"Die EU ist kein Geldautomat"

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Rund ein Drittel des EU-Haushalts wird für die Regionalpolitik verwendet. Euronews-Reporter Sandor Zsiros hat Corina Creţu, die EU-Kommissarin für Regionalpolitik, in Brüssel getroffen, um mit ihr über die Herausforderungen für ihre Abteilung zu sprechen.

Rund ein Drittel des EU-Haushalts wird für die Regionalpolitik verwendet.  Ziel ist es,  beim Wohlstandsunterschiede in der Union auszugleichen und Chancengleichheit zu schaffen - ein großer Teil des Geldes fließt in Projekte in den ärmsten Regionen Europas.

Euronews-Reporter Sandor Zsiros hat Corina Creţu, die EU-Kommissarin für Regionalpolitik, in Brüssel getroffen, um mit ihr über die Herausforderungen zu sprechen, mit denen ihre Abteilung und ganz Europa zu kämpfen haben.

Sandor Zsiros, euronews: Frau Kommissarin, Sie sind seit über vier Jahren hier in Brüssel. Haben Sie es in dieser Zeit geschafft, die Lücke zwischen Ost und West, armen und reichen Regionen zu schließen?

Corina Creţu, EU-Kommissarin für Regionalpolitik: Wir haben die Krise hinter uns und eine Studie zeigt, dass viele Regionen ein gutes Wachstum und viel Beschäftigung haben. Andere Länder sind noch auf dem Niveau von vor der Krise. Wir haben jetzt das neunte Jahr in Folge Wirtschaftswachstum in Europa und das hat uns sehr geholfen. Gleichzeitig gibt es aufgrund von neuen Herausforderungen weiter große Unterschiede. Es gibt die Migrationskrise, den Terrorismus und Verteidigungsangelegenheiten, in die die EU bisher nicht eingreifen sollte. Wir müssen uns jetzt diesen neuen Entwicklungen anpassen und alles dafür tun, um die Unterschiede zu verringern.

Sandor Zsiros, euronews: Nach dem Brexit wird es weniger Geld zum Verteilen geben, über beispielsweise die Kohäsionsfonds. Was würden Sie den regionalen Entscheidungsträgern empfehlen? Welche Projekte sollten sie vorschlagen, um Geld zu bekommen?

Corina Creţu, EU-Kommissarin für Regionalpolitik: Der EU-Haushalt wird durchschnittlich um zehn Prozent gekürzt werden. Mal ganz abgesehen davon, bedauern wir natürlich den Austritt Großbritanniens, aber wir müssen den Willen der Briten respektieren. Trotzdem ist es uns gelungen, mit 373 Milliarden Euro den größten Finanzrahmen für die Kohäsionspolitik bisher auf den Weg zu bringen. Und wir schlagen den Mitgliedsstaaten und Regionen vor, sich auf Schlüsselbereiche zu konzentrieren, zum Beispiel Innovation, kleine und mittlere Unternehmen und die Energieeffizienz, also auf Bereiche, die ein wichtiger Motor für die gesamte europäische Wirtschaft sind.

Wir müssen auch dem sozialen Bereich mehr Aufmerksamkeit widmen. Wir müssen größere Anstrengungen unternehmen, um den Menschen das Gefühl zu geben, Europa kümmert sich um sie. Dieses Spiel, dass alles, was schlecht ist, aus Brüssel kommt und alles Gute von den Bürgermeistern und Präsidenten der Länder, muss aufhören. Denn: Wenn wir so weitermachen, werden wir alle verlieren - wenn wir nicht erkennen, was die Europäische Union für ihre Bürger tut.

Sandor Zsiros, euronews: Das Parlament der Europäischen Union hat gerade einen Vorschlag angenommen, um die Auszahlung von Geldern mit rechtsstaatlichen Standards zu verknüpfen. Wie soll das in Zukunft funktionieren? Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die Menschen am Ende aufgrund von Fehlern von Politikern keine europäische finanzielle Unterstützung erhalten?

Corina Creţu, EU-Kommissarin für Regionalpolitik: Ich verstehe nicht wirklich, warum einige Mitgliedsstaaten der Ansicht sind, dieser Vorschlag würde sich gegen sie richten. Denn wir tun zumindest alle so, als ob wir null Toleranz für Betrug und Korruption zeigen. Dies dient dem Schutz der EU-Steuergelder. Wenn beispielsweise das OLAF (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung) einen Fall hat, setzen wir die Gelder sofort aus, bis der Fall gelöst ist. Wenn ich mich in die Rolle der Nettozahler versetze, wird klar, dass die Europäische Union nicht nur als Geldautomat gesehen werden kann. Es geht vielmehr um Solidarität: wir müssen zusammenhalten - in guten Zeiten, wie in schlechten Zeiten.

Sandor Zsiros, euronews: Das OLAF (das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung) kann nur Empfehlungen aussprechen. Denken Sie, dass eine Organisation, die über den Mitgliedsstaaten steht, die effektive Kontrolle übernehmen sollte, wie zum Beispiel die Europäische Staatsanwaltschaft?

Corina Creţu, EU-Kommissarin für Regionalpolitik: Ja, das wäre ein Schritt nach vorne. Wie Sie wissen, hat sich die Kommission lange Zeit bemüht, den EU-Haushalt zu schützen. Und genau wie Sie sagen, markiert die Schaffung einer Staatsanwaltschaft, die es bis 2020 geben sollte, den Beginn einer neuen Phase in der europäischen Betrugsbekämpfung. Denn neben dem OLAF, das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung, haben wir mit der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA, auf englisch EPPO „European Public Prosecutor Office“) nun eine andere Institution, die sich um die richtige Verwendung von EU-Geldern kümmert. Wir arbeiten eng mit den Mitgliedsstaaten und den Prüfern der Kommission zusammen. Ich glaube also wirklich, dass diese neue Institution unsere Möglichkeiten, Betrug bei der Verwendung von EU-Mitteln zu bekämpfen und das Geld der Steuerzahler zu schützen, verbessern wird.

Sandor Zsiros, euronews: In weniger als hundert Tagen stehen die Europawahlen an. Was ist Ihre Prognose, wird die Europäische Union weiter zerfallen, oder wird es einfacher werden zu regieren? Werden die Populisten Erfolge feiern? Was ist ihre Vorhersage?

Corina Creţu, EU-Kommissarin für Regionalpolitik: Natürlich befinden wir uns in einer Phase, in der die Anti-Europäer und populistischen Bewegungen Zuwachs bekommen. Wir haben auch eine Studie dazu erstellt und meine Kommissionsdienststelle, die GD REGIO, hat diese vor Kurzem veröffentlicht: "The geography of EU discontent". Diese Analyse zeigt, dass eine Anti-EU-Stimmung hauptsächlich dort auftritt, wo es eine Kombination aus langfristigem wirtschaftlichen und industriellen Niedergang, einem niedrigem Bildungsniveau und mangelnden Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Meiner Ansicht nach wird diese Wahl die größte Bewährungsprobe seit vielen Jahren sein. Es geht nicht um politische Ideologien, sondern um Pro-Europäer und Anti-Europäer. Wir, Sie als anerkannter Journalist und ich als Kommissarin, wir beide kommen aus Ländern, die vor dreißig Jahren auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs standen. Wir hätten nie gewagt, davon zu träumen, heute hier zu sein. Deswegen ist es unsere Pflicht, das europäische Projekt zu verteidigen. Es ist einzigartig in unserer Welt und wir müssen immer wieder erklären, dass dies nicht immer so war, besonders der jungen Generation. Denn es geht hier um ihre Zukunft. Ich wünsche mir, dass viel mehr junge Menschen unser europäisches Projekt verteidigen. Solidarität wird in der EU groß geschrieben. Aber in der Praxis - und das tut mir sehr leid - sind die Europäische Union und die Mitgliedstaaten heute egoistischer als je zuvor. Ich denke wirklich, dass wir zu unserer Solidarität zurückfinden und verstehen müssen, dass wir nur gemeinsam Erfolg haben, oder zusammen untergehen werden.

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