Salman Khan: "Bildung ist die ultimative Rettungsleine"

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Von Sergio CantoneSabine Sans
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Der Pädagoge und Unternehmer hat den Prinzessin-von-Asturien-Preis 2019 in der Kategorie internationale Zusammenarbeit erhalten. Im Interview mit euronews spricht er über die Zukunft der Bildung.

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Salman "Sal" Khan hat den Prinzessin-von-Asturien-Preis in der Kategorie internationale Zusammenarbeit gewonnen. Begrüßt vom traditionellen Klang der asturischen Dudelsäcke wurde Salman Khan von Leonor, Prinzessin von Asturien, ausgezeichnet. Erstmals verlieh die 13-jährige Erbin der spanischen Krone selbst die Preise in Oviedo. Im interview mit euronews sprach der geborene Lehrer über die Zukunft der Bildung.

euronews-Reporter Sergio Cantone:
Herr Khan, warum haben Sie ein kostenloses Online-Lernportal geschaffen?

Salman Khan:
Es begann eher zufällig. Ich habe Familienmitgliedern Nachhilfe gegeben, das sprach sich in der Familie herum und so wurden es immer mehr. Mein ursprünglicher Hintergrund liegt im Software-Bereich. Deshalb begann ich die Aufgaben und Übungen aufzuschreiben und eine Software dafür zu entwickeln. Um mich zu unterstützen, fingen Freunde an, Videos zu machen. Diese Videos von mir waren öffentlich zugänglich und wurden immer beliebter. Ein paar Jahre später wurden sie von Hunderttausenden genutzt. Ich hatte einen Job nebenbei - besser gesagt eher ein Nebenprojekt - und irgendwann sagte ich mir: 'Ich will das mit all meiner Energie tun'. Ich dachte, ich könnte damit eine Firma aufziehen. Ich lebte im Silicon Valley, es gab viele Risikokapitalgeber, die an einem Investment interessiert waren.

euronews:
Aber sollte Bildung im Allgemeinen nicht kostenlos sein? Wie passen diese beiden Dinge zusammen?

Salman Khan:
Ich arbeitete früher im Finanzbereich, ich war ein Hedge-Fonds-Analyst.

euronews:
Ja, deshalb habe ich diese Frage gestellt.

Bildung sollte kostenlos sein

Salman Khan:
Es ging darum, so viel wie möglich Gewinn zu erzielen. Ich hatte jeden Tag mit Unternehmen zu tun und habe gesehen, wie sehr die Eigentümerstruktur bestimmt, wie das Unternehmen handelt. Ich hatte sogar mit kommerziellen Bildungsunternehmen zu tun und habe gesehen, dass ihre Beweggründe manchmal nicht mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Schüler übereinstimmten. Das hatte ich im Kopf, als ich mit der 'Khan Academy' begann. Meiner Meinung nach sind Bildung - und wahrscheinlich auch das Gesundheitswesen - zwei Bereiche, in denen die traditionellen Marktkräfte nicht zu dem besten Ergebnis führen. Wir wollen keine Welt, in der, wenn jemand blutet, erst in seinen Geldbeutel geschaut wird, bevor man ihn behandelt. Oder eine Welt, in der es vom Geld abhängt, ob Mädchen oder Jungen lernen können. Wir wollen keine Welt, in der unsere Kinder weitaus mehr Privilegien haben als Kinder, deren Eltern nicht in der Lage sind, für sie zu sorgen. Das war die Hauptmotivation.

euronews:
Sie wollten also eine Art sicheren Hafen, ein Back-up für Menschen in Not schaffen, für Menschen mit Bildungsbedarf.

Salman Khan:
Genau, Bildung ist die ultimative Rettungsleine. Sobald Grundbedürfnisse wie Essen, Unterkunft und Sicherheit gesichert sind, dann ist es die Bildung, die einem erlaubt, seine Situation zu verbessern. Sie und ich, wir hatten Glück, wo und in welche Umstände wir hinein geboren wurden. Aber wenn deine Lebensumstände nicht so glücklich sind, wenn man irgendwo anders geboren wurde, was können wir für diese Menschen tun, damit sie die maximalen Chancen oder zumindest die Gelegenheit dafür bekommen. Man kann nicht bestimmen, was Menschen aus sich machen. Aber man kann ihnen zumindest einen kleinen Zugang zu den Möglichkeiten eröffnen, damit sie ihr Potenzial ausschöpfen können. Silicon Valley ist ein Beispiel dafür, dort wird viel Wohlstand geschaffen. Deshalb frage ich meine Freunde immer: Wo bleibt die Kultur? Mit diesem Reichtum geht eine Verantwortung einher, nicht nur Technologie zu schaffen, nicht nur Dinge, von denen man weiß, dass Menschen danach süchtig werden, wie ihr Telefon. Sondern Dinge, die unser Leben tatsächlich bereichern.

euronews:
Soweit ich sehen kann, konzentriert sich die Khan-Academy hauptsächlich auf Naturwissenschaften, Technik und natürlich Mathematik. Und das einzige Zugeständnis, das in Richtung humanistische Fächer geht, ist Geschichte, warum?

Zusatzangebot zu traditionellen Schulen

Salman Khan:
Ja, wir haben mit Mathematik angefangen. Damit hatten meine Cousins Probleme, da liegen meine Stärken und in diesem Fach gibt es viel Bedarf. Viele Schüler auf der ganzen Welt haben Probleme mit Mathematik, sie kommen nicht weiter. Also haben wir mit diesem Fach angefangen und dann weitere Naturwissenschaften und wie Sie sagten, Geschichte. Und natürlich wollen wir Fächer wie Schreiben und Literatur sowie viele andere Themen anbieten. Aber online gibt es bestimmte Dinge, die wir gut und bestimmte Dinge, die wir nicht so gut machen können. Und unsere Vision war immer: Wir versuchen, so viel wie möglich auf unserer Plattform anzubieten und das wird den Schülern, die in eine traditionelle Schule gehen, hoffentlich Zeit einsparen, um sich anderen Dingen widmen zu können. Ich hoffe, dass wir im Laufe der Zeit andere Themen anbieten können, um das Angebot von traditionellen Schulen zu ergänzen.

euronews:
_Es gibt eine weit verbreitete Angst vor künstlicher Intelligenz, vor Robotern. Meinen Sie nicht, dass eine Stärkung der humanistischen Bildung wie der Literatur oder der Philosophie auch dabei helfen könnte, den Menschen Selbstvertrauen zu geben, eine Bestärkung sein könnte, dass der Mensch immer noch wichtig ist und auch über Roboter herrschen wird, selbst wenn sie eines Tages perfekt sein werden?
_**
Salman Khan:**
Ja, absolut. Ich glaube fest daran, dass der Grund, warum wir lernen, nicht nur darin besteht, einen Job zu bekommen. Unsere Gesellschaft verändert sich dramatisch aufgrund Künstlicher Intelligenz, aufgrund der Biotechnologie. Heute gibt es Dinge wie die CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats)-Methode, mit der man den genetischen Code verändern kann. Das sind große, wichtige Themen. Da geht es nicht nur um Technologie, das sind philosophische Themen. Und damit wir über diese gesellschaftsrelevanten Themen mitbestimmen und unseren Führungskräften helfen können, die richtige Entscheidung zu treffen, muss jeder informiert sein. Man muss verstehen, was die richtige Philosophie, die richtige Ethik ist, um ein Genom zu verändern oder Künstliche Intelligenz zu nutzen. Man sollte auch ein wenig von Computer und ja, auch von Genetik verstehen. Aber man muss auch wissen, was große Philosophen dachten, was es bedeutet, Mensch zu sein. Ob es in Ordnung ist, etwas zu verändern, all diese komplexen Fragen. Ich stimme Ihnen völlig zu.

Welchen Platz hat die Religion in der Bildung?

euronews:
Und gibt es in dieser Bildungsstruktur, von der Sie sprechen, Platz für die Religion?

Salman Khan:
Religionen können falsch interpretiert werden und zu Abweichungen (vom Hauptstrom) führen. Wir sagen, das ist, was Christen glauben und das lehrt uns die Geschichte dazu. Das ist, was Muslime glauben, und das lehrt uns die Geschichte dazu. Das ist es, was die Hindus glauben etc. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele E-Mails wir bekommen, in denen die Leute schreiben: 'Das wusste ich nicht einmal von meiner Religion'. Ich bin in einer muslimischen Familie aufgewachsen und als ich Nachforschungen anstellte, fragte ich danach in meiner muslimischen Familie herum: Wisst ihr eigentlich, wer die am häufigsten genannte Person im Koran ist? Und sie fragten wer? Mohammed? Moses? Und ich erzählte ihnen, nein, Jesus Christus. Und sie sagten: 'Wow, das wusste ich nicht'. In der Moschee, in die sie gehen, wird nicht so viel über Jesus gesprochen. Ich denke, es bringt die Menschen zusammen, wenn man sogar etwas über die eigene Religion aus akademischer Sicht und auch aus philosophischer Sicht lernt.

euronews:
Glauben Sie, dass die 'Khan-Academy' auch entlegene Gebiete der Welt erreichen könnte, wie zum Beispiel die Berge Afghanistans oder andere Teile der Welt, wo Bildung dringend nötig ist?

Salman Khan:
Das ist meine Hoffnung. Meine Familie kommt ursprünglich aus dem indischen Subkontinent, dort gibt es viele arme Kinder. Sie haben keinen Zugang zur Schule oder die Schulen dort sind nicht sehr gut. Aber jetzt sind die Breitband-Netzkosten für Mobiltelefone auf 2 oder 3 Dollar oder Euro pro Monat gesunken. Wenn man also in ein abgelegenes Dorf in Indien geht, gibt es dort vielleicht keinen Strom, sie haben vielleicht nicht einmal fließendes Wasser, aber sie haben jetzt Internetzugang. Und das macht es spannend für uns, denn wir erreichen die Schüler. Ich denke, der einzige Grund, warum wir bestimmte Gebiete nicht erreichen können, ist, wenn die Regierungen den Zugang nicht erlauben. Das könnte in Teilen Afghanistans schwierig sein, in Nordkorea.

euronews:
Generell in Diktaturen.

Salman Khan:
Diktaturen. Aber sonst, es ist eine aufregende Welt, wir können endlich diese Schüler erreichen.

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