Russlands SSC-8, China und der INF-Vertrag: Atomare Abrüstung Ade

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Von Hans von der Breliedpa
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Ab heute ist die Welt weniger sicher. Den INF-Vertrag zur Abschaffung nuklearer Mittelstreckenraketen gibt es nicht mehr. Wird jetzt aufgerüstet?

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Jetzt ist es offiziell: Der INF-Vertrag zum Verzicht auf landgestützte atomare Mittelstreckenwaffen ist Geschichte. Russland und die USA dürfen wieder ohne Beschränkungen nuklear bestückte Mittelstreckenraketen bauen.

Weltweit machen sich nun Menschen erneut Sorgen, ob es zu einer Neuauflage des globalen Wettrüstens kommt. Insbesondere auf dem europäischen Kontinent müssen die Bürger nun mit einer völlig veränderten Sicherheitslage zurechtkommen.

Möglichkeit eines neuen Wettrüstens

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte in Brüssel: "Wir werden sicherstellen, dass unsere nukleare Abschreckung gesichert ist und wirksam bleibt. Unsere Verbündeten verpflichten sich auch weiterhin, eine effektive internationale Rüstungskontrolle und Nichtweiterverbreitung (von Nuklearwaffen) beizubehalten."

Stoltenbergs Kernaussage am Freitag: "Wir werden nicht spiegelbildlich zu Russland handeln. Wir wollen kein neues Wettrüsten." Allerdings relativierte Stoltenberg diese Aussage. Denn um ein neues Wettrüsten zu verhindern, müsse Russland sein Verhalten ändern.

Das Problem der russischen SSC-8

Die USA hatten den INF-Vertrag gekündigt, weil Russland das Mittelstreckensystem SSC-8 bis zur Einsatzreife entwickelt hat. Diese atomar bestückten Raketen fliegen laut Einschätzung westlicher Militärexperten bis zu 2000 Kilometer weit. Träfe dies zu, sind die SSC-8 eine eindeutige, systematische und seit Jahren andauernde Verletzung des INF-Vertrages.

Russland behauptet hingegen, die SSC-8 könne nur 480 Kilometer weit fliegen und sei deshalb eine Kurzstreckenrakete. Die Definition von "Mittelstreckenrakete" beinhaltet Waffen, die einen Einsatzradius zwischen 500 und 5500 Kilometer haben.

Meilenstein der Abrüstung nun auf Müllhaufen der Geschichte

Der INF-Vertrag gilt als ein Meilenstein der Abrüstungspolitik und Wegbereiter des Ende des Kalten Krieges. Am achten Dezember 1987 unterzeichneten der sowjetische Parteichef Michail Gorbatchow und US-Präsident Ronald Reagan den Vertrag, mit dem sie sich zur Abschaffung einer ganzen Kategorie von Mittelstreckenwaffen verpflichteten.

Allerdings hatte der Vertrag schon damals Lücken, da er nur für landgestützte nukleare Abschusssysteme galt, nicht aber für solche Marschflugkörper, die von Unterseebooten oder Flugzeugen aus abgeschossen werden können.

Chinas Atomrüstung

Moskau wirft Washington vor, die Debatte um die Reichweite der russischen SSC-8 nur als Vorwand benutzt zu haben. In der Tat haben die USA seit einiger Zeit offen kritisiert, dass es sich bei dem russisch-amerikanischen Mittelstreckenvertrag um ein bilaterales Abkommen handele, an dem China nicht beteiligt sei. China hat in den vergangenen Jahren nuklear aufgerüstet und die USA interpretieren dies zunehmend als Bedrohung.

China soll mittlerweile über knapp 2000 ballistische Raketen und Marschflugkörper verfügen, die unter das Abkommen fallen würden. US-Präsident Donald Trump hat sich dafür ausgesprochen, bei neuen Verhandlungen auch China mit einzubeziehen. Peking hat aber bereits klar gemacht, dass es kein Interesse daran hat.

Multilaterales Abrüstungsabkommen als neues Ziel

Die bei der NATO akkreditierte Journalistin und Expertin für Abrüstungs- und Verteidigungsfragen, Teri Schultz, analysiert für Euronews die sich verdüsternde strategische Großwetterlage: "Die USA betonen, dass China nuklear aufrüste und keinem einzigen Vertrag zur atomaren Rüstungsbeschränkung angehöre. Die USA sagen, Russland habe den Vertrag ausgehebelt. Jetzt will Washington einen Vertrag mit mehreren Staaten. Ziel ist ein multilaterales nukleares Rahmenabkommen, um die Entwicklung von Nuklearwaffen einzuschränken."

Das Ziel eines multilateralen Abrüstungsvertrages mag gut klingen. Aber augenblicklich sieht das eher aus wie Traumtänzerei, meinen manche Beobachter. Wenn schon zwei Großmächte keinen Tango tanzen können, weil sie sich dauernd auf die Füße treten und sich auch nicht groß um die vorgeschriebene Schrittfolge scheren, wie soll das dann erst zu Dritt aussehen? Warum sollten Peking und Moskau einem von US-Präsident Trump vorgeschlagenen multilateralem Abkommen zustimmen, angesichts der Tatsache, dass Trump in seiner bisherigen Amtszeit dem Multilateralismus eine klare Absage erteilt hat? Sehr wahrscheinlich ist das weder für die nahe Zukunft noch mittelfristig.

Und nun?

Wie soll es weitergehen? Russlands jüngster Vorschlag für ein Moratorium zur Raketenstationierung lehnte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg als "Angebot ohne jede Glaubwürdigkeit" ab. Es gebe in Europa keine neuen Marschlugkörper der USA oder der NATO, dafür aber mehr und mehr russische, sagte er.

In diesem Zusammenhang könnte man auch an die komplexe Situation der russischen Enklave Kaliningrad erinnern. Westliche Sicherheitskreise gehen davon aus, dass Russland hier bereits nukleare Trägersysteme stationiert hat. Es könnte sich um Iskander-Systeme handeln. Davon gibt es eine Kurzstreckenversion und eine weiter fliegende Variante, die im unteren Mittelstreckenbereich liegt. Diese Raketen können nuklear bestückt werden und Warschau, Kopenhagen und Berlin erreichen.

Nato fordert von Russland Zerstörung von Mittelstreckenwaffen

Wenn Russland wirklich keine Mittelstreckenwaffen in Europa wolle, solle es erst einmal damit aufhören, selbst welche zu stationieren, ergänzte der NATO-Generalsekretär. Zudem könnte Russland die bereits vorhandenen Systeme zerstören.

Während die NATO die Verantwortung für das Scheitern des INF-Vertrages Russland zuschrieb, reagierte Moskau mit einer Schuldzuweisung an die USA: «Washington hat einen schwerwiegenden Fehler begangen», hieß es in einer Mitteilung der Agentur Tass zufolge.

Atomares Damoklesschwert über Europa

Von russischer Seite wurde darüber hinaus angekündigt, nun auch landgestützte Hyperschall-Mittelstreckenraketen entwickeln zu wollen. Das Gefährliche daran sind geringere Vorwarnzeiten. Das atomare Damoklesschwert über den Köpfen insbesondere der europäischen NATO-Mitgliedstaaten führt zu einer weitreichenden Veränderung der Sicherheitslage von Ländern wie beispielsweise Deutschland.

Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik mit Sitz in Berlin hat zu dieser Problematik eine Analyse veröffentlicht, auf die Sie über den hier eingebetteten Tweet zugreifen können.

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NATO-Partner geschlossen

Die Nato-Partner stellten sich unterdessen mit einer gemeinsamen Erklärung geschlossen hinter die Entscheidung der USA, aus dem INF-Vertrag auszusteigen. Die Nato will in den kommenden Monaten entscheiden, wie sie auf das Aus für den Abrüstungsvertrag und die russischen SSC-8 reagiert.

Eine Option ist, dass die Bündnisstaaten ihre Präsenz im östlichen Bündnisgebiet und in der Ostsee verstärken und den Schutz kritischer Infrastruktur durch Raketen- und Luftabwehrsysteme ausbauen. Zudem könnten neue konventionelle Waffensysteme und Raketenabwehrsysteme stationiert werden, um Russland abzuschrecken.

Deutsche wollen keine Atomwaffen auf deutschem Boden

Die Stationierung neuer landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa gehört nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg derzeit nicht zu den Optionen. Das ist offenbar ganz im Sinne der deutschen Bundesregierung. "Eine Stationierung neuer Mittelstreckenraketen würde in Deutschland auf breiten Widerstand stoßen", sagte Außenminister Heiko Maas (SPD).

Meinungsumfragen belegen das. 86 Prozent der Befragten einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Umfrage wollen, dass Berlin den USA die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden verbietet.

Deutschlands Beitrag zur nuklearen Abschreckung

84 Prozent der Befragten wollen gar keine US-Atomwaffen mehr in Deutschland. Nach Angaben aus Militärkreisen lagern auf dem Bundeswehr-Stützpunkt im rheinland-pfälzischen Büchel derzeit noch etwa 20 Atombomben. Die B61-4 haben eine Sprengkraft von bis zu 50 Kilotonnen und sollen im Ernstfall von Eurofighter-Kampfjets der Bundeswehr an ihr Ziel gebracht werden. Sie sind Deutschlands Beitrag zur nuklearen Abschreckung der NATO.

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Unmittelbar vor dem strategisch wichtigen Ende des INF-Vertrages hatte sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit der neuen deutschen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer besprochen, um Handlungsoptionen durchzusprechen.

Weniger Sicherheit in Europa

Der deutsche Außenminister Heiko Maas betonte, die Bundesrepublik Deutschland bedauere, dass Russland nicht das Notwendige getan habe, den INF-Vertrag zu retten. "Mit dem Ende des INF-Vertrages geht ein Stück Sicherheit in Europa verloren", so Maas auf Twitter.

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