Bremen – Kinderbetreuung als Mittel im Kampf gegen Armut

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Jedes dritte Kind in Bremen wächst in Armut auf, jeder fünfte Bremer gilt als armutsgefährdet.

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[Partnerartikel von Sara Sundermann, Weser-Kurier]

Einerseits gute Einkommen, andererseits viele Arbeitslose und Geringverdiener: Soziale Ungleichheit kennzeichnet viele Großstädte. Im Stadtstaat Bremen wird sie besonders sichtbar. Jedes dritte Kind wächst hier in Armut auf, jeder fünfte Bremer gilt als armutsgefährdet. Das zeigten zuletzt erneut Zahlen des Statistischen Bundesamtes.

Experten wie der Bremer Sozialwissenschaftler René Böhme weisen darauf hin, dass es im kleinsten Bundesland viele Langzeitarbeitslose und viele Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung gibt. Und: Fast nirgends in Deutschland leben so viele Alleinerziehende wie in Bremen. Nur in Berlin ist ihr Anteil noch größer. Viele Alleinerziehende finden aber nur schwer einen Weg in die Berufstätigkeit und sind oft dauerhaft auf Sozialleistungen angewiesen.

Demgegenüber stehen viele Bremer, die überdurchschnittlich gute Einkommen erzielen, wie zuletzt die Arbeitnehmerkammer Bremen in einem Bericht feststellte. Spitzenverdiener finden sich demnach in der Hansestadt vor allem im Automobilbau und der Luft- und Raumfahrttechnik. Mitarbeiter bekommen hier im Schnitt monatlich mehr als 6000 Euro, Sonderzahlungen eingerechnet. Im Schnitt bekämen Bremer Arbeitnehmer im Schnitt 3755 Euro brutto im Monat, rechnet Ingo Schierenbeck, Geschäftsführer der Arbeitnehmerkammer vor, und damit 60 Euro mehr als der deutsche Durchschnittsarbeitnehmer.

Immer wieder Negativschlagzeilen über Bremen

Das Besondere: Als Stadtstaat, zu dem die beiden Städte Bremen und Bremerhaven gehören, kann Bremen selbst seine eigenen Landesgesetze beschließen. Dafür ist man im kleinsten Bundesland nicht auf eine ferne Landesregierung angewiesen. Allerdings: Die größere Selbstbestimmung hat nicht dazu geführt, dass Bremen die soziale Ungleichheit in den vergangenen Jahren besser abbauen konnte. Bremen macht immer wieder überregional Schlagzeilen durch hohe Verschuldung und schlechte Ergebnisse in nationalen Bildungstests wie dem IQB-Report.

Ein kleines Land mit viel Regen und wenig Geld, aber auch ein Badesee mitten in der Stadt, kurze Wege und viele Radfahrer: All das gehört zu Bremen. Hier im flachen Norden weht selbst im Sommer eine steife Brise. Hier gehört die Düne am Fluss, auf der einst der Dom errichtet wurde und eine mit Gras bewachsene Mülldeponie schon zu den höchsten Erhebungen.

In Bremen gibt es das weltgrößte Mercedes-Werk und eine Universität, die über die Exzellenzinitiative ausgezeichnet und gefördert wird. Die Hansestadt mit den schmucken Altbremer Häusern zieht sich schmal und flach wie eine Flunder an beiden Ufern der Weser entlang. In einigen der Rand-Stadtteile aber sind die meisten Bremer noch nie gewesen.

Auch das Familienzentrum Mobile, in dem Katharina Haucap als In-Jobberin in der Kinderbetreuung arbeitet, befindet sich in einem Stadtteil, der nicht im Zentrum liegt: In Hemelingen. Ein bürgerlicher Stadtteil, aber auch ein Stadtteil mit vielen Einwanderern, der zuletzt viel neuen Zuzug erlebt hat.
Katharina Haucap wurde früh Mutter, sie hat einen Schulabschluss, aber keine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie war Langzeitarbeitslose und eine Zeit lang alleinerziehend. Eine Ausbildung, die sie als junge Mutter nach der Schule anfing, brach sie ab, nachdem ihr die Kinderbetreuung in der Familie wegbrach, erzählt sie. Nun will sie einen neuen Anfang wagen: Durch ihre Arbeit als in der Kinderbetreuung im Familienzentrum Mobile, aber auch danach. Sie möchte ihr Fachabitur in der Abendschule nachholen und studieren.

Familienzentren wie das Mobile, in dem Haucap arbeitet, gelten als eines von vielen Werkzeugen, mit denen Armut in benachteiligten Stadtteilen bekämpft werden kann. Hier gibt es Kinderbetreuung für Eltern, die noch keinen Kita- oder Hortplatz haben. Das ist wichtig, damit Eltern die Möglichkeit haben, an Sprachkursen teilzunehmen oder einen Job anzunehmen, sagt Mobile-Mitarbeiterin Sabine Fuenzalida. Hier helfen Mitarbeiter Eltern, die noch kein Deutsch können oder Eltern, die das Anmeldesystem für Kitas nicht verstehen. Im Mobile sind zudem eine Ärztin und eine Hebamme vor Ort, um werdende Eltern zu unterstützen, und auch ältere Stadtteilbewohner kommen hier zusammen. Unter einem Dach gibt es Rat und Hilfe für verschiedene Generationen.

Das Familienzentrum ist nach eigenen Angaben in dieser Form in Bremen einzigartig, sagt Sabine Fuenzalida. Zwar gibt es insgesamt elf Häuser der Familie in Bremen, aber nicht alle könnten ein so großes Angebot machen wie das Zentrum in Hemelingen.

Kinderbetreuung ist Standortfaktor

Bremen ist international, das sieht man auch im Familienzentrum: Fast jedes zweite Kind unter sechs Jahren hat einen Migrationshintergrund. In den vergangenen Jahren kamen viele Flüchtlinge und EU-Zuwanderer nach Bremen, allein 2015 zogen rund 10 000 Menschen aus dem Ausland in die Stadt.
Die Zuwanderung und eine erhöhte Geburtenrate brachten das wenig ausgebaute Kita-System in Bedrängnis: Sechshundert Kinder bekamen im vergangenen Jahr keinen Kita-Platz, obwohl ihre Eltern ihren Rechtsanspruch auf Betreuung geltend gemacht hatten.
In den vergangenen Monaten wurden nun in Bremen vielerorts in der Stadt neue Kitas im Schnellverfahren geplant. Die Hälfte von 142 zusätzlichen Kita-Gruppen entsteht in Containern an 27 Standorten in der Stadt. Dennoch kommen vielerorts Kitas und Container später als sie benötigt werden, Eltern müssen die ersten Wochen und Monate des Kindergartenjahrs überbrücken.

Kinderbetreuung ist zu einem politischen Thema geworden, bei dem sich in Bremen nicht nur Elternvertreter und Gewerkschaften zu Wort melden, sondern auch Kirchen und Arbeitgeber einen Ausbau der Betreuung fordern. So wandte sich zum Beispiel vor einigen Monaten der Konzern AB Inbev, der das Becks-Bier braut, mit einem Brief an Bildungssenatorin Claudia Bogedan und Bürgermeister Carsten Sieling (beide SPD) und beschrieb, dass Kita-Plätze wichtig für die Brauerei seien, um Fachkräfte nach Bremen zu holen. Kinderbetreuung wird also auch zum Standortfaktor. Opposition und Regierung ringen um die Deutungsmacht, ob der rot-grün geführte Stadtstaat sich genug bemüht, bei Kitas und Schulen nachzulegen.

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