Felipe González: Trump steht weltweit für das Krebsgeschwür unserer Zeit

Felipe González: Trump steht weltweit für das Krebsgeschwür unserer Zeit
Von Ana LAZARO
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Der frühere spanische Ministerpräsident geisselt im Euronews-Interview einen Mix aus Nationalismus und Populismus.

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Er ist Spaniens Elder Statesman, hoch geschätzt von politischen Freunden und Gegnern: Felipe González, Ministerpräsident von 1982 bis 1996.

Was ist seine Einschätzung der Lage in seiner Heimat und in Europa?

Euronews sprach mit ihm in Brüssel.

ANA LÁZARO BOSCH, Euronews: Felipe González, willkommen bei Euronews.

FELIPE GONZÁLEZ: Danke sehr.

Euronews: Es sieht so aus, als habe Europa das Schlimmste der Wirtschaftskrise hinter sich, aber die Folgen sind weiterhin sichtbar. Haben Griechenland und andere südliche Länder einen zu hohen Preis bezahlt?

GONZÁLEZ: Ja, das glaube ich schon. Es wurde weitgehend eine Politik des strengen Sparens und Sanierens verfolgt. Es gab keine antizyklische Politik, höchstens die Zinspolitik von der EZB zwei Jahre später. Vieles wurde schlecht gemanagt, es wurde zu viel Geld ausgegeben und es gab zu viel unnötiges Leid und zu viele Spaltungen.

Euronews: In Spanien brachte die Krise Teilzeitverträge und Niedriglöhne. Kann das wieder geändert werden?

GONZÁLEZ: Absolut, das kann geändert werden. Aber wir brauchen Ideen und den politischen Willen. Wahr ist doch, dass das Wirtschaftsmodell der Globalisierung EInkommen nur schlecht umverteilt und größere Ungleichheiten schafft. Und zwar auch, wenn die Wirtschaft wächst. Aber wenn dieses Modell sich anpassen muss, sind die Folgen dramatisch, und das haben wir in Spanien gesehen. Der Beitrag unseres Landes zur Bewältigung der Krise waren niedrigere Löhne, unsicherere Arbeitsverhältnisse und wachsende Ungleichheiten.

Euronews: Es scheint der Sozialdemokratie in Europa, also Ihrer politischen Familie, im Moment schlecht zu gehen. Woran liegt das?

GONZÁLEZ: Wie Willy Brandt glaube ich and die ständige Erneuerungsfähigkeit der Sozialdemokratie. Ich habe gerade das Bild der Ungleichheit gezeichnet. Wenn dies der Realität entspricht, dann brauchen wir die Sozialdemokratie dringender denn je. Anders als vor 40 Jahren müssen wir heute aber neue Rahmenbedingungen der Globalisierung in Betracht ziehen, neue Abhängigkeiten, neuen Wettbewerb und selbst eine älter werdende Bevölkerung. Der Kernauftrag der Sozialdemokratie ist es, Ungleichheiten unter aktuellen Bedingungen zu bekämpfen. Was wir also jetzt brauchen ist eine korrekte Analyse und dann fundierte Lösungsvorschläge.

Euronews: In Großbritannien etwa hat Jeremy Corbyn die Führung der Labour-Partei übernommen. Ist er die Zukunft oder eine anachronistische Figur mit Positionen der Vergangenheit?

GONZÁLEZ: Ich mag das Wort Anachronismus nicht besonders. Ich glaube, dass er den alten Geist der Sozialdemokratie wiederentdeckt hat, ohne die heutige Realität von wachsenden Ungleichheiten aus dem Auge zu verlieren.

Euronews: Sehen Sie auf der heutige politischen Bühne eine Figur der wieder geborenen Neuen Sozialdemokratie?

GONZÁLEZ : Es gibt eine Persönlichkeit, die mit Wandel und Krise vorwärtsschauend umgeht, und das ist António Costa in Portugal. Wir haben ihm bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt, aber was er tut, ist interessant. Tsipras in Griechenland ist zu radikal, jedenfalls was seine Ursprünge angeht.

Euronews: In Europa gewinnt der Populismus immer mehr an Boden, selbst in Ländern mit starken Demokratien wie Frankreich, Deutschland und den Niederlanden. Wie ist das zu erklären?

GONZÁLEZ: Also, die erste Frage für die etablierten Parteien wäre: Was haben wir falsch gemacht? Es reicht nicht, die Bedrohung des Populismus herauf zu beschwören, wir müssen beweisen, dass die Populisten keine wahren Lösungen anbieten. Das Krebsgeschwür Europas heute ist eine Mischung aus Nationalismus und Populismus. Und der beste Vertreter dieser Kategorie weltweit ist Donald Trump.

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GONZÁLEZ: Ich würde sagen, dort regiert der Nationalismus. Aber es gibt eine historische Erklärung, die eine sozial-psychologische Komponente hat. Die Länder, die Sie genannt haben, haben erst sehr spät ihre nationale Souveränität wieder gewonnen nach der sowjetischen Herrschaft. Und jetzt haben sie das Gefühl, dass diese Rolle nun von Brüssel übernommen wird. Daher die nationalistische Gegenreaktion. Sie verstehen nicht, dass die Integration Europas ein Prozess geteilter Souveränität ist, nicht verlorene Souveränität. Sie sind sich dessen unsicher.

Euronews: Ich muss Sie über Katalonien befragen. Wieviel Verantwortung für die Krise hat die Regierung in Madrid und wieviel die katalanische Regionalregierung?

GONZÁLEZ: Das ist absolut nicht zu vergleichen. Die Madrider Regierung hat sicherlich operative Fehler gemacht, dazu gehört die zu späte Anwendung des Artikels 155, der einer staatlichen Garantie wie im Bonner Grundgesetz für Deutschland entspricht. Aber das lässt sich nicht vergleichen mit den Separatisten und Nationalisten in Katalonien, die schlicht und einfach einen Verfassungsbruch begangen haben. Und sie haben das im vollen Bewusstsein dessen getan, was man einen konstitutionellen Putsch nennen könnte. Die spanische Verfassung wurde in Katalonien am 6. und 7. September ausser Kraft gesetzt. An diesen Tagen wurden die katalanischen Institutionen liquidiert. Und nur die Intervention der Gerichte und der Zentralregierung haben die Verfassung wieder hergestellt.

Euronews: Eine letzte Frage. Sie haben die Intervention der spanischen Krone nach dem Militärputsch von 1981 aus nächster Nähe erlebt. Die Intervention von Felipe VI. in der Katalonien-Krise hat für eine Kontroverse gesorgt. Welche Rolle sollte die Monarchie in Spanien künftig spielen.?

GONZÁLEZ : Die Intervention des Königs im Oktober wäre vielleicht nicht nötig gewesen, wenn die Regierung früher gehandelt hätte. Aber in jener kritischen Situation war das Wort des Königs absolut notwendig und in vollem Respekt der Verfassung. Deswegen war Felipes Intervention als Staatsoberhaupt fehlerlos. War jeder damit einverstanden? Nein. Aber wahr ist, dass die Mehrheit der spanischen Bürger, die sich ein wenig führerlos vorkamen, auf diese Intervention sehr positiv reagiert hat.

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Euronews: Felipe Gonzalez, herzlichen Dank.

GONZÁLEZ: Es war mir ein Vergnügen. 

Journalist • Stefan Grobe

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