Presse zu Chemnitz: AfD vom Verfassungsschutz überwachen lassen?

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Von Kirsten Ripper mit dpa
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Chemnitz ist weiterhin in aller Munde - umstritten in der Presse ist die Forderung, die AfD wegen ihrer Neonazi-Kontakte vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen.

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Sollte die AfD wegen ihrer möglichen Kontakte zu Neonazis und anderen Rechtsextremen vom Verfassungsschutz überwacht werden? Darüber streiten die deutschen Politiker in Berlin - und an diesem Montag gibt es die verschiedenen Argumente in der deutschsprachigen Presse.  Auf Twitter ist "Verfassungsschutz" unter den meistdiskutierten Schlagwörtern.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther hat sich gegen eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz ausgesprochen. Dies würde dazu führen, dass die Partei in eine "Märtyrerrolle" falle, sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Weder steht das dieser Partei zu, noch wäre dies hilfreich in der Auseinandersetzung mit radikalen politischen Kräften, gleich ob rechts- oder linksradikal."

Allerdings sieht Innenminister Horst Seehofer (CSU) aktuell keine Grundlage für eine flächendeckende Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz.

Eine Mehrheit der Deutschen ist dafür, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. In einer repräsentativen Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der Onlineportale der Funke Mediengruppe vom Freitag sagten mehr als 57 Prozent der Befragten, die Partei solle "auf jeden Fall" (42,7 Prozent) oder "eher ja" (14,5 Prozent) vom Bundesverfassungsschutz beleuchtet werden. Dagegen meinten knapp 36 Prozent der Befragten, eine Überwachung der AfD durch die Verfassungsschützer sei "auf keinen Fall" (23,7 Prozent) oder "eher nein" erforderlich. Rund 7 Prozent waren unentschieden.

Die Quote der Ostdeutschen, die für eine Überwachung sind, ist mit rund 48 Prozent deutlich niedriger als die der Westdeutschen (66 Prozent).

Bei den Demonstrationen in Chemnitz sollen Neonazis und NPD-Politiker zusammen mit AfD-Politikern aufgetreten sein. Nach dem Tod eines 35-Jährigen bei einer Messerstecherei gab es auch gemeinsame Kundgebungen der rechtspopulistischen Partei AfD zusammen mit der offen fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung.

Auch ein neuer "Radikalenerlass" gegen Beamte wird kontrovers diskutiert.

Im Interview mit DER WELT fordert der SPD-Politiker und Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann die sehr genaue Beobachtung der AfD: "Die „Hetzjagd“ in Chemnitz markiere einen Wendepunkt: „Der Konflikt um die Migrationsfrage soll auf den Straßen ausgetragen werden.“ Offene, politisch und rassistisch motivierte Gewalt gegen Menschen dürfe der Staat nicht dulden und müsse darauf mit aller Härte antworten. „Auch die AfD hat einmal mehr ihre Maske fallen lassen, wenn ihr Vorsitzender Gauland die Übergriffe als ,normales Ausrasten‘ bezeichnet. Wer so redet, greift direkt die Grundlagen unseres Rechtsstaates an und wiegelt zu Gewalt auf“, sagte Oppermann."

Die Süddeutsche Zeitung titelt "Die Demokratie muss sich vor ihren Verächtern schützen" und schreibt: "Im Disziplinarrecht gibt es unter anderem die Strafen des Verweises, der Kürzung der Bezüge sowie der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis; das Arbeitsrecht kennt Abmahnung und verhaltensbedingte Kündigung. Es gibt also Instrumente, Agitatoren zu erziehen oder loszuwerden. Worauf es ankommt: dass der Dienstherr diese Instrumente nutzt. Deshalb ist es richtig, dass Berlin einem angestellten Lehrer gekündigt hat, der den Holocaust zur Lüge erklärt. Deshalb ist es richtig, dass Baden-Württemberg einen Staatsanwalt aus dem Dienst entfernen will, der jetzt für die AfD im Bundestag sitzt und mit der Beschimpfung ganzer Menschengruppen das Mäßigungsgebot verachtet. Die AfD bewirbt sich geradezu dafür, den Rechtsstaat kennenzulernen."

Dagegen meint die NZZ aus Zürich "Deutschland braucht keinen Radikalenerlass für Wutbürger". Im Artikel heißt es: "Deutschland hat kein Vertrauen in seine Demokratie. Ein sächsischer Schreihals genügt, um die unselige Forderung nach Berufsverboten wieder aufleben zu lassen. (...) Berufsverbot für Pegida-Anhänger, vielleicht auch noch für AfD-Mitglieder? Es wäre ein Irrweg – ein Verstoss gegen demokratische Prinzipien und schlimmer noch: eine Dummheit. Der aufgebrachte Sachse hat sein Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wahrgenommen und mit mehr Nachdruck als notwendig sein Recht am eigenen Bild reklamiert. Das allein ist wohl kaum verfassungsfeindlich. Der Mann gehört, soweit bekannt, weder einer verbotenen Organisation an, noch hat er ein Delikt begangen."

"Keine Ausreden mehr" heißt es in der FAZ. "Ist alles gut, weil das Wochenende in Chemnitz ruhiger verlaufen ist als befürchtet? Ja: Sie können beruhigt in die Woche starten, in Deutschland, auch in Sachsen, ist der Notstand ausgeblieben. Nein: Die Atmosphäre im politischen Deutschland ist zunehmend vergiftet. Politiker und Ehrenamtliche werden beschimpft, Reporter auf öffentlichen Plätzen in Chemnitz angegriffen. On- und offline pöbeln viele unter Klarnamen, Fake News lassen sich leichter verbreiten als wieder einfangen, und AfD-Lokalpolitiker im Hochtaunuskreis bei Frankfurt wollen am liebsten Redaktionen stürmen und die „Mitarbeiter auf die Straße zerren“. Das ist mehr als eine Entgleisung, sie passt ins Bild: Die AfD suchte in Chemnitz den Schulterschluss mit Rechtsextremen und wird sich deshalb künftig in einem Atemzug mit ihnen nennen lassen müssen. Keine Ausreden mehr! Vorbei die bürgerlichen Zeiten für die Partei, wenn sie denn je bürgerlich war. Die CDU geht weiter auf Distanz, die Debatte über eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz nimmt Fahrt auf."

Der Chef der Jungen Union twittert.

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