Biegt Schweden rechts ab? Alle Infos zur Wahl am 9. September

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Von Euronews
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Die schwedische Bastion der Sozialdemokratie könnte nach der Wahl "in Schutt und Asche" liegen, meinen Experten.

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Die Schweden wählen am 9. September eine neue Regierung, und die könnte einen Bruch mit der Vergangenheit bedeuten.

Wir haben die wichtigsten Infos zur Schweden-Wahl gesammelt und liefern Antworten zu den neun brisantesten Fragen:

1. Warum sollte mich die Wahl in Schweden interessieren?

Wie anderswo in Europa zeichnet sich auch in Schweden in letzter Zeit eine scharfe Wende zum Populismus ab. Sie kommt in Form von den Schwedendemokraten: Umfragen zufolge könnten die rechten Nationalisten bis zu 28,5% der Stimmen erhalten.

Sollte diese Partei an die Macht kommen, könnte Schweden seine Beziehungen zu Brüssel verändern und eine Schwächung der Gewerkschaft erwirken.

Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass Fragen des Klimawandels zum ersten Mal in Schweden auf die politische Tagesordnung kommen. Experten sagen, dass die jüngste Serie von Waldbränden in Schweden die globale Erwärmung vorangetrieben hat.

2. Wer sind die Schlüsselfiguren?

Sozialdemokraten: Der Hauptakteur in Schwedens aktueller Mitte-Links-Koalition mit den Grünen stellt auch den jetzigen Ministerpräsidenten Stefan Lofven. Für viele sind die Sozialdemokraten aber der Moloch der schwedischen Politik, da sie seit einem Jahrhundert immer als größte Partei bei den Wahlen hervorgegangen sind. Aber wird sich das jetzt ändern?

Moderate Partei: Die Mitte-Rechts-Bewegung, die sich für die Schaffung von Arbeitsplätzen und niedrigere Steuern einsetzt, hatte die Sozialdemokraten 2006 von der Regierung verdrängt und war acht Jahre lang an der Macht gewesen.

Schwedendemokraten: Die populistische Anti-Immigrationspartei, angeführt vom smart gekleideten Jimmie Akesson, ist auf dem besten Wahlkampfkurs aller Zeiten. Falls sie etwa 25% der Stimmen erhält, wie einige Meinungsumfragen diesen Sommer suggeriert haben, würde die Partei ihren rasanten Wachstumstrend fortsetzen und, wie bei den letzten Wahlen, ihren Stimmenanteil verdoppeln.

Die Grünen: Die Umweltschützer sind vor vier Jahren zum ersten Mal an die Macht gekommen und bilden momentan mit den Sozialdemokraten eine Minderheitsregierung. Werden sie unter der Regierungsverantwortung leiden oder davon profitieren, dass der Klimawandel seit dem von Waldbränden heimgesuchten Sommer immer mehr an Bedeutung gewinnt?

Andere Parteien: Es gibt die liberale und ländliche Zentrumspartei, die Anti-EU und ehemalige kommunistische Linkspartei, die Liberalen, die Christdemokraten, die Feministische Initiative und die rechtsextreme nordische Widerstandsbewegung.

3. Was sagen die Umfragen?

Die letzten Umfragen sagen den regierenden Sozialdemokraten einen Anteil von nur 21% der Stimmen voraus - 10% weniger als bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2014. Das würde das schlechteste Ergebnis der Partei seit mehr als einem Jahrhundert bedeuten.

"Wenn man über Schweden oder Skandinavien spricht, verbindet man diese Länder mit der Sozialdemokratie", sagte Patrik Öhberg, Experte für schwedische Politik an der Universität Göteborg.

"Aber es sieht so aus, als würde diese Ära jetzt enden. Wir haben uns anderen europäischen Ländern angeglichen. Schweden ist eine Bastion der Sozialdemokratie, die bald in Schutt und Asche liegen könne. Etwas Großes geht hier vor."

Hauptnutznießer des Einbruchs der Mitte-Links-Koalition dürften die rechtsextremen Schwedendemokraten sein, die laut einigen Umfragen 28,5% der Stimmen erhalten werden, was mehr als einer Verdoppelung des Ergebnisses von vor vier Jahren entspricht. Damals war der Höhepunkt der sogenannten europäischen Flüchtlingskrise erreicht worden.

Die Umfragewerte seit 2014:

4. Warum setzt Schweden mehr denn je auf die extreme Rechte?

Das Land hat eine relativ niedrige Arbeitslosigkeit, der Wohlstand pro Person liegt über dem EU-Durchschnitt und Schweden gehört zu den zehn glücklichsten Ländern der Welt. Das skandinavische Land hat es wohl noch nie so gut gehabt.

Warum also sind die Schweden bereit, den etablierten Parteien den Rücken zu kehren und die aufkeimenden Schwedendemokraten zu unterstützen?

"Die Menschen wählen die Schwedendemokraten aus genau einem Grund: der Einwanderung", meint Öhberg.

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Für Sverker Gustavsson, einen Politikwissenschaftler von der Universität Uppsala, gehen die Gründe aber noch tiefer:

"Die schwedische Wirtschaft funktioniert derzeit sehr gut und die Arbeitslosigkeit ist niedriger als in den meisten anderen Ländern", sagte er. "Aber es geht um etwas anderes: Es geht um Unzufriedenheit und hohe Erwartungen. Viele Menschen denken, dass die Politik nicht das liefert, was sie liefern sollte.

Das Wichtigste ist - und dabei läuft es ähnlich wie beim Brexit in Großbritannien oder bei Trump in den USA - dass die Menschen sich kulturell nicht zu Hause fühlen, sie bezweifeln, dass wir auf dem richtigen Weg sind."

5. Warum ist die Einwanderung so ein großes Thema?

Es ist ein Vermächtnis der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015, als Schweden eine Rekordzahl von 163.000 Asylbewerbern aufnahm:

Bis zu diesem Zeitpunkt war das Land mit seinen 10,1 Millionen Einwohnern ein Leuchtturm des Liberalismus in Europa gewesen. Seine Flüchtlingspolitik war früher sehr offen.

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Doch das änderte sich mit dem Zustrom vor drei Jahren, als die Pro-Kopf-Asylanträge des Landes die zweithöchsten in der EU ausmachten.

Die schwedische Minderheitsregierung vollzog eine dramatische Kehrtwende, indem sie vorübergehende Grenzkontrollen einführte und die Regeln für künftige Ankünfte verschärfte:

Das habe zwar den Strom gebremst, aber die Glaubwürdigkeit der regierenden sozialdemokratisch-grünen Koalition nicht gerettet, so Öhberg.

"Lange Zeit war die zentrale Aussage: `Diese Einwanderung ist kein Thema, du bist rassistisch, wir sollten nicht darüber reden, es ist eine Win-Win-Situation", meinte Öhberg im Gespräch mit Euronews. "Dann müssen sie plötzlich sagen: 'Oh, wir lagen falsch.'

Die Einwanderung ist sehr wichtig und wir reden immer mehr darüber. Die Menschen sind mehr und mehr besorgt. Für so lange Zeit war das Thema abgelehnt worden oder die Gesetze waren liberalisiert worden."

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6. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kriminalität?

Schweden setzt sich zwar für die Integration von Flüchtlingen in die Gesellschaft ein - es gibt sogar eine Website, um Neuankömmlingen zu helfen - aber es gibt einige beunruhigende Statistiken darüber, wie wenig effektiv die Bemühungen bisher waren.

Beispielsweise lag die Arbeitslosenquote unter den Schweden im vergangenen Jahr bei 4,4%, im krassen Gegensatz zu 15,3% Arbeitslose unter den im Ausland geborenen Staatsangehörigen:

Darüber hinaus ist die Zahl der Waffenmorde in den letzten Jahren stark angestiegen und erreichte 2017 mit 43 Toten ein 11-Jahres-Hoch.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass dies etwas mit dem Zustrom von Asylbewerbern im Jahr 2015 zu tun hat, aber die organisierte Kriminalität und Gewalt wird als ein Problem in den einwanderungsreichen Vororten der schwedischen Großstädte betrachtet.

In den gleichen Gebieten ist in den letzten Monaten auch die Zahl der Handgranatenangriffe gestiegen. Außerdem hat eine Serie von Autobränden diese Gegenden heimgesucht.

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"In Stockholm, Göteborg und Malmö gibt es Probleme mit brennenden Autos, Schießereien und so weiter", sagte Professor Gustavsson.

"Aber man sollte es nicht übertreiben, denn im internationalen Kontext ist es nicht so dramatisch. Aber im schwedischen Kontext ist es durchaus beachtenswert, weil wir so etwas vorher noch nie erlebt hatten.

In mancher Hinsicht gibt es natürlich einen Zusammenhang zwischen Gewaltverbrechen und Einwanderung. Es hat etwas damit zu tun, dass es zuletzt schwierig war, alle Neuankömmlinge zu integrieren. Trotzdem ist es stark überzogen, weil wir viele Flüchtlinge aus den Balkankriegen der 90er Jahre integriert haben und bis vor ein paar Jahren der Konsens bestand, dass wir sehr erfolgreich damit waren.

Aber jetzt hat sich die Situation verändert: Nach jeder Schießerei kommt das Argument, dass wir nie so viele Einwanderer hätten reinlassen sollen.

Die Linken hingegen habe die Einstellung vertreten, dass der schwedische Sozialstaat auf lange Sicht viele junge Leute braucht, um ihn zu erhalten."

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7. Wie läuft der Wahlkampf?

Zwei Brände haben den bisherigen Wahlkampf dominiert, so Öhberg.

"Die umweltfreundlichen Parteien haben nach dem Ausbruch der jünsten Waldbrände in Schweden mehr Unterstützung erfahren, wodurch der Klimawandel auf die Wahlagenda gesetzt wurde.

Aber bei jedem Auto, dass in Brand gesteckt wird, wandern mehr und mehr Wähler zu den Schwedendemokraten", fügte Öhlberg hinzu. "Diese meinen nämlich, die Regierung habe die Kontrolle über die Vororte verloren und deshalb gäbe es diese Aktionen."

8. Was ist das wahrscheinliche Ergebnis?

Obwohl die Schwedendemokraten mit ihren Zuwächsen in den Umfragen die Schlagzeilen füllen, meinen Experten, dass die Aussicht, dass sie regieren, eher gering ist.

Das liegt vor allem daran, dass sich die Parteien links und rechts weigern, mit ihnen zusammenzuarbeiten, so Professor Gustavsson.

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"Es ist offensichtlich, dass die Parteien auf der rechten und vor allem auf der linken Seite den Parteimitgliedern der Schwedendemokraten nicht genügend Vertrauen schenken, um Vereinbarungen treffen zu können."

Das wahrscheinlichste Ergebnis sei entweder eine sozialdemokratisch-grüne Koalition oder eine Minderheitsregierung der Moderaten Partei, die in bestimmten Fragen Unterstützung von anderen Parteien suchen würde, meinte Gustavsson zudem.

9. Welche Auswirkungen könnte die Wahl auf die Europäische Union haben?

Die Schwedendemokraten wollen ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft, aber sie werden in diesem Bereich möglicherweise nachgeben müssen, sonst wäre eine Koalition mit der proeuropäischen Moderaten Partei nämlich eher nicht möglich.

"Die Linkspartei und die Schwedendemokraten wollen, dass wir aus der EU austreten", sagte Öhberg. "Aber selbst wenn sie zusammen 30% erreichen, würde das nicht viel ändern. Trotzdem hätten wir dann eine stärkere politische Kraft in Schweden, die für einen Swexit eintritt.

Ich denke nicht, dass das sehr wahrscheinlich ist, aber ich habe auch den Sieg von Trump nicht vorhergesagt und ich dachte auch nicht, dass die Schwedendemokraten so groß werden würden, also was weiß ich schon?"

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