Santos: "Wo soll man die Grenze ziehen zwischen Gerechtigkeit und Frieden?"

Santos: "Wo soll man die Grenze ziehen zwischen Gerechtigkeit und Frieden?"
Von Ana LAZARO
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Der scheidende Präsident Kolumbiens stellt sich den Fragen von Euronews zur Zukunft seines Landes und seiner Leistung im Amt

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Nach acht Jahren als Präsident von Kolumbien scheidet Juan Manuel Santos demnächst aus dem Amt. Am 17. Juni wählt das südamerikanische Land einen Nachfolger. Was bleibt von Santos' politischem Erbe? Fragen unserer Brüsseler Korrespondentin Ana Lazaro Bosch an den scheidenden Staatschef.

Euronews: Präsident Santos, Ihre Amtszeit nähert sich dem Ende. Zu Ihren größten Leistungen zählt zweifelsohne das Friedensabkommen mit den FARC-Rebellen. Glauben Sie, dass dieser Prozess unumkehrbar ist?

Juan Manuel Santos: Niemand will zu den Schrecken des Krieges zurück. Aber zusätzlich dazu hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass in den nächsten drei Legislaturperioden kein Präsident und kein Parlament Gesetze verabschieden darf, die dem Geist der Vereinbarung widersprechen.

Euronews: Genau da ist das Problem. Die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen steht bevor, und der konservative Kandidat Iván Duque hat erklärt, er wolle die Vereinbarung ändern. Ist damit der Friedensprozess wieder in Gefahr?

Santos: Am Anfang haben er und seine Partei gesagt, die Vereinbarung annullieren zu wollen. Aber sie haben seitdem ihre Position mehrfach geändert. Jetzt wollen sie kleine Änderungen. Aber welche? Wenn die Vereinbarung dadurch verbessert wird, bitte. Aber sie können sie nicht völlig verändern.

Euronews: Der andere Kandidat ist von der Linken, Gustavo Petro. Ihm sagen einige nach, er wolle das Land auf einen Kurs à la Hugo Chavez führen - ist das möglich?

Santos: Eine solche aufschreckende Idee kursiert seit einiger Zeit. Es hatte sogar einmal geheißen, ich hätte das Land wie Chavez und Castro verjochen wollen. Mit solchen Parolen soll doch nur Angstmache betrieben werden, um bei der Wahl gut abzuschneiden.

Euronews: Lassen Sie mich nach dem politischen Preis der Vereinbarung mit der FARC fragen. Einerseits brachte sie Ihnen den Friedensnobelpreis ein, andererseits gab es im Innern scharfe Kritik, sogar von den Opfern.

Santos: Nicht so sehr von den Opfern. Diese haben mich unterstützt. Das war eine wichtige Erfahrung. Die Opfer waren die großzügigsten, weil sie nicht noch mehr Leid in der Bevölkerung wollten. Kritik ist normal, in jedem Entscheidungsprozess. Wo soll man die Grenze ziehen zwischen Gerechtigkeit und Frieden? Es wird immer eine Seite geben, die mehr Gerechtigkeit will und eine, die mehr Frieden will. Kritik wird es immer geben. Wichtig ist, dass der Friedensprozess weitergeht und unumkehrbar ist.

Euronews: Sprechen wir über die Beziehungen zwischen Kolumbien und Venezuela. Etwa eine Million Venezolaner sind nach Kolumbien geflohen. Wie gehen Sie mit dieser Flüchtlingswelle um?

Santos: Wir haben die Venezolaner mit ausgestreckten Armen empfangen, denn wir müssen Ihnen helfen. Aber gegenüber dem Regime, das diese humanitäre Krise erzeugt hat, sind wir kompromisslos.

Euronews: Ein anderes heißes Eisen in Kolumbien ist die Vernichtung der Koka-Ernte. Das war Ihre Politik, was muß nun Ihr Nachfolger tun?

Santos: Wir haben den Koka-Anbau seit 30 Jahren bekämpft, und zwar mit allen Mitteln. Doch die armen Landbauern haben vielfach keine Alternative. Wenn diese kein Koka pflanzen, was bleibt ihnen? Dank des Friedensabkommens kommen wir aber in Bereiche, die uns vorher verschlossen waren. Wir sagen den Bauern also, vernichtet Koka und pflanzt Kakao, Kaffee oder Getreide, und wir werden Euch strukturell helfen.

Euronews: Herr Präsident, vielen Dank für das Gespräch.

Santos: Ich danke Ihnen.

Journalist • Stefan Grobe

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