducation prioritaire n’est pas un frein à l’ambition https://t.co/mkfIv6O6a9 via lavoixdunord</a></p>&mdash; association ozp (associationozp) October 16, 2016

Sophie Claudet, Insiders:
“Kann sich Frankreich auch bei der Lehrer-Ausbildung etwas von der Schweiz oder Deutschland abgucken?”

Najat Vallaud-Belkacem:
“Da liegt mir sehr viel dran. Wir haben beschlossen, 500 neue Berufsausbildungszweige in den Branchen von morgen zu schaffen, bei denen in zehn Jahren Fachkräftemangel zu erwarten ist. Aber, ganz ehrlich, mich regt auf, dass für viele unserer Entscheidungsträger und auch in der öffentlichen Debatte die Berufsausbildung nicht so wichtig ist wie die Schul- und Hochschulbildung.”

Mehr Lehrer werden gebraucht

Sophie Claudet, Insiders:
“Was sagen Sie zur Warnung des Nationalen Rats zur Evaluierung des Schulsystems (Conseil national de l‘évaluation du système scolaire) in Frankreich, der sagt – ich zitiere: “Das französische Bildungssystem bringt sowohl das künftige Wirtschaftswachstum in Gefahr, als auch den nationalen und sozialen Zusammenhalt.”

Najat Vallaud-Belkacem:
“Ich betone noch einmal, dass da die vorangegangenen Jahre betrachtet werden, nicht das, was seit dem Regierungswechsel 2012 passiert. Wir haben vor 2012 unter massivem Stellenabbau gelitten. Ich will nicht alles auf Quantität herunterbrechen, aber wenn Sie nicht mal das Geld haben, um für jede Klasse einen Lehrer abzustellen – und wir haben gesehen, wie schwierig es ist, neue Lehrer heranzuziehen – und wenn Sie nicht mehr genügend ausgebildete Lehrer haben, wie es vor 2012 der Fall war, dann können Sie sich per Definition nicht mehr sowohl um die Schüler als auch um deren Vielfalt und Ungleichheiten kümmern.”

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