"Es gibt nach wie vor eine tiefe Spaltung zwischen Ost und West"

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Corinna Horst, Analystin beim German Marshall Fund in Brüssel, sieht das deutsche Wahlergebnis als eine Spätfolge einer nicht erfolgreichen politischen Integration Ostdeutschlands in die Bundesrepublik.

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Stefan Grobe, Euronews: Bei mir im Studio ist nun Corinna Horst, Analystin beim German Marshall Fund hier in Brüssel und dort auch stellvertretende Direktorin. Herzlich willkommen. Das Wahlergebnis brachte etwa 13 Prozent für die extreme Rechte und etwa neun Prozent für die extreme Linke. Zählt man das zusammen haben wir ein Fünftel der Bevölkerung, das die extremen Ränder unterstützt. Ist Deutschland damit ein “normales” europäisches Land geworden mit einem erheblichen Stimmenanteil für die Extremen?

Corinna Horst: Das gute Ergebnis der AfD heisst nicht unbedigt, dass die Menschen hinter diesem Parteiprogramm stehen. Es war mehr eine Protestabstimmung gegen die Arbeit der Großen Koalition der vergangenen vier Jahre. Zudem ist die AfD eine Partei mit sehr unterschiedlichen Positionen, selbst innerhalb der Parteiführung. Während Alice Weidel für Wirtschaftsliberalismus steht, ist ihr Ko-Vorsitzender Gauland ein konservativer Demagoge vom rechten Flügel.

Euronews: Wenn wir das Wahlergebnis aus der europäischen Perspektive betrachten – wir hatten Wahlen in den Niederlanden, Frankreich, jetzt Deutschland und demnächst Österreich -, dann steht Deutschland nun einer einer Reihe von Ländern wie die Niederlande und Frankreich, wo die populistischen Rechten zwar beachtliche Ergebnisse einfuhren, aber am Ende verloren. Ist das ein europäischer Trend mit einer lautstarken extremen Rechten, die keinen Einfluss auf die Regierungsgeschäfte hat?

Horst: Ich würde sagen, dass die deutsche Situation schon noch etwas anders ist. Wir haben eine besondere Geschichte, mit der wir uns stets auseinandergesetzt haben. Das gestrige Wahlergebnis ist ein weiterer Beweis dafür, dass wir auch künftig die Erinnerung an das, was in Deutschland geschehen ist, das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg, wachhalten müssen. Die Deutschen haben da eine besondere Verantwortung.

Was das Wahlergebnis aber auch zeigt, ist, dass es in Deutschland nach wie vor eine tiefe Spaltung zwischen Ost und West gibt. Ostdeutschland ist nie voll integriert worden. Die Sorgen, die die Menschen in Ostdeutschland haben und Themen, die für sie wichtig sind, sind nicht wirklich in der allgemeinen politischen Debatte beachtet worden. Ich denke, dass dies etwas ist, auf das die politischen Parteien in Deutschland wirklich eingehen müssen. Denn es ist doch merkwürdig, dass in den Ländern mit den niedrigsten Ausländerzahlen, also im Osten, die AfD ihre stärksten Ergebnisse erzielt hat. Dies ist ein Problem, das angegangen werden muss.

Euronews: Ich würde Sie gerne zu einem Kommentar über die Reaktion von Marine LePen bitten, die gesagt hat, das gute Ergebnis der AfD sei ein Beweis für das “Wiedererwachen der europäischen Völker” . Was sagen Sie dazu?

Horst: Nun, der Populismus birgt auch einen Hoffnungsschimmer, weil nämlich der Rest der Bevölkerung gezwungen wird, aufzustehen und klare Meinungsunterschiede aufzuzeigen. Wir haben ja in vielen Ländern eine bemerkenswerte Zunahme an demokratischer Zivilcourage gesehen. Marine LePen nutzt die Wahl in Deutschland natürlich, um ihr eigenes Süppchen zu kochen. Ich würde diese Scharfmacher aber nicht allzu ernst nehmen.

Euronews: Das ist ja auch nicht Brexit oder Trump, sondern auf einem sehr viel niedrigeren Niveau.

Horst: Nein, das ist es nicht. Wir werden völlig andere Debatten im Bundestag erleben, was auch gut und nötig ist. Wir hatten zu viel Konsens, nun geht es wirklich um Meinungen und den Streit darüber. Und am Ende steht die Suche nach einem Kompromiss.

Euronews: Sie haben die Geschichte schon angesprochen. Bislang hiess es oft, Deutschland sei quasi immun gegen Rechtsextremismus wegen seiner Geschichte einerseits und wegen seiner wirtschaftlichen Stärke, die jede Versuchung von rechtsaußen blockiert hat. Ist das immer noch gültig?

Horst: Nein, ich glaube nicht, dass ein Land wie Deutschland weniger anfällig für rechtsgerichteten Populismus ist. Wir leben in einer globalisierten Welt und hatten einen dramatischen Anstieg der Flüchtlingszahlen. Die Menschen haben Angst, und sie reagieren. Das ist ein Grund. Wirtschaftlich geht es Deutschland sehr gut, wovon viele Menschen profiert haben, aber eben nicht alle. Diejenigen, die im Wohlstand leben, wollen, dass es so bleibt. Und die, die sich zurückgelassen fühlen, wollen mehr. Ich denke, dass wir die Wahl unter diesen beiden Gesichtspunkten sehen müssen.

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