Pariser Anschläge: Wo stehen die Ermittlungen?

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Ein schweigender Hauptverdächtiger und Versäumnisse in der Vergangenheit. Eine Bestandsaufnahme der Ermittlungen nach den Anschlägen vom 13. November.

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Zwei Jahre nach den Massenmorden in Paris am 13. November 2015 tappt die französische Justiz bei ihren Ermittlungen in weiten Teilen im Dunkeln.
Für Opfer und Angehörige ist es eine Geduldsprobe.

130 Menschen kamen bei den Attentaten ums Leben. Mehrere Hundert Menschen wurden verletzt. Bis heute hat der französische Staat an 2579 Personen Entschädigungen gezahlt.

Salah Abdeslam: Ins Schweigen verfallen
Der einzige Überlebende des Terror-Kommandos ist der Franzose marokkanischer Abstammung Salah Abdeslam. Der 28-jähirge ist unter anderem wegen terroristischer Angriffe angeklagt und befindet sich im Gefängnis Fleury-Mérogis, nahe Paris. Doch Salah Abdeslam schweigt, Auch einen Anwalt hat er nicht mehr. Die Ermittlungen müssen ohne seine Mithilfe auskommen.

Es gibt zwar einige handfeste Beweise gegen den Hauptverdächtigen, sein Schweigen limitiert die Ermittlungen aber erheblich. Die französische Justiz befürchtet nun, dass Abdeslam sich das Leben nehmen könnte – obwohl er rund um die Uhr überwacht wird.

Ein Richter bezeichnete Abdeslams Verhalten als einen “weiteren Affront gegen die Zivilgesellschaft.” “Das einzige Mal, dass er einem Richter geantwortet hat war, als er sich einverstanden erklärte, nach Belgien gebracht zu werden”, sagte eine Mutter, deren Tochter gemeinsam mit ihrem Freundin im Bataclan getötet wurden.

Abdeslam soll nach Belgien gebracht werden, weil er dort im Zusammenhang mit einer anderen Schießerei angeklagt ist und im Dezember vor Gericht erscheinen soll.

Etliche Überlebende der Anschlage haben sich tätowieren lassen, um ihren Schmerz zu verarbeiten und als Symbol ihres Trotzes.

#13novembre Rescapés des attentats de Paris, ils se sont tatoués pour avancer https://t.co/KRsDsFbyVXpic.twitter.com/7nVfhQnwWV

— La Voix du Nord (@lavoixdunord) 4 novembre 2017

Umfangreiche Ermittlungen
Auf Anfrage von euronews erklärte die Pariser Staatsanwaltschaft, dass die Ermittlungsakte mittlerweile fast 28.000 Vermerke umfasst. Ein Ende der Untersuchungen ist nicht in Sicht.

“Die Ermittlungen bestätigen den Verdacht, dass es sich um eine sehr genau und über Monate geplante Operation handelte”, bestätigte Philippe Duperron, der Präsident des Opferverbands Life for Paris nach einem Treffen mit dem Ermittlungsrichter am 9. Oktober.

Neben Salah Abdeslam sind in Frankreich im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 13. November derzeit fünf Männer in Haft. Gegen fünf weitere wurde in Frankreich Haftbefehl erlassen. Vier von ihnen sitzen in Belgien im Gefängnis, einer in der Türkei.

Der Freund von Salah Abdeslam
Ahmed Dahmanim ist der Name des fünften, in der Türkei verhafteten Verdächtigen. Der 28-Jährige Marokkaner mit belgischer Staatsbürgerschaft ist ein Kindheitsfreund von Salah Abdeslam und Mohammed Abrini, dem „Mann mit Hut“ von den Anschlägen im Brüsseler Flughafen im März 2016.

Dahmanim soll sich um die Logistik für die Nacht des 13. November in Paris gekümmert haben. Er gilt mittlerweile als fehlendes Glied in der Ermittlungskette. In der Türkei sitzt er eine 10-jähirge Haftstrafe für Mitgliedschaft in einer Terrororganisation ab. Frankreich hat seine Auslieferung beantragt. Sollte er mit der Justiz kooperieren, könnte das die Ermittlungen entscheidend voranbringen.

Schwachstellen in der Ermittlung
“Es besteht die Möglichkeit, dass die Ermittlungen Versäumnisse der Sicherheitsdienste aufdecken, aus denen keine Konsequenzen gezogen worden”, erklärte Philippe Duperron gegenüber euronews. “Wenn die französischen Behörden ihre Arbeit gemacht hätten, wäre das nicht passiert”, bestätigt Patricia Correia, Vizevorsitzende von Life for Paris. Zu dieser Überzeugung kam sie nachdem sie das Buch von Philippe Cohen-Grillet über die Versäumnisse der französischen Behörden im Vorfeld der Pariser Anschläge las.

Für den Journalisten und Terrorismusexperten geht der Anschlag auf die Konzerthalle Bataclan auf eine andere Attacke im Februar 2009 im ägyptischen Kairo zurück. Einer der Verdächtigen erklärte damals, dass ein Anschlag in Frankreich auf den Bataclan geplant sei. Eine Information, mit der die französischen Behörden nach Einschätzung des Autors falsch umgingen, mit den Resultat, dass die Ermittlungen damals eingestellt wurden.

Der Präsident von Life for Paris spricht von einem “Krieg der Sicherheitsbehörden” und ist überzeugt: “Erklärungen zu diesen Versäumnissen werden wir nie bekommen”, so Philippe Duperron, “wir wissen, dass uns der Prozess nicht alle Antworten liefern wird”.

Ein Prozess 2020?
Vor 2020 wird in Frankreich nicht mit einem Gerichtsprozess gerechnet. Nach Informationen von euronews könnte Ermittlungsrichter Christophe Tessier seine Arbeit im Laufe des Jahres 2019 abschließen. Das wäre fünf Jahre nach den Massenmorden in Paris.

Von Christophe Garach

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