Touristenboom, Anti-Austerität und ein rosa Haus in Lissabon

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Wie sieht Portugals Jugend die Zukunft des Landes? Eine junge Einheimische führt durch Lissabon.

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Portugal hat die Krisenjahre zwischen 2010 und 13 endgültig hinter sich gelassen, schreibt der IMF in seinem aktuellen Jahresbericht über die Wirtschaftslage des Landes und lobt die portugiesische Entwicklung. Inês Silva, eine junge Portugiesin aus Lissabon, macht sich dennoch Sorgen über die Auswirkungen eines nächsten Crashs.

Ihr Heimatland führte zunächst ein rigides Reformprogramm durch, erholte sich vergleichsweise schnell von der Krise und hat heute eine Mitte-Links Regierung, die sich mit dem Erfolg ihrer Anti-Austeritätspolitik rühmt.

"Zehn Jahre lang war die Eurokrise Thema Nummer eins"

Doch die Einschränkungen des Sozialsystems und der rapide Preisanstieg in Lissabon und Porto setzen die Bevölkerung weiterhin unter Druck. Mit einem Mindestlohn von 677€ im Monat sind die steigenden Lebenshaltungskosten nur schwer finanzierbar, kritisiert der Europäische Gewerkschaftsbund.

„Wenn wir über die Krise sprechen, geht es immer nur um die Vergangenheit. Aber die Frage ist, ob wir heute für die nächste Krise gewappnet sind,“ sagt Inês Silva, die im Lissabonner Viertel Alvalade wohnt. Sie ist 20 Jahre alt, in den vergangenen zehn Jahren war die Eurokrise Thema Nummer eins. In den Nachrichten, im Schulunterricht, zuhause.

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Rua da Augusta im Zentrum LissabonsAlicia Prager

Heute studiert sie Politikwissenschaft an der Universidade Nova de Lisboa. Die vielen Diskussionen mit ihrer Familie und ihren Klassenkameraden haben ihr Interesse geweckt, sagt Inês, während sie den Praça do Comércio überquert – den Platz am Ufer des Tejo, der einst Symbol für die Handelsmacht Portugals war. Diese Zeiten sind lange vorüber.

Schon Jahre vor der Eurokrise, kämpfte die portugiesische Wirtschaft mit Wettbewerbsverlust und einem weiterhin hohen Schuldenberg. Deshalb führte Portugal lange bevor die Troika ins Land kam Reformen durch. Etwa wurden das 13. und 14. Gehalt öffentlicher Bediensteter gestrichen und nächste Karriereschritte eingefroren. Inês‘ Familie bekam das stark zu spüren, da ihr Vater in der Verwaltung beim Militär angestellt ist. Das Einkommen ihrer Mutter, die als freiberufliche Übersetzerin für den Staat arbeitet, brach ebenfalls stark ein. So hatte der vier-Personen-Haushalt oft nicht mehr als 1200€ im Monat zur Verfügung.

Inês und ihre zwei Jahre jüngere Schwester beschlossen damals, die Eltern nicht mehr um Geld fürs Mittagessen in der Schulkantine zu bitten. „Wir schmierten uns eben zuhause Brote zum Mitnehmen,“ sagt Inês.

Doch seitdem ging es steil bergauf: Die Arbeitslosigkeit, die auf ihrem Höchststand 2013 bei 16,18 Prozent lag, ist heute laut portugiesischem Touristenamt auf 6,7 Prozent gefallen. Das Wirtschaftswachstum ist zurückgekehrt: In den ersten drei Monaten des Jahres 2018 betrug es laut Portugiesischem Statistikamt 2,1 Prozent. Auch die Investitionen stiegen um 9 Prozent an und die Exporte wuchsen um 7,9 Prozent.

Als Zutaten für Portugals Erfolgsgeschichte gelten das Reformprogramm sowie die Erholung der Weltkonjunktur und die Niedrig-Zinspolitik der EZB. Außerdem konnten die vorsichtigen Erleichterungen für die Bevölkerung und die rhetorischen Neuverpackung der Sparmaßnahmen durch die Regierung von António Costa das Vertrauen der Konsumenten zurückgewinnen.

Der Optimismus kehrt zurück

Während laut einer Eurobarometer-Studie im Jahr 2011 44 Prozent der Befragten an eine negative Entwicklung für das darauffolgende Jahr in Portugal glaubten, ist der Anteil heute auf 23 Prozent gefallen.

Auch in der Wohnung im dritten Stock eines rosa Hauses im Viertel Alvalade, in dem die Familie Silva wohnt, redet heute keiner mehr von der Krise.

Inês schließt sich dem allgemeinen Optimismus jedoch nur vorsichtig an. Sie sagt, sie ist besorgt, wenn sie daran denkt, dass Finanzinstitute wieder TV-Werbungen für Kredite schalten.

Am Boulevard der Rua Augusta tummeln sich unterdessen Touristengruppen in der Fußgängerzone. Restaurants mit großen, bunten Bildern auf den Speisekarten, die die angebotenen Gerichte zeigen, dazwischen Bäckereien, die mit Pastéis de Nata locken. Die Zahl der Touristen ist laut Regierung von 8,3 Millionen 2013 auf über 12,7 Millionen 2017 gestiegen.

Der Boom ist gleichzeitig Fluch und Segen. Einerseits bringen die Besucher viel Geld ins Land, neue Jobs werden geschaffen und Investitionen in Immobilien steigen. Andererseits lässt er die Preise rasant nach oben klettern. Mieten – vor allem hier im Stadtzentrum Lissabons – sind für den Großteil der Bevölkerung kaum mehr leistbar.

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Souvenir-Laden im Zentrum LissabonsAlicia Prager

Inês wird also in den kommenden Jahren weiter bei ihren Eltern wohnen, zumindest bis sie ihr Studium beendet hat. Für die tausenden jungen Leute, die jedes Jahr aus anderen Teilen des Landes in die Hauptstadt ziehen, ist es nicht möglich, weiter zuhause zu wohnen. Die Wohnungssuche ist zum Alptraum geworden und Studentenwohnheime gibt es kaum.

Mit dem Touristen-Boom haben sich außerdem die Teile der Stadt verändert, in denen Inês und ihre Freunde früher ihre Freizeit verbrachten. Diese sind nun stets überfüllt und teurer geworden, wie etwa das Party-Viertel Bairro Alto oder die Gegend um Intendente. „Gerüchten zufolge plant die Stadt momentan, das Grundstück eines unserer Lieblings-Ausichtspunkte, Miradouro da Nossa Senhora do Monte, an ein Hotel zu verkaufen,“ sagt Inês.

Gleichzeitig hat der Tourismus jedoch eine Vielzahl neuer Jobs geschaffen, unter anderem auch für Studierende. Inês etwa hat begonnen, Free Walking Tours durchs Stadtzentrum zu geben. Viele Jobs, die im Tourismusbereich geschaffen werden, sind aber prekär und bieten keine Karrierechancen. Die Europäische Kommission drängt die Regierung dazu, Anreize für ein größeres Angebot unbefristeter Verträge zu schaffen. Die Entwicklung aber gehe schon in die richtige Richtung.

Ein integrierter Finanzmarkt, Technologie und Schuhe

„2012 ist mit der Einrichtung des ESM und dem Startschuss für die Bankenunion ein Wendepunkt gewesen,“ sagt Thomas Wieser, ehemaliger Präsident der Eurogruppe. Außerdem habe die EZB ihre Geldpolitik stark erweitert. Schon das allein wirke stabilisierend auf die Erwartungen des Marktes.

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Großes Ziel ist jetzt die Erarbeitung eines integrierten Finanzmarktes, sagt Wieser. Der wichtigste Schritt sei mit der einheitlichen Bankenaufsicht bereits gemacht worden. Stauen sich nun Probleme an, schaut die Aufsicht nicht mehr weg, weil sie auf europäischer Ebene liegt und nicht in die Interessen von Staat und Bank verwickelt ist.

Ein weiterer Vorschlag ist die Einrichtungen eines gemeinsamen Einlagensicherungssystems, mit dem das Geld europäischer Sparer auf EU-Ebene gesichert würde. Risiken könnten so besser verteilt werden. Außerdem müsste weiter daran gearbeitet werden, das Ansteckungspotential zwischen Staaten und Banken zu verringern – etwa indem Banken Operationen über die Grenzen der Nationalstaaten hinaus erlaubt würden.

Einstweilen bereitet die Suche nach Lösungen für das Auseinanderdriften der Euro-Mitgliedsländer Kopfzerbrechen, sagt Ricardo Paes Mamede, Ökonom am ISCTE-Universitätsinstitut Lissabon. Das passiert etwa deshalb, weil der Wert der gemeinsamen Währung in Ländern wie Deutschland zu niedrig ist und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich gestärkt wird. Kurzfristig kann das nicht gelöst werden – es geht um die wirtschaftliche Struktur eines Landes: Während Deutschland auf Technologie setzt, ist Portugal auf Textilien und Schuhe spezialisiert.

Um soziale Kosten einer zukünftigen Krise besser abzufedern ist etwa eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung im Gespräch, auf die im Ernstfall zurückgegriffen werden kann – doch wie diese genau aussehen könnte, ist alles andere als Konsens.

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Ines Silva auf dem Rossio-PlatzAlicia Prager

Inês, gerade in ihrem letzten Bachelor-Studienjahr, überlegt nun, für welchen Master sie sich bewerben wird. Sie will sich auf entweder Migration, Anthropologie oder Konfliktforschung spezialisieren – falls möglich, an einer Universität im Ausland.

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In ihrem Viertel Alvalade reihen sich Geschäfte und Cafés entlang einer Allee aneinander. Doch viele der kleinen Geschäftslokale stehen leer, in einigen sind heute Bankfilialen zu finden. Zwar ist es ein wohlhabendes Viertel, doch auch hier mussten viele dichtmachen. Die Schuldenkrise hat Alvalade verändert – wie auch den Rest des Landes.

„Wir haben die Gelegenheit verpasst, die Krise zu nutzen, um die Eurozone auf Vordermann zu bringen,“ sagt Inês. Das müsse jetzt nachgeholt werden.

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