Spaniens Erholung macht etliche arm

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Von Euronews
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Arbeitslosigkeit, Hypotheken, Gelegenheitsjobs: Viele Spanier kommen trotz wirtschaftlicher Erholung kaum über die Runden

Spanien war von der Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre besonders betroffen, gehört aber heute zu den Ländern mit den höchsten Wachstumsraten in der Eurozone. Doch die wirtschaftliche Erholung geht an vielen vorbei. Armut macht vor der Mittelschicht nicht Halt. Beispiel Andalusien.

Ein Freibad in Sevilla. Die Kinder hier gehören zu den Millionen von Spaniern, die von der wirtschaftlichen Erholung des Landes kaum profitieren. Nach dem Schwimmen werden sie mit den Betreuern des Vereins “Entre Amigos” – unter Freunden – im Bus wieder nach Haus gefahren – in ihr Viertel Polígono Sul. 3.000 Wohnungen, eins der ärmsten in ganz Spanien.

Der Verein verteilt in den Sommerferien täglich an hunderte Kinder in den Schulen des Viertels Essen. Dieses Programm wurde vor drei Jahren von der regierungsunabhängigen Organisation “Educo” ins Leben gerufen. Die Nachfrage für die Essensausgabe im Sommer sei um vierzig Prozent im Vergleich zum vorigen Jahr gestiegen, sagt “Educo”-Mitarbeiter Fernando Rodríguez: “Wegen der Wirtschaftskrise wurde an allen Enden gespart, bei den Sozialausgaben, bei der Bildung und dem Gesundheitswesen. Das führte dazu, dass viele Familien versuchen, weniger Geld fürs Essen auszugeben. Man kann nicht von Hunger in Spanien reden, nein – aber man kann von Fehlernährung sprechen.”

Wird die Armut chronisch?

Mehr als vierzig Prozent der Kinder in Andalusien leben in Armut – eine der höchsten Quoten im Land. Sevilla, ein beliebtes Touristenziel, ist dennoch Spaniens fünftärmste Stadt. Armut, die sich immer mehr in der Mittelschicht breit macht. Salud Funes erlebt das am eigenen Leibe. Jetzt in den Ferien bringt sie ihre Zwillinge jeden Morgen vor der Arbeit in die Schule. Dort bietet die Organisation “Save the Children” ein Ferien-Betreuungsprogramm für die Kinder an. Ein Angebot, das Lücken des spanischen Sozialsystems schließen soll. Javier Cuenca von “Save the Children”: “Hier sind neue Familien gekommen, die ihren Besitz verloren haben, weil sie ihre Stelle verloren haben oder weil sie unter prekären Bedingungen arbeiten, und die auch keine öffentlichen Hilfen bekommen. Unsere große Sorge ist, dass diese Armut gerade chronisch wird.”

Salud wohnt mit den zwei Kindern und ihrem Mann im Haus ihrer Eltern, mit den Familien ihrer Schwester und ihres Bruders. Sie arbeitet als Haushilfe, ihr Mann ist Bauarbeiter – doch das Einkommen der beiden reicht nicht für eine Miete. Für das Essen sorgt Saluds Mutter. Saluds Ehemann war während der Krise mehrere Jahre lang arbeitslos – erst vor wenigen Monaten hat er wieder einen Job gefunden. Die Einkünfte des Paares schwanken, erzählt sie: “Im ersten Monat hat er 800 Euro verdient, im zweiten 900 und im dritten 550. Das ist eine Katastrophe – keinen Monat wissen wir genau, was wir verdienen werden. Unser Lohn hängt davon ab, wie viele Stunden wir arbeiten. Wenn ich mehr verdiene, lege ich etwas zur Seite, für die Zeit, in der ich weniger verdiene. Denn sonst gäbe es Monate, in denen wir noch nicht einmal die Rechnungen bezahlen könnten.”

Mit 53 beim Sohn untergekommen

In der Altstadt von Sevilla setzt sich Manolo Garrido bei der sogenannten “Plattform für Hypothekenopfer” für diejenigen ein, die durch die Krise ihre Wohnung oder ihr Haus an die Banken verloren haben, weil sie die Kredite nicht mehr abstottern konnten. Ehemalige Angestellte, Führungskräfte, Unternehmer – die meisten, die sich hier einfinden, lebten einst in guten Verhältnissen. Die Krise warf für sie alles über den Haufen. Überschuldet und nicht mehr in der Lage, die Raten und horrende Zinsforderungen zurückzuzahlen, wurden einige von ihnen aus dem Haus geschmissen, anderen droht die Zwangsräumung noch. “Hier finden sie Trost und Hilfe”, bekräftigt Manolo. “Und sie begreifen, dass man verhandeln kann. Wenn man die Raten nicht zurückzahlen kann, kann man eine Lösung suchen, bevor man direkt auf der Straße landet – was man ja glauben könnte.”

Celestina Velasco beschäftigte früher mehr als ein Dutzend Angestellte in ihrer Firma, die sie zusammen mit ihrem Mann führte. Doch da ihre größten Kunden nicht zahlten, konnten sie selbst auch nicht mehr ihre Bankverbindlichkeiten und Darlehen einlösen. Und machten pleite. Ihre Wohnung wurde beschlagnahmt. Die Geschäftsräume müssen zwangsversteigert werden. “Ein Gerichtsverfahren ist gerade im Gange”, erzählt sie, “damit die Bank das Geschäft beschlagnahmen kann. Und selbst wenn das Urteil gesprochen wird und die Bank die Räume bekommt, muss ich dennoch weiter meine Schulden zahlen – den Rest meines Lebens.”

Verkehrte Welt: Celestina und ihr zweiter Sohn leben heute bei ihrem Ältesten. Der ist 25 und unterstützt die Familie, mit einem Gehalt von 1.000 Euro.

Der Bankrott kostete Celestina die Ehe. Und zu der Scheidung kamen noch Depressionen. Mit 53 versucht sie, wieder hochzukommen. Gerade hat sie einen Job bei einem Unternehmen für Altenpflege gefunden – für fünfhundert Euro im Monat: “Ich habe den Job für zwei oder drei Monate, ich weiß nicht, wie lange das dauern wird. Jeden Tag suche ich Arbeit, ich höre nicht auf. Ich bitte die Sozialarbeiter um Hilfe, ich bitte bei der Caritas um Hilfe. Sie bringen mich in Kontakt mit entsprechenden Leuten, und dann verschicke ich Lebensläufe – an Restaurants, Bars, diese Art von Betrieben. Ich versuche, was zu finden.”

Armutsindizes nicht besser als zum Höhepunkt der Krise

Spaniens Wachstumsraten gehören inzwischen zu den höchsten in der Eurozone. Aber die Armutsindizes in Andalusien seien genauso schlecht wie mitten in der Krise, klagt Mariano Pérez de Ayala, Regionalchef bei Caritas. Die Sparpolitik und die Arbeitsmarktreform hätten den sozialen Missstand nur verschärft: “Wir haben ein System, das in Zeiten wirtschaftlichen Booms nur wenig die Ungleichheiten ausgleicht, und das in Zeiten der Krise viele Arbeitsplätze vernichtet und Ungleichheiten verstärkt. Die Krise hat viele soziale Errungenschaften in Europa zunichtegemacht. Wir sehen, wie sich ideologisch ein neoliberales Modell durchsetzt, das die Sozialpolitik beschneidet. Und die Arbeitsmarktreform, die seitdem durchgeführt wurde, wirkte sich zum Nachteil all der Errungenschaften der vergangenen Jahre aus.”

Seit nunmehr neun Jahren hat Asunción Campanario keine feste Stelle. Also arbeitet sie auf eigene Rechnung. Jede Woche kauft sie Kleidung bei Grossisten und verkauft sie dann auf dem Markt – aber auch unter der Hand an Nachbarn. Ohne die Hilfe einer Wohlfahrtseinrichtung käme sie kaum über die Runden mit ihren zwei Kindern und ihrer Mutter, die sie auch noch versorgen muss.

“Ich hatte mein eigenes Geschäft, ich hatte eine Bar, ich habe im Großhandel gearbeitet, ich habe Schmuck verkauft und Accessoires. Mein Mann hat ebenfalls alle Arbeit angenommen, die er finden konnte. Fahrstuhlwartung, Baustellen – wir kamen eigentlich gut aus. Solange wir bei Firmen angestellt waren, ging es uns besser, wir kamen über die Runden. Aber seit wir auf eigene Rechnung arbeiten, müssen wir mehr arbeiten und verdienen weniger.”

Am nächsten Morgen begleiten wir sie auf den Markt. “Das Geschäft läuft schlecht, es ist zu heiß”, klagt sie bei Temperaturen weit über vierzig Grad, “da sind nicht viele Leute unterwegs. Aber ich komme zurecht! Ich bin jemand, der viel redet – und so verkaufe ich auch was!”

Hoffnung auf Besserung hat sie nicht: “Das wird noch lange so weitergehen. Die Politiker werden weiter Geld stehlen und sich die Taschen vollstopfen, die denken doch nur an sich. Und wir, wir sind die letzten der Welt, die Armen, wir werden noch ärmer werden, und die Reichen noch reicher. Das war schon immer so!”

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