Jan Zahradil: "Ich bin kein Nationalist, ich bin Patriot"

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Jan Zahradil von der Allianz der Konservativen und Reformer (AKRE) wünscht sich ein dezentraleres Europa. Wird er der nächste EU-Kommissionspräsident?

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**Im Vorfeld der Europawahlen interviewt euronews die SpitzenkandidatInnen für das Amt des/der EU-KommissionspräsidentIn. Dieses Mal zu Gast bei "Raw Questions": Jan Zahradil, Vorsitzender der Allianz der Konservativen und Reformer in Europa (AKRE).
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Zahradil ist Ingenieur und Umweltforscher. Er wuchs unter dem kommunistischen Regime in Prag auf und ging in die Politik, als sein Land sich gerade zu demokratisieren begann. Zunächst war er Berater des tschechischen Premierministers und wurde 2004 in das Europäische Parlament gewählt. Fünf Jahre später übernahm er den AKRE-Vorsitz. Zahradil bezeichnet sich selbst als "Europarealisten". Er wünscht sich ein dezentraleres und freieres Europa und appelliert an die Mitgliedstaaten, vom Brexit zu lernen.

Darren McCaffrey: Was viele nicht wissen: Sie sind ein großer Musikfan. Wenn Sie die Wahl hätten: Präsident der Europäischen Kommission oder Gewinner des Eurovision Song Contests...

Jahn Zahradil: Nein, der Eurovision Song Contest wäre nichts für mich. Wenn Sie mich fragen würden, ob ich ein berühmter Schlagzeuger in einer Heavy-Metal-Band sein wollte. Das wäre etwas anderes. Aber der ESC...

''Europarealist''

Tesa Arcilla: "Europarealist" ist eine Bezeichnung, die viele ihrer Parteianhänger benutzen. Aber warum bezeichnen Sie sich selbst nicht als "Europaskeptiker"? Gibt es da einen Unterschied?

Jahn Zahradil: Das ist nicht dasselbe. Ein "Europaskeptiker" ist jemand, der die Idee einer europäischen Einheit ablehnt und die EU auflösen oder aus ihr austreten will. Ein "Europarealist" will Europa verändern, verbessern...

Darren McCaffrey: Sie sind auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs aufgewachsen. Wie stark beeinflusst das Ihre heutige Politik?

Jahn Zahradil: Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich in zwei völlig unterschiedlichen Welten gelebt habe - in der einen vor 1989, und in der anderen nach 1989. Zu Zeiten des Kommunismus waren die Leute Heuchelei oder Doppeldeutigkeiten gewohnt und wussten das zu deuten.

Frage aus dem Publikum: Einige Mitgliedstaaten verkaufen Waffen an Saudi-Arabien, die im Jemen-Krieg eingesetzt werden - vor allem Frankreich und Belgien. Würden Sie als Präsident den Handel mit Ländern unterbinden, die Menschenrechte nicht respektieren?

Jahn Zahradil: Da muss man unterscheiden - aber in Bezug auf Saudi-Arabien oder den Iran sollten wir strenger sein. Ehrlich gesagt, war ich noch nie ein großer Freund von Beschwichtigungspolitik wie sie zum Beispiel Federica Mogherini gegenüber dem Iran betreibt. Hätte ich das Sagen, würde ich der Kommission oder den Vertretern der Außen- und Sicherheitspolitik raten, gegenüber dem Iran härter zu sein als das derzeit der Fall ist.

Darren McCaffrey: Sie sind also der Meinung, dass der Ausstieg der USA aus dem iranischen Atomprogramm der richtige Schritt war?

Jahn Zahradil: Ja, ich denke, wir sollten einen strikteren Kurs fahren, denn der Iran scheint uns nicht ernst zu nehmen und ist ebenfalls - zumindest teilweise - aus dem Atomprogramm ausgestiegen.

Darren McCaffrey: Auch wenn es zum Krieg kommt?

Jahn Zahradil: Nein. Natürlich müssen wir diplomatisch sein, aber wir müssen auch einen gewissen strategischen Druck ausüben. Das haben wir bisher nicht getan.

Tesa Arcilla: Aber der Iran ist nicht das einzige Land, in dem Menschenrechte verletzt werden. Was ist mit China? Wie würden Sie da verfahren?

Jahn Zahradil: Genau da würde ich etwas differenzieren. Darüber müssen wir diskutieren. Denn jeder weiß zum Beispiel, dass Deutschland der wirtschaftliche Motor der gesamten Europäischen Union ist und China der größte Markt und wichtigste Handelspartner.

Tesa Arcilla: Also Handel statt Menschenrechte?

Jahn Zahradil: Es geht um Handelspartner für Deutschland. Da bin ich pragmatisch...

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Tesa Arcilla: "Pragmatisch" heißt, Sie entscheiden sich für den Handel?

Jahn Zahradil: Pragmatisch heißt, dass ich mögliche Exporte nach China nicht untergraben will.

Zuschauerfrage: Wie können wir auf der Weltbühne bestehen, wenn wir uns bei Themen wie Klima, Migration oder Wirtschaft nicht auf einen einheitlichen Kurs einigen können?

Jahn Zahradil: Wir müssen eine Balance finden: Was sollte besser auf nationaler Ebene geregelt werden, was auf europäischer Ebene? Beim Thema Klimawandel zum Beispiel kommen wir meines Erachtens nach, gut voran. Wir haben ein paar entscheidene Maßnahmen ergriffen. Wenn wir diese umsetzen und andere, darunter China und die USA, unserem Beispiel folgen, dann sind wir weltweit auf einem guten Weg. Aber ich bin nicht der Meinung, dass wir versuchen sollten, für alles eine europäische Lösung zu finden. In Sachen Wirtschaft, Binnenmarkt, Handelspolitik oder Zollunion - da können wir gemeinsam mehr erreichen.

Aber ich habe Zweifel daran, dass wir es schaffen, politisch vollkommen eins zu werden. Es gibt Grenzen - zum Beispiel in der Außenpolitik. In Libyen haben Sie auf der einen Seite eine Regierung in Tripolis und auf der anderen Seite General Haftar, der diese Regierung mit seinen Truppen angreift. Jetzt unterstützt ein sehr wichtiger Mitgliedstaat der Europäischen Union - nämlich Frankreich - General Haftar. Italien dagegen, ein anderer wichtiger Mitgliedstaat, unterstützt die Regierung in Tripolis. Wie lassen sich diese grundverschiedenen Interessen miteinander vereinen? Ich glaube nicht, dass eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung dieses Problem lösen kann. Wir müssen in gewissen Dingen die Interessen der Nationalstaaten respektieren.

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"Wir ticken nicht alle gleich. Einige Länder sind liberaler als andere, andere sind konservativer. Wir sollten nicht alle in einen Topf werfen."
Jan Zahradil

Zuschauerfrage: Warum spielen Nationalismus und Populismus in der europäischen Politik wieder eine so große Rolle?

Jahn Zahradil: Ich denke, dass man heutzutage sehr schnell als nationalistisch oder populistisch abgestempelt wird - vielleicht auch ich.

Darren McCaffrey: Sind Sie Nationalist?

Jahn Zahradil: Nein, ich bin Patriot. Das ist etwas anderes.

Darren McCaffrey: Was ist der Unterschied?

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Jahn Zahradil: Ich bin der Meinung, ein Patriot versteht, dass sein Staat oder seine Nation - im politischen Sinn - bestimmte Interessen hat und es absolut legitim ist, diese Interessen in der Welt und sogar innerhalb der Europäischen Union zu vertreten. Ein "Nationalist" ist für mich jemand, der anderen Nationen feindlich gegenübersteht und glaubt seine eigene Nation stehe über allen anderen.

Ich glaube, Nationalismus ist eine Art Antwort auf die Globalisierung. Manche Menschen oder Teile der Gesellschaft haben das Gefühl, dass die EU zu viel Mitspracherecht hat und das eine Gefahr für ihre Traditionen ist. Wir ticken nicht alle gleich. Einige Länder sind liberaler als andere, andere sind konservativer. Wir sollten nicht alle in einen Topf werfen.

Darren McCaffrey: Wie werden die Rechtsextremen bei den Wahlen abschneiden?

Jahn Zahradil: Sie werden defintiv Teil des Europäischen Parlaments sein - davor können wir unsere Augen nicht verschließen. Wir können das nicht einfach abtun und darüber hinweggehen.

Tesa Arcilla: Sie sind bereit, sich mit den Ansichten Matteo Salvinis und Vox aus Spanien auseinanderzusetzen?

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Jahn Zahradil: Ja, wir müssen versuchen, zu verstehen, warum diese Politiker so viel Zustimmung bekommen. Was sind die Gründe dafür? Das gilt es herauszufinden und die Sache anzupacken.

Tesa Arcilla: Gibt es eine Partei in Europa, mit der Sie nicht verhandeln würden?

Jahn Zahradil: Wir würden zum Beispiel nicht mit Marine Le Pen verhandeln - und dafür gibt es sehr gute Gründe. Sie ist sehr protektionistisch. Sie ist gegen den Freihandel, gegen Handelsabkommen... Weil ich aus Osteuropa komme, sehe ich das anders. Ich bin sehr misstrauisch, was ihre Beziehung zu Russland angeht.

Darren McCaffrey: Und ihr Verhältnis zu Herrn Salvini?

Jahn Zahradil: Auch ihr Verhältnis zu Herrn Salvini ist unklar - zugegebenermaßen.

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Darren McCaffrey: Viktor Orban wurde von der Europäischen Volkspartei (EVP) suspendiert. Führen Sie mit ihm Gespräche, dass er sich nach der Wahl Ihrer Partei anschließen könnte?

Jahn Zahradil: Nein, noch nicht. Das müssen die EVP und Herr Orban unter sich ausmachen - da mischen wir uns nicht ein. Wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Momentan ist das kein Thema.

Migration

Zuschauerfrage: Wie will Europa seine Länder vor Einwanderern schützen, die sich nicht integrieren wollen?

Jahn Zahradil: Eines ist klar: Es gibt kein allgemeingültiges paneuropäisches Strafgesetzbuch. In jedem Land gibt es andere Strafgesetze. Aber jeder einzelne, der Asyl beantragt - oder die Staatsbürgerschaft - muss sich an Regeln und Gesetze des jeweiligen Landes halten. Ich bin der Meinung, dass die nationalen Regierungen genau darauf bestehen müssen.

Klima

"Was die Forderung der EU nach einer kohlenstofffreien Wirtschaft bis zum Jahr 2050 angeht, da muss ich ganz offen sagen: Das hört sich gut an, ist aber ziemlich unrealistisch."
Jan Zahradil

Publikumsfrage: Als neuer EU-Kommissionspräsident - welche konkreten Maßnahmen würden Sie ergreifen, um einen ökologischen Wandel hinzubekommen, der gleichzeitig die finanzielle Stabilität nicht gefährdet?

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Jahn Zahradil: Ich bin Ingenieur im Bereich Wassertechnologie. Ich kenne also die Problematik. Aber zu Ihrer Frage: Ich würde an unseren aktuellen Vereinbarungen festhalten - dem Pariser Klimaabkommen. Was die Forderung der EU nach einer kohlenstofffreien Wirtschaft bis zum Jahr 2050 angeht, da muss ich ganz offen sagen: Das hört sich gut an, ist aber ziemlich unrealistisch. Ich bin der Meinung, wir sollten uns an die bereits bestehenden Zielvereinbarungen halten. Wenn wir das geschafft haben, können wir uns neue Ziele setzen.

Die Europäische Kommission hat hat fast 40 Prozent des Etats in die Landwirtschaft investiert. Ich bin dafür, dass wir das Subvensionssystem der Landwirtschaft reformieren. Ausschlaggebend für die Höhe der finanziellen Hilfe sollte nicht der Ertrag sein, sondern ein umweltfreundlicher Anbau. Es gibt übrigens eine Initiative der Europäischen Kommission mit dem Namen "One Hectare". Haben Sie schon davon gehört? Jeder Landwirt, der auf einem Hektar seiner Fläche Bäume pflanzt, bekommt dafür Fördermittel. Das ist ein sehr gutes Beispiel dafür, was auf europäischer Ebene in Sachen Umwelt getan werden kann.

Darren McCaffrey: Sollte es in der gesamten EU einen Mindestlohn geben?

Jahn Zahradil: Nein, wir leben in unterschiedlichen Volkswirtschaften. Jedes Land hat seine eigene Wirtschaftsstruktur. Jedes Land hat eine andere Kaufkraft. Deshalb kann man nicht einfach so einen Mindestlohn in der ganzen EU einführen. Es gibt Länder, die relativ reich sind. Zur Veranschaulichung: Setzen wir ein durchschnittliches europäisches Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 100 an. Da gibt es einerseits Deutschland, Frankreich oder die Niederlande, die bei 130 bis 140 liegen - und andererseits gibt es Bulgarien und Rumänien die erreichen nicht mal 50. Wie wollen Sie da ein allgemeingültiges Gehalts-, Sozial-, Renten- oder Gesundheitssystem einführen. Das funktioniert nicht.

Euro

Publikumsfrage: Viele von uns hassen den Euro. Wie denken Sie darüber?

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Jahn Zahradil: Ich bin der Meinung, dass der Euro ein politisches Instrument für mehr europäische Einheit ist. Die Einführung sollte freiwillig, nicht verpflichtend sein. Deshalb bin ich für eine Union mit mehreren Währungen.

Tesa Arcilla: Aber für jemanden, der ein strenger Verfechter des Handels ist, ist der Euro eine gute Sache. Denn durch den Euro fallen viele Kosten weg, die mit dem grenzüberschreitenden Handel verbunden sind. Warum sind Sie also gegen den Euro?

Jahn Zahradil: Ich bin nicht dagegen... Jeder Nationalstaat, der den Euro einführen möchte, sollte die Möglichkeit dazu haben und jeder Nationalstaat, der das nicht möchte, ebenso.

Tesa Arcilla: In diesem Fall ist ihnen die Unabhängigkeit der Nationalstaaten also wichtiger, als die Folgen für die Wirtschaft. Also...

Jahn Zahradil: Nein, das ist nicht wahr. Der Euro zieht auch noch andere - eher negative - Folgen nach sich. Es ist, wie gesagt, ein politisches Instrument für mehr europäische Einheit. Denn wenn man den Euro einmal eingeführt hat, dann braucht es normalerweise eine Angleichung der Steuersysteme, der Sozialsysteme und so weiter.

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Und nochmal: Ich glaube nicht an eine EU, die einem Staat gleicht. Ich glaube an eine EU als ein freies Konglomerat von Staaten, die zusammenarbeiten.

Brexit

Darren McCaffrey: Sie wollen sich also nicht in die Politik anderer Nationalstaaten einmischen und doch bezeichnen Sie den Brexit als einen Fehler. Sicherlich hat das britische Volk nicht nicht nur ein Recht auf den Brexit, sondern auch, dass dieser ein Erfolg wird. Sollte das anderen Mitgliedstaaten nicht auch erlaubt sein?

Jahn Zahradil: Es war ein Fehler, dass die EU einem der stärksten und erfolgreichsten Mitgliedstaaten erlaubt hat, die EU zu verlassen. Wenn man David Cameron bei den ersten Verhandlungen etwas angeboten hätte, das er zu Hause als Erfolg hätte verkaufen können, wäre das Referendum vielleicht anders ausgegangen.

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