Üble Beschimpfungen im Kampf um Stimmen der Kurden: Erdogan vs Demirtas

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Bei einem Wahlkampfauftritt in Diyarbakir hat der Präsident der Türkei dem inhaftierten HDP-Chef schlimme Vorwürfe gemacht.

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Bei einem Wahlkampfauftritt in der Kurdenmetropole Diyarbakir hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen den Chef der linken, mehrheitlich kurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtas, gewettert. Demirtas tritt bei der Präsidentschafts- und Parlamentswahl am 24. Juni 2018 an, obwohl er seit Monaten im Gefängnis in Edirne einsitzt, weil er des Terrorismus beschuldigt wird.

Am Samstag hatte der HDP-Vorsitzende sich auf Twitter gegen Erdogan gerichtet: "Jeden Tag diffamierst Du mich auf den Plätzen und im Fernsehen. Hier sind mir Hände und Arme gebunden. Trotzdem redest Du weiterhin hinter meinem Rücken. Aber denkst Du etwa, dass auch dem Volk Hände und Arme gebunden sind? Sie werden Dir die Antwort, die Du verdienst, am 24. Juni an der Urne geben."

Die Antwort des Präsidenten folgte am Sonntag. Erdogan machte seinen inhaftierten Herausforderer Demirtas für den Tod Dutzender Kurden mitverantwortlich. "Das Blut von 53 meiner Brüder klebt an den Händen von diesem Demirtas2, sagte Erdogan Diyarbakir. "Den Preis dafür wird er früher oder später bezahlen."

Erdogan bezog sich auf Tote bei Zusammenstößen in Diyarbakir und an anderen Orten vom Oktober 2014. Anlass war die Belagerung der kurdischen Stadt Kobane in Nordsyrien durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die  HDP hatte damals zu Straßenprotesten aufgerufen.

Erdogan rief die kurdische Minderheit dazu auf, bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen am 24. Juni ihn und seine AKP zu wählen. "Die AK-Partei will Eure Unterstützung, sie will Eure Stimmen. Wir erwarten, dass ihr uns mit all Eurer Kraft unterstützt", sagte er vor Tausenden Anhängern. "Der Staat der Kurden ist der Staat der Republik Türkei." 

Erdogan geht als Favorit in die Wahl am 24. Juni. Ob er allerdings im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit erzielt, ist Umfragen zufolge ungewiss. Demirtas werden derzeit keine Chancen eingeräumt, als Zweitplatzierter in die Stichwahl gegen Erdogan zu ziehen. 

Interview mit Demirtas

Die Nachrichtenagentur dpa hat eine Interview mit HDP-Chef Demirtas geführt.

Frage: Seit Ihrer Inhaftierung wegen Terrorvorwürfen sind eineinhalb Jahre vergangen. Wie geht es Ihnen, und wie sind die Haftbedingungen?

Selahattin Demirtas: Trotz all der Schwierigkeiten geht es mir gut und meine Stimmung ist positiv. Wir sind zu zweit in einer kleinen Zelle. Wir dürfen Radio hören, fernsehen und Zeitungen lesen. Eine Stunde in der Woche können wir unsere Familien sehen. Und wöchentlich haben wir das Recht auf insgesamt vier Stunden Sport.

Frage: Sie kandidieren bei den Präsidentenwahlen, obwohl sie inhaftiert sind. Können Sie überhaupt Wahlkampf führen?

Antwort: Ich habe hier nicht allzu viele Möglichkeiten. Die Wähler erreiche ich eher mit kleinen Botschaften, die ich ihnen über meine Anwälte zukommen lasse. Den Wahlkampf führen Millionen von Freunden, die da draußen als Freiwillige tätig sind.

Frage: Würden Sie in einer Stichwahl dazu aufrufen, den Gegenkandidaten von Amtsinhaber Erdogan zu wählen - egal, wer es ist?

Antwort: Ich bin derjenige, der beim zweiten Wahlgang dabei sein wird. Daran glaube ich und setze Vertrauen in unser Volk.

Frage: Sind die am 24. Juni zeitgleich stattfinden Präsidenten- und Parlamentswahlen aus Ihrer Sicht die letzte Chance für die Demokratie in der Türkei?

Antwort: Nein, sie sind keineswegs die letzte Chance. Der Kampf um Demokratie wird in jedem Fall weitergehen und eines Tages wird er unweigerlich siegreich beendet werden.

Frage: Präsident Erdogan sagt bei seinen Reden immer wieder, das einzige Ziel seiner Kontrahenten sei es, ihn zu stürzen. Geht es Ihrer Meinung nach auch nur darum, Erdogan zu ersetzen?

Antwort: Nein, darum geht es mir nicht. Mir geht es darum, die Demokratie gegen eine Ein-Mann-Herrschaft zu verteidigen. Das ist keine Erdogan-Feindlichkeit, sondern Antifaschismus.

Frage: Was für eine Zukunft sehen Sie für die Türkei, sollte die Opposition bei der Wahl gegen Erdogan und seine AKP scheitern?

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Antwort: Dann werden wir einen noch stärkeren politischen Kampf führen. Wir werden versuchen zu verhindern, dass der Faschismus institutionalisiert wird und der Gesellschaft noch mehr Schaden zufügt. Die AKP-Regierung ist nicht mehr imstande, Positives für die Türkei zu leisten. So kann die Türkei leider nur verlieren.

Frage: Mehrere Oppositionsparteien haben ein Bündnis für die Wahl am 24. Juni geschlossen. Warum ist Ihre HDP nicht dabei?

Antwort: Der gemeinsame Nenner der anderen Parteien ist der türkische Nationalismus. Wir als HDP haben dagegen die Vielfalt der Kulturen und Identitäten als Grundlage. Wir sind keine Nationalisten. Die anderen Parteien tun sich schwer, diese Seite von uns zu akzeptieren. Aber es wäre natürlich besser für die Türkei gewesen, wenn wir imstande gewesen wären, einen Demokratie-Block mit starken Grundsätzen zu bilden.

Frage: Wie hat das Bündnis der Regierungspartei AKP mit der ultranationalistischen MHP jene Kurden beeinflusst, die zuvor die AKP gewählt haben?

Antwort: Die Kurden machen ohnehin schon deutlich, dass sie nicht auf diesen rechten faschistischen Block angewiesen sind. Die Auswirkungen werden wir auch an den Wahlurnen sehen. Die AKP hat die Unterstützung der Kurden nun vollkommen verloren.

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Frage: Bei den Parlamentswahlen 2015 haben Sie betont, dass die HDP eine Partei für die ganze Türkei ist. In der Zwischenzeit hat sich der Kurdenkonflikt im Südosten der Türkei wieder zugepitzt. Hat die HDP dadurch vor allem Stimmen aus dem Westen des Landes verloren?

Antwort: In der Türkei gibt es keine Probleme zwischen Kurden und Türken. Es gibt ein Problem zwischen Kurden und dem Staat sowie der Regierungspolitik. Die Probleme gibt es, weil die Regierung die Kurden gewaltsam unterdrückt und nicht berücksichtigt. Aber um die daraus resultierenden politischen Folgen der HDP zuzuschreiben, betreibt sie mit Terroranschuldigungen Propaganda, die von Medien unterstützt wird. Natürlich hat das einen gewissen Effekt im Westen der Türkei. Also versuchen wir, diese falsche Wahrnehmung zu ändern und die Unterstützung der Wähler wiederzugewinnen.

Frage: Kritiker werfen der HDP, sie distanziere sich nicht genug von der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Antwort: Wir sind eine legale Partei, die vom Volk gewählt worden ist und die das Volk vertritt. Wir vertreten nicht die PKK, sondern diejenigen, die uns gewählt haben. Und was Gewalt betrifft, so ist unsere Haltung ganz klar: Wir sind dagegen und verteidigen sie nicht. Gleichzeitig sind wir dagegen, dass die Regierung durch Anwendung von Gewalt das Kurdenproblem auf ein Terrorproblem reduziert.

Frage: Sie waren stets einer der schärfsten Gegner von Erdogans Präsidialsystem, das mit den bevorstehenden Wahlen eingeführt werden soll. Was würden sie als erstes tun, sollten sie die Präsidentenwahl gewinnen?

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Antwort: Ich werde Vorreiter für eine neue Verfassung sein. Ich werde den Ausnahmezustand aufheben und schleunigst demokratische Reformen einführen. Und ich werde den Weg für den Übergang zurück in ein parlamentarisches System ebnen.

Zur Person:Selahattin Demirtas stammt aus dem Osten der Türkei und gehört der kurdischen Minderheit an. Er studierte Jura in Ankara, engagierte sich als Menschenrechtsaktivist und für die Rechte der Kurden. Seit 2007 ist er Abgeordneter. Später wurde er Ko-Vorsitzender der pro-kurdischen HDP. Schon bei der ersten direkten Wahl des Präsidenten in der Türkei im Jahr 2014 trat Demirtas gegen Erdogan an und erzielte mit 9,8 Prozent einen Überraschungserfolg. Demirtas profilierte sich mit seinem Widerstand gegen das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem. Im November 2016 wurden er und mehrere weitere HDP-Abgeordnete in Untersuchungshaft genommen. Demirtas legte den HDP-Vorsitz im vergangenen Februar nieder.

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