Plácido Domingo: Frauenheld oder Gentleman? Wie #MeToo die Opernwelt bewegt

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Von Anne Fleischmann
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Die Diskussionen um den spanischen Opernstar Plácido Domingo brechen nicht ab. Euronews hat mit zwei Opernsängerinnen gesprochen, die mit ihm schon zusammengearbeitet haben.

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Die Diskussionen um den spanischen Opernstar Plácido Domingo brechen nicht ab. Im Zuge der #MeToo-Bewegung haben acht Sängerinnen und eine Tänzerin dem Opernstar sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Domingo habe sie ungewollt umarmt, auf den Mund geküsst, nachts angerufen und auf private Treffen gedrängt. 

Bei den Salzburger Festspielen und im ungarischen Szeged bekam Domingo trotz der Vorwürfe minutenlangen Applaus, teilweise sogar stehende Ovationen. 

Ein starker Gegensatz zu Häusern in den USA. Dort haben unter anderem die Oper in San Francisco sowie das Philadelphia Orchestra Konzerte mit dem Star abgesagt. Die transatlantische Spaltung in der #MeToo-Bewegung wird durch den Umgang mit den Anschuldigungen mehr als sichtbar. 

_Euronews hat mit zwei Opernsängerinnen gesprochen, die schon mit Domingo zusammengearbeitet haben. Ihre Namen sowie der Name einer angehenden Sängerin wurden von der Redaktion geändert, da sie anonym bleiben wollen. Die Identitäten der Frauen sind Euronews jedoch bekannt. _

"Er ist ein Gentleman"

Lydia* kommt aus Asien und arbeitet an einer italienischen Oper. Sie hat schon mit Domingo zusammengearbeitet und ihn zwei Mal privat getroffen. "Er ist ein bisschen ein Frauenheld. Aber er ist lustig und es hat mich nicht weiter gestört", erzählt sie Euronews. 

Emily* denkt etwas anders. "Er ist ein Gentleman", sagt sie im Gespräch mit Euronews. "Er ist ein sehr süßer Mann. Ich hatte ein sehr schönes Gespräch mit ihm über Musik, über seine Gedanken und darüber, was er in Amerika machen möchte. Er ist sehr großzügig und so extrem talentiert." Emily ist seit 2003 professionelle Opernsängerin. Seit 2011 arbeitet sie für ein Londoner Haus. 

Sich zu den Anschuldigungen zu äußern, fällt Emily schwer, weil sie solch negative Erfahrungen nicht gemacht hat - weder mit Domingo noch mit einem anderen Kollegen. 

"Ich habe persönlich mit ihm hinter der Bühne, in unserem Büro, gesprochen. Aber auf eine äußerst professionelle Weise. Und ich habe mit vielen Künstlern gesprochen. Einige von ihnen sind etwas freundlicher und engagierter. Aber es ist immer zu einhundert Prozent professionell."

"Einige haben vielleicht andere Grenze als man selbst. Im Allgemeinen sind sie aber alle sehr respektvoll und professionell. Man muss jedoch bedenken, dass wir in dieser Branche viel mehr Körperkontakt miteinander haben als in anderen Berufen. Jemand muss deine Hand oder deinen Arm halten oder seine Arme um dich legen. Diese Situationen sind alltäglich. In anderen Jobs gibt es das nicht", erklärt sie.  

Sarah* ist angehende Opernsängerin und in ihrem letzten Ausbildungsjahr an einer deutschen Universität. Sie weiß von unangenehmen Situationen für SängerInnen und Übergriffen.

"Viele in Machtpositionen sind Choleriker. Wie die dann reagieren, wenn man sie ablehnt ist fraglich", sagt sie. "Ein Intendant hat uns mal gesagt, Nacktszenen kann man schon verweigern, aber es kommt nicht gut an. Ob du dann die Rolle beim nächsten Mal wiederbekommst, ist die Frage. Wahrscheinlich eher nicht." 

Diese Meinung teilt auch Lydia. "Andere, über die nicht gesprochen wird, sind viel schlimmer als er (Domingo)", sagt sie. "Um eine Rolle zu bekommen, müssen wir vorsprechen. Meistens fragen Agenten dann bei den Vorsprechen nach deiner Telefonnummer. Es ist schwer, wichtige Manager abzulehnen, besonders für ausländische Frauen."

#MeToo erreicht die Opernwelt

Der #MeToo-Hashtag kommt ursprünglich von der Schauspielerin Alyssa Milano. 2018 startete sie ihre Kampagne: Frauen sollen unter Nutzung des Hashtags ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung oder Missbrauch teilen. 

Auch die Schauspielerei ist eine kreative Branche - doch erst jetzt schwappt die Bewegung über in die Opernwelt. 

"Domingo ist wie der Michael Jackson der Oper, er ist mächtiger als normale Agenturen", erklärt Lydia.

Sarah hat eine ähnliche Meinung. Viele würden sich nicht trauen, etwas zu sagen. Das Operngeschäft sei hart umkämpft. "Es gibt leider zu viele Solisten und keine Gewerkschaft für sie. Es gibt glaube ich schon viele, die sich nicht trauen, die Macht anzugreifen." 

Der Grund: Viele hätten keinen Vertrag. Würden als freie Sängerinnen und Sänger arbeiten und seien damit angewiesen auf die Gunst von Agenten und Intendanten. 

"Ich habe das noch nie selbst miterlebt. Es ist eine knifflige Angelegenheit.", sagt Emily. Sie glaubt, in der Opernbranche sei es schwieriger, Menschen unter Druck zu setzen, da die Rollen klar nach Geschlechtern vergeben werden. "Du kannst die Rolle eines Mannes nicht einer Frau geben und umgekehrt", erklärt sie.

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Was Sänger betreffe, die ihre Karriere vorantreiben wollen und "Sex als Weg dorthin nutzen", sei sie sich sicher, dass es Menschen gibt, die das ausnutzen. 

"Ich glaube nicht, dass unsere Branche anders ist. Solche Typen gibt es überall. Ich bin froh, dass Frauen sich für sich selbst einsetzen. Dass sie gehört und gesehen werden wollen. Ich bin sicher, dass sowas (sexuelle Übergriffe) noch existiert. Ich selbst habe aber keine Erfahrung damit", erklärt Emily. 

#MeToo habe Menschen jedoch die Möglichkeit gegeben, sich zu äußern. "Vielleicht hatten sie diese vor Jahren nicht oder das Gefühl, nicht gehört zu werden. Jetzt haben sie die Möglichkeit, frühere Erfahrungen zu diskutieren. Ich glaube nicht, dass dies eine schlechte Sache ist. Es gibt echte Fälle", findet Emily.  

Europa und USA unterschiedlicher Meinung

Obwohl Domingo alle Anschuldigungen zurückgewiesen hat, haben Konzerthäuser in den USA Konsequenzen aus dem Fall gezogen und Konzerte mit der spanischen Opernlegende abgesagt. 

Die San Francisco Opera schrieb in einer Mitteilung, dass sie großen Wert darauflege, "ein sicheres und geschütztes Umfeld zu schaffen, in dem sich jeder auf seine Arbeit und Kunst konzentrieren kann und in dem Kollegen mit Respekt, Würde und Kollegialität behandelt werden". 

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Die Oper in Los Angeles kündigte eine Untersuchung der Vorwürfe an. Dort hat Domingo den Posten als Generaldirektor inne. 

"Ich denke, er ist ein sehr aufrichtiger Mensch", sagt sie. "Sollte sich herausstellen, dass es eine überwältigende Beweislage gibt, um die Anschuldigungen zu unterstützen, ist das eine echte Schande", sagt Emily

"Er ist seit vielen, vielen Jahren ein wichtiger Teil der Opernwelt und wird von vielen sehr respektiert und geliebt. Ich denke, die Opernwelt ist traurig für ihn und traurig, dass diese Anschuldigungen erhoben werden." 

Das ist zumindest der Fall in Europa. Mehrere spanische Sängerinnen stellten sich öffentlich auf die Seite Domingos. In Österreich und Ungarn wurde er wärmstens empfangen. 

"Bis es einen ordnungsgemäßen Prozess gegeben hat, sollte er in der Lage sein, weiterzumachen. Seine Karriere und sein Leben fortzusetzen", fordert Emily. "Es ist unfair ihn vor einen fahrenden Bus zu werfen, nur, weil jemand etwas sagt, es aber noch nicht richtig untersucht wurde. Es gibt viele Anschuldigungen, aber er wurde nicht angeklagt." 

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"Es ist wirklich schädlich für ihn und seine Karriere. Ich unterstütze die europäischen Häuser, die ihn unterstützen." 

Welche Auswirkungen können die Anschuldigungen auf die Zukunft der Opernwelt haben?

"Ich glaube nicht, dass die Dinge, die jetzt herauskommen, eine schlechte Sache sind. Es gibt Aufschluss darüber, wie er sich von nun an verhält. Ich war vor 30 Jahren nicht dabei, ich weiß nicht wie es war. Aber in meiner Tätigkeit als hauptberufliches Mitglied einer Operngesellschaft habe ich seit 2011 noch nie etwas erlebt, das ich für wirklich unangemessen hielt", erzählt Emily

Sie hält Diskussionen wie die aktuelle jedoch für sinnvoll und notwendig. Sie würden helfen, das professionelle Umfeld zum Besseren zu entwickeln. 

"Ich glaube wir werden besser darin, Grenzen und professionelle Standards aufzuzeigen. Ich glaube aber, dass man Menschen nicht nach den Standards beurteilen kann, die wir jetzt haben, wie sie vor 30 oder 40 Jahren gearbeitet haben", sagt sie. 

"Ich will nicht sagen, dass nichts davon passiert ist, weil ich nicht dabei war. Es bedeutet nicht, dass es nicht passiert ist. Aber es bedeutet, dass wir sagen können, dass es nie wieder passieren wird." 

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Für Sarah zeigt die Debatte auch die unausgeglichene Geschlechterverteilung bei Intendanten in der Opernwelt. Sie wünscht sich, dass sich das durch solche Diskussionen in Zukunft ändert. "Eigentlich sollten auch mal Frauen als Intendanten arbeiten. Das gibt es fast gar nicht."

*Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

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