150.000 Euro gespendet: Was passierte mit Neapels großer Flotte zur Rettung von Flüchtlingen?

150.000 Euro gespendet: Was passierte mit Neapels großer Flotte zur Rettung von Flüchtlingen?
Copyright REUTERS/Archive, 2016
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Von Simone Di Meo
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Ehrgeizig und mutig wirkte das Projekt von Luigi de Magistris, dem Bürgermeister von Neapel, als er ankündigte, eine 400-Schiffe umfassende Flotte zur Rettung von auf See gestrandeten Migranten starten zu wollen. Heute ist von dem Vorhaben nicht mehr viel übrig.

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Ehrgeizig und mutig wirkte das Projekt von Luigi de Magistris, dem Bürgermeister von Neapel, als er ankündigte, eine 400-Schiffe umfassende Flotte starten zu wollen, um auf See gestrandete Migranten zu retten. Damit stellte er sich offen gegen die Politik der geschlossenen Häfen von Italiens Innenminister Matteo Salvini. Kritiker bezeichneten das Vorhaben als linke politische Propaganda. Bis heute ist das Projekt nicht umgesetzt. Die Realität bot offenbar zu viele Widerstände für Luigi de Magistris.

Ein Rückblick: Im Januar 2019 wurde dem NGO-Schiff Sea Watch 3 der Zugang zu italienischen Gewässern verweigert. Es hatte Migranten an Bord, die vor den libyschen Küsten gerettet wurden und niemand konnte oder wollte sie aufnehmen. Dieses Patt dauerte 13 Tage an.

Damals bot der ehemalige Staatsanwalt de Magistris an, das NGO-Schiff in Neapel willkommen zu heißen und widersetzte sich damit offen einem von Salvini vorangetriebenen Dekret. Dem zufolge wurde der humanitäre Schutz von Flüchtlingen ausgesetzt. Weitere Bürgermeister Italiens folgten seinem Beispiel.

Und de Magistris ging noch weiter. Am 4. Januar startete die Gemeinde Neapel online einen Spendenaufruf für den Aufbau eines Netzwerks für Migranten, dem ersten Schritt zur sogenannten "neapolitanischen Flotte". Laut den Quellen des Rathauses hatte dieser Aufruf mehr als 13.000 Unterstützer, die entweder spendeten oder sich bereit erklärten zu helfen.

Offiziell kündigte de Magistris die neapolitanische Flotte am 12. März bei einem Treffen in Mailand an. Die Einweihung war für den 22. Juni geplant. "Wir werden 400 Boote auf See schicken", sagte de Magistris damals. "Wir haben 150.000 Euro an Spenden gesammelt: ein Marathon der Solidarität". Die zivile "Armee" zur Rettung von Migranten solle von einem Segelschiff unter neapolitanischer Flagge angeführt werden.

Aus der Flotte wurde eine spendenfinanzierte Parade

Aktuell scheint sich der eigentliche Auslöser für de Magistris Vorhaben zu wiederholen. Die Sea Watch 3 trieb erneut tagelang in internationalen Gewässern und sucht nach einem sicheren Hafen – seit dem 12. Juni mit 43 Geretteten an Bord. Die Organisation Sea Watch legte vergeblich gegen die Sperrung beim Menschenrechtsgerichtshof Berufung ein - und fuhr jetzt trotzdem in italienische Gewässer ein. Und de Magistris große Flotte ist auch nach dem 22. Juni noch nicht da, um sie zu retten.

Am 3. Juni gab es das letzte Lebenszeichen auf der Facebook-Seite: Bürgermeister de Magistris habe sich von dem Projekt zurückgezogen und die Rettungsflotte werde in eine eintägige Bootsparade umfunktioniert. Diese sei für den 29. Juni geplant. Keine Flotte mit 400 Schiffen. Die gesammelten 150.000 Euro wurden zunächst nicht erwähnt.

Kurz darauf veröffentlichte man eine Veranstaltung auf Facebook unter dem Titel "Napoli, un mare di pace", auf Deutsch: Neapel, ein Meer des Friedens. Der 29. Juni 2019 solle ein "historischer Tag" werden, heißt es dort: "Eine Prozession von Hunderten von zivilen Booten wird den neapolitanischen Golf überqueren, um nachdrücklich zu bekräftigen, dass unsere Stadt einladend, unterstützend und vor allem menschlich ist."

Als Euronews Bürgermeister de Magistris um einen Kommentar zu dem abgeblasenen Projekt bat, verwies er auf bereits veröffentlichte Pressemitteilungen. Seine Pressestelle erklärte, dass die 150.000 Euro die Kosten der Veranstaltung decken werden. Man weigerte sich aber, weitere Details zu nennen: "Die Initiative wird für die Gemeinde keine Kosten verursachen und hat eine starke, symbolische Bedeutung: die offene und multikulturelle Identität unserer Stadt zu bekräftigen." Man wolle damit Solidarität für die an Bord der Sea Watch 3 festsitzenden Flüchtlinge bekunden. Einzelheiten über das angebliche Bankkonto, auf dem die 150.000 Euro gesammelt wurden, sind nicht bekannt.

150.000 Euro für eine gesamte Flotte?

Der Aktivist Luca Casarini ist in Italien bekannt dafür, sich für Flüchtlinge auf dem Meer einzusetzen und hat angekündigt, an der Parade teilzunehmen. Casarini unterhält mit seiner NGO selbst einen Schlepper, die Mare Jonio. Wie die Sea Watch 3 patrouilliert die Mare Jonio durch das Mittelmeer, um in Seenot geratene Flüchtlinge zu retten. Er hält es für sehr unwahrscheinlich, dass die gesammelten 150.000 Euro für eine Flotte gereicht hätten. Auf Anfrage von Euronews erklärt Casarini, dass der Schlepper Mare Jonio allein beim Kauf rund 150.000 Euro kostete – ebenfalls gesammelt durch private Spenden. "Für unser Mutterschiff brauchen wir 37.000 Euro, nur um den Tank zu füllen. Der Streifendienst kostet 1.000 Euro pro Tag", erklärt er. Er ist sich sicher, dass es für de Magistris unmöglich gewesen wäre, mit dem Geld eine Flotte von 400 Booten zu unterhalten.

Darüber hinaus dürfen Such- und Rettungseinsätze auf See in Italien nur dem Hafenmeisteramt und damit aus operativer Sicht nur der Küstenwache übertragen werden. Das bestätigten Quellen aus dem von Euronews konsultierten Hafenmeisteramt. Derartige Tätigkeiten sind auch durch das Völkerrecht geregelt. Hätte der Bürgermeister von Neapel daher eine zivile Flotte aufgestellt und eine Rettungsaktion geleitet, hätte er italienisches und internationales Recht verletzt. Das ist ein Grund, weshalb gegen NGOs mit ihren Rettungsschiffen ermittelt wird.

Autor: Simone Di Meo ist ein in Italien bekannter investigativer Journalist. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit organisierter und wirtschaftlicher Kriminalität und der Mafia. Er hat mehr als 30 Bücher geschrieben, von denen viele ins Ausland übersetzt wurden. Derzeit arbeitet er mit der Tageszeitung La Verità und für das Wochenmagazin Panorama.

Mitarbeit: Lillo Montalto Monella& Linda Fischer

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