Europäischer Bürgerpreis für italienisches Flüchtlingsprojekt

Europäischer Bürgerpreis für italienisches Flüchtlingsprojekt
Von Giorgia Orlandi
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In einer Zeit, in der die Migrationspolitik Europa spaltet, ist das Konzept eines italienischen Paares mit dem Europäischen Bürgerpreis ausgezeichnet worden. Es hat vorgemacht, wie eine Familie sechs Flüchtlinge aufnehmen und sie bei der Integration in die Geschichte unterstützen kann.

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Auf dem Weg nach Camalò, einem kleinen italienischen Ort in der Nähe von Venedig. Hier wohnen Antonio Calò und Nicoletta Ferrara. Vor drei Jahren hat das Paar sechs Flüchtlinge aus Afrika bei sich aufgenommen. Sie sind alle um die zwanzig und damit etwa so alt wie ihre vier Söhne. Das Europäische Parlament wird dem Projekt den diesjährigen Europäischen Bürgerpreis verleihen.

Mehr als ein Dach über dem Kopf

Giorgia Orlandi, Euronews-Reporterin: "Sahiou, Mohammed, Braima, Siaka, Tidja, Saeed, das sind die Namen der jungen Männer, die in diesem Haus vor drei Jahren ein neues Leben begonnen haben. Sie alle haben den gefährlichen Weg über das Mittelmeer überlebt. Die Familie hat den sechs nicht nur ein Dach über dem Kopf gegeben, sondern ihnen auch die notwendigen Kenntnisse vermittelt, die für eine Integration in die Gesellschaft nötig sind. Inzwischen haben alle einen Arbeitsplatz. Gehen wir rein, um mehr zu erfahren."

Das Unterkunftskonzept geht von der Idee aus, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Anzahl von Flüchtlinge und der Gesamtbevölkerung bestehen sollte. Außerdem werden Fachleute einbezogen. Sie haben die Aufgabe, die Gruppen von jeweils sechs Flüchtlingen zu begleiten, etwa wenn es um Arztbesuche geht. In einer Zeit, in der die Migrationspolitik Europa spaltet, wird die Idee dafür ausgezeichnet, dass sie den Dialog zwischen den Menschen stärkt.“

Siaka: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal in einer italienischen Familie leben würde. Wir bekommen den Preis, weil alle dachten, dass das niemals funktioniert. Aber wir haben bewiesen, dass es möglich ist."

"Wir fühlten uns ohnmächtig"

Antonio und Nicoletta sind beide Lehrer. Sie leben in einem Haus, das Teil einer Kirchgemeinde ist. In den ersten Monaten wurde ihr Projekt sowohl durch die EU als auch nationale Mittel finanziert. An der Organisation war eine lokale NGO beteiligt.

Antonio Calò: "Es fällt sehr schwer, das menschliche Mitgefühl zu unterdrücken, sowohl gesellschaftlich als auch als Christ. Eines Tages, es war der 18. April 2015, als viele Flüchtlinge auf dem Meer ums Leben gekommen sind, fühlten wir uns ohnmächtig. Wir haben einen inneren Schrei gehört: 'Ihr müsst etwas tun!'"

Nicoletta Ferrara: "Unsere ersten Abendessen waren voller Emotionen. Die Jungs waren so glücklich, von einer Familie begrüßt zu werden. Sie haben uns sofort Mama und Papa genannt."

Antonio Calò und Nicoletta Ferrara haben für ihr Flüchtlingsprojekt den Europäischen Bürgerpreis erhalten.

Obwohl in der Region Venezien relativ viele Menschen leben, etwa 90.000, ist es sehr schwer, Einrichtungen zu finden, die Flüchtlinge aufnehmen. Soziale Integration ist hier aufgrund politischer Entscheidungen sehr schwer.

Giovanni Manildo, ehemaliger Bürgermeister von Treviso: "Zu oft wurden Immigrationsthemen mit Vorurteilen behandelt. Ich denke, die einzige Möglichkeit damit umzugehen, ist es, wenn jeder Einzelne seine Rolle wahrnimmt – ob auf der europäischen Ebene, der nationalen oder der lokalen, also innerhalb der Gemeinde. Und das ungeachtet der politischen Einstellung."

Geschäfte mit überfüllten Wohnheimen

In Venezien war das Modell des Paares nicht nur mit Kritikern in der Gemeinde konfrontiert, sondern auch mit politisch Andersdenkenden, insbesondere aus der Anti-Immigrationspartei. Sie hat bei den letzten Wahlen die meisten Stimmen erhalten. Kürzlich wurde ein Mitglied der Partei zum Bürgermeister von Treviso gewählt.

Roberto Ciambetti, Präsident des Regionalparlaments von Venezien: "Wir haben hier furchtbare Beispiele: überfüllte Wohnheime, manchen machen ein Geschäft damit. Die Gemeindeverwaltungen haben schon Probleme damit, sich darum zu kümmern. Wir können sie nicht um Dinge bitten, die zu Ungleichheiten zwischen Bürgern führen würden."

Migranten als Chance

Don Baratto leitet das Projekt “Migrantes”. Außerdem ist er Präsident des Giavera Festivals, das den Dialog zwischen Einheimischen und Migranten fördern will. Für ihn sind Migranten eine große Chance, insbesondere in Zeiten des demografischen Wandels.

Don Baratto: "Hier in Treviso gibt es mehr als 90.000 ausländische Bürger. Wir wundern uns, warum wir nicht über sie sprechen, sondern nur über die 2.000 Migranten, die vorübergehend aufgenommen werden und Asyl beantragt haben."

Den Preis werden Antonio Calò und Nicoletta Ferrara im September in Florenz entgegennehmen. Im Oktober gibt es nochmals eine Ehrung in Brüssel. Verliehen wird der Europäische Bürgerpreis des Europaparlaments seit 2008. Ausgezeichnet werden Bürger und Organisationen,  die das gegenseitige Verständnis und die Integration innerhalb Europas fördern. Im Fokus stehen Projekte, die sich für europäische Zusammenarbeit, Solidarität und Toleranz innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus engagieren.

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