Abtreibung in Europa: Zahlen gehen zurück, aber nicht überall

Abtreibung in Europa: Zahlen gehen zurück, aber nicht überall
Von Alexandra Leistner
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In den meisten europäischen Ländern wird immer weniger abgetrieben, doch vor allem junge Frauen sind immer noch nicht ausreichend informiert.

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Großbritannien und Frankreich gelten als Vorläufer der Legalisierung von Abtreibung. Nach Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind es auch diese Länder, in denen am häufigsten abgetrieben wird: 197.922 bzw. 203.463 Fälle wurden im Jahr 2015 registriert.

Berücksichtigt man hingegen den Anteil der Abtreibungen bei Frauen im gebärfähigen Alter (15 bis 49 Jahre), steht Luxemburg ganz oben auf der Liste, dicht gefolgt von Ungarn und Großbritannien.

Die meisten Abtreibung in Europa werden laut Statistikamt Eurostat bei Frauen im Alter zwischen 20 und 24 Jahren durchgeführt. Eine Ausnahme ist Ungarn, dort finden die meisten geplanten Schwangerschaftsabbrüche bei Patientinnen im Alter von 15 bis 19 Jahren statt.

In Polen steigen die Abtreibungszahlen trotz strenger Restriktionen. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl fast verfünffacht, von 225 Fällen im Jahr 2005 auf 1.044 im Jahr 2015. In Luxemburg brachen 651 Frauen im Jahr 2015 eine Schwangerschaft ab, verglichen mit 148 im Jahr 2008. Auch in Schweden und Belgien ist in geringerem Maße ein Anstieg zu beobachten.

[Das Recht auf Abtreibung ist je nach Land unterschiedlich und hängt eng mit dem Fortschritt der Schwangerschaft ab.](Schwangerschaftsabbruch in der EU: Gleiches Recht für alle?) In Irland ist die Diskussion eines Verbots von Abtreibungen derzeit schwer umstritten.

Allgemeiner Abwärtstrend

In mehr als der Hälfte aller EU-Länder geht die Abtreibungsrate allmählich zurück. Im Osten ist dieser Rückgang drastischer: In der Slowakei und in Estland hat sich die Zahl der medizinischen Eingriffe zum Abbruch von Schwangerschaften in den letzten zehn Jahren halbiert.

Auch in konservativen Ländern wie Portugal ist dieser Trend zu verzeichnen. Dort ist Abtreibung erst seit 2007 legal. Auch in Spanien gehen die Schwangerschaftsabbrüche nach einem Boom Mitte der 2000er Jahre zurück.

In Großbritannien und Frankreich sind die Zahlen stabil. Danielle Bousquet von der französischen Gleichberechtigungsstelle betonte dennoch, die Regierung versuche, den Zugang zu Abtreibungen und objektiven Informationen für Frauen zu verbessern.

Informationsdefizit

In einem Drittel aller EU-Länder sind zwischen 10 und 15 Prozent der Frauen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO unter 20 Jahren alt.

In Großbritannien sind Schwangerschaften bei Mädchen unter 15 Jahren "auf mangelndes Wissen über Verhütung und deren Nutzung" zurückzuführen, so die British Family Planning Association, die Gesellschaft für Familienplanung. Der Zugang zu Verhütungsmitteln ist zwar kostenlos, aber ohne eine Informationskampagne hätten diese Maßnahmen nicht die gewünschten Ziele.

Sexualunterricht "fast nicht existent"

Auch die Aufklärung in den Schulen ist ein entscheidender Faktor. Diesbezüglich hat Médecins du Monde Vorbehalte gegen die spanische Regierung geäußert, die keine ausreichenden Maßnahmen ergreife. 

Bildung und Finanzierung müssten verbessert werden: "Die Umsetzung der Strategie für sexuelle und reproduktive Gesundheit ist (...) fast nicht existent, da kein Budget zur Verfügung steht", so die Nichtregierungsorganisation in einem Bericht von 2016.

Obwohl Frankreich als Vorzeigeschüler gilt, stellt der Hohe Rat für die Gleichstellung von Frauen und Männern in einem Bericht vom 13. Juni 2016 fest, dass "die effektive Umsetzung der gesetzlichen Verpflichtung in Bezug auf die Sexualerziehung Schulen noch immer selten ist". Ob Kinder Sexualunterricht erhalten, hänge demnach von der individuellen Einschätzung der Lehrer ab.

Dieses Problem betrifft auch Spanien, wo der Zugang zu Informationen laut Médecins du Monde "nicht in allen Schulen obligatorisch ist".

Sexualerziehung bleibt nach Ansicht des Europarates auch in den kommenden Jahren ein wichtiges gesellschaftliches Thema. 

Nils Muižnieks, lettischer Wissenschaftler und Kommissar für Menschenrechte, brachte 2016 seine Besorgnis über den Rückschritt der Rechte der europäischen Bürger zum Ausdruck.

Ungarn: Abtreibung mit Hindernissen

Die Situation in Ungarn ist paradox: Abtreibung ist erlaubt, aber die Regierung stellt Frauen viele Hindernisse in den Weg. Für den Zugang zu Verhütungsmitteln, einschließlich der Pille danach, ist eine ärztliche Verschreibung nötig. 

Das Recht auf Leben ab der Empfängnis ist durch die Verfassung seit 2012 garantiert. Allerdings wurde diese Entscheidung von einer Anti-Abtreibungskampagne der Regierung begleitet. Auf Plakaten war ein Fötus mit dem Slogan: "Ich verstehe, dass du nicht bereit bist für mich, aber bitte, gib mich zur Adoption frei. LASST MICH LEBEN" zu sehen. 

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Nach Angaben der ungarischen Behörden wurden die Mittel für diese Kampagne aus dem Programm PROGRESS der Europäischen Union bereitgestellt. Die Kommission forderte die Regierung in Budapest daraufhin auf, die Kampagne zu stoppen. Hier seien EU-Fördermittel zweckentfremdet worden.

In Deutschland hatte der Prozess gegen eine Ärztin aus Gießen Aufsehen erregt. Die Medizinerin erhielt eine Geldstrafe von 6.000 Euro, weil sie auf ihrer Internetseite für Abtreibungen geworben hatte.

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