Säuglingsraub unter Franco: "Eine Entschuldigung reicht nicht aus"

Tausende Säuglinge wurden ihren Eltern weggenommen - Spanien arbeitet auf
Tausende Säuglinge wurden ihren Eltern weggenommen - Spanien arbeitet auf Copyright Reuters
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Von Cristina Abellan Matamoros
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Während der Franco-Diktatur sind in Spanien tausende Säuglinge aus Geburtskliniken verschwunden. Ein Interview mit einem der Opfer.

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In Spanien stand in dieser Woche ein 85 Jahre alter Gynäkologe vor Gericht, weil er ein Neugeborenes 1969 entführt und einer anderen Frau geschenkt hatte. Der fragliche Gynäkologe, Dr. Eduardo Vela, war der Mann hinter dem mutmaßlichen Baby-Diebstahlprogramm, das unter dem Franco-Regime begann und bis Mitte der 80er Jahre lief.

Euronews sprach mit Jose Maria Garcia Gonzalez, 41, der erst vor sechs Jahren herausfand, dass auch sein Schicksal mit dieser Geschichte verbunden ist.

Garcia Gonzalez wurde am 2. September 1977 in der Klinik San Ramon in Madrid geboren. Dort war der angeklagte Vela damals Direktor.

Wie haben Sie herausgefunden, dass Sie eines der gestohlenen Babys sind?

"Ich wuchs mein ganzes Leben lang in dem Glauben auf, das biologische Kind meiner Eltern zu sein. Als ich 35 Jahre alt war, sammelte ich meine Papiere zusammen, um zu heiraten. Dabei habe ich entdeckt, dass auf meiner Geburtsurkunde eine Adoption vermerkt war. Dort stand auch, dass ich in der Klinik San Ramon adoptiert wurde. Das Krankenhaus war bereits als die Klinik bekannt, die in den Skandal um gestohlene Babys verwickelt war."

"Und als ich den Namen von Eduardo Vela las, wusste ich, dass ich eines der gestohlenen Babys war. Ich trat sofort mit allen NGOs in Kontakt, die sich für die gestohlenen Babys einsetzen. Sie halten mir mit allen rechtlichen Dokumente, die ich von der Regierung verlangen konnte, um die Identität meiner leiblichen Eltern überprüfen zu können."

"Das Problem ist, dass, alles perfekt geplant war. Die wichtigten Information wurden gelöscht. Der Vorgang wurde nirgendwo dokumentiert."

"So habe ich es also herausgefunden."

José María García González

Garcia Gonzalez' Eltern erzählten ihm, wie sie in das Projekt involviert waren, nachdem sie mit Freunden aus der Kirche gesprochen hatten.

Garcia Gonzalez und Aktivisten sagen, dass die katholische Kirche eine große Rolle bei der Durchführung des Programms gespielt hat. Nonnen und Priester, sagen sie, arbeiteten mit dem Krankenhauspersonal zusammen. Es wurden gezielt Babys von jungen, armen werdenden Müttern oder Paaren, die die linke Politik im Land vertraten, genommen.

"Viele der jungen Frauen wurden von Nonnen dazu überredet, ihre Babys wegzugeben. Den meisten wurde ein totes Baby gezeigt, das ihnen nicht gehörte, um sie davon zu überzeugen, dass ihr Neugeborenes gestorben war - so stahlen sie die Babys", sagte Garcia Gonzalez.

"In den meisten Fällen wurden Mütter von Krankenhaus- und Kirchenpersonal komplett manipuliert und überredet."

"Meine Eltern hatten Kontakt zu einem Priester, der ihnen sagte, er könne ihnen ein Baby besorgen."

Und nach einer Weile bekamen sie einen Anruf von Dr. Vela.

"Ich habe einen kleinen Jungen", sagte er zu meinen Eltern, "wenn du sie ihn nicht wollen, schicke ich ihn nach Bilbao."

Seine Eltern akzeptierten ihn und so kam es zu seiner "Adoption".

Vicente Martin, Kutxateka (Fototeca de Kutxa)
Francisco Franco (Mitte) mit MilitärsVicente Martin, Kutxateka (Fototeca de Kutxa)

Franco kam 1939 an die Macht, nachdem er die republikanische Linkspartei im spanischen Bürgerkrieg besiegt hatte. Während seines Regimes versuchte Franco, Spanien vom marxistischen Einfluss zu befreien, was erklärt, wie die Praxis, Babys von linken Familien wegzunehmen, geboren wurde. Viele dieser Neugeborenen wurden an Paare gegeben, die Teil des Regimes waren, während andere Babys an Anhänger von Francos Ideologie gegeben wurden.

In den 1950er Jahren wurde das System auf arme Familien oder Paare ausgedehnt, die als "ungeeignet" für die Erziehung eines Kindes angesehen wurden. Das stand im Widerspruch zur katholischen und nationalistischen Ideologie des Regimes.

Zehn Jahre später gewann die Geschäftsidee des Programms an Dynamik, nachdem die Mitarbeiter des Systems erkannt hatten, wie lukrativ der Diebstahl geworden war.

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Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert, dass Sie ein'gestohlenes Baby' sind?

"Ich verbrachte zwei Tage ohne Schlaf und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wusste nicht, ob ich es meinen Eltern sagen sollte. Ich war einfach sprachlos und eine Weile unter Schock. Ich hatte fast einen schweren Autounfall, weil ich für ein paar Minuten das Bewusstsein verlor. Zum Glück konnte ich mich von dem Schock erholen, aber ich bin bei diesem Autounfall fast ums Leben gekommen", sagte Garcia Gonzalez.

Nachdem er zwei Nächte nicht geschlafen hatte, beschloss der 41-Jährige, seinen Eltern zu sagen, dass er die Wahrheit kannte, die "selbstverständlich sehr hart war".

"Bis heute ist das Verhältnis zu meinen Eltern sehr gut, weil sie gute Adoptiveltern waren. Aber sie haben einen großen Fehler gemacht, indem sie es mir nicht gesagt haben."

Reuters
Proteste während des Prozesses in Madrid (28.06.2018)Reuters

Aus Angst vor Ablehnung hatten Garcia Gonzalez' Eltern ihm nicht die Wahrheit über seine Herkunft gesagt.

"Das Spanien von 1977 lebte trotz des Todes des Diktators 1975 noch im Schatten Francos. So gab es im Spanien vor 40 Jahren noch eine stark patriarchalische Kultur. Eine Frau definierte sich nur als Mutter und ein Mann sollte einen guten Job haben, viele Kinder zeugen und reich werden", sagte er.

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"Menschen, die nicht in diese Kategorie fielen, wurden als schwach und minderwertig stigmatisiert. Deshalb funktionierte der (Baby-Diebstahl) Plan."

Wie haben deine Eltern reagiert, als du ihnen gesagt hast, dass du von der Adoption weißt?

"Sie begannen zu weinen und baten um Vergebung - aber es gibt Dinge, bei denen eine Entschuldigung nicht ausreicht."

"Sie hatten viel Zeit, mir die Wahrheit über meine biologische Herkunft zu sagen, und sie haben es nie getan."

Wie fühlst du dich damit, dass du deinen biologischen Eltern weggenommen wurdest?

"Es ist sehr kompliziert. Glücklicherweise war ich 35 Jahre alt, als ich es herausfand. Ich habe eine eigene Familie und lebte nicht mehr bei meinen Eltern."

"Aber offensichtlich wollte ich meine biologische Herkunft kennen, nicht nur aus praktischen Gründen. Ich könnte genetische Krankheiten haben. Aber auch für die psychische Stabilität sollte man wissen, woher man kommt."

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"Diejenigen, die ihre Herkunft nicht kennen, leiden viel. Es ebnet einen Weg des Leidens, mit dem ich bestmöglich umzugehen versuche."

Garcia Gonzalez hat keine Ahnung, wer seine biologischen Eltern sind. Er hat DNA-Tests an verschiedenen Orten in der Welt durchgeführt - zwei Labors in Spanien und ein Labor in den USA - aber es war unmöglich, seine Eltern ausfindig zu machen.

Verfolgen Sie eine Klage gegen Vela?

"Ja, ich habe einen guten Anwalt angeheuert, um meinen Fall aufzubauen, aber da meine Geburtsurkunde besagt, dass ich adoptiert wurde, aber keine Informationen über meine biologische Familie enthält, gibt es nicht genug Beweise, um Dr. Vela zur Verantwortung zu ziehen."

"Meine leibliche Mutter müsste eine Aussage machen, die besagt, dass man sie betrogen hat, um mich wegzugeben."

Was halten Sie von dem Prozess gegen Vela?

"Ich bin glücklich, weil es ein moralischer Sieg ist. Die Leute denken, dass wir nur Geld wollen, aber was wir wirklich wollen, sind drei Dinge: Wahrheit, Gerechtigkeit und Reparatur."

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"Wir wollen wissen, wer unsere Eltern sind. Wir wollen Gerechtigkeit und die Verantwortlichen für das Programm ins Gefängnis bringen. Und wir wollen den Schaden wiedergutmachen."

Garcia Gonzalez glaubt jedoch nicht, dass es am Ende Gerechtigkeit geben wird.

"Ich weiß, dass nichts getan wird, weil diese Leute sehr geschützt sind und zu reichen, mächtigen Lobbys gehören. Sie kontrollieren das Justizsystem und wir werden nichts tun können."

"Ich hoffe, falsch zu liegen, aber ich glaube nicht, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird."

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