Wer ist Carlos Ghosn?

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Von Euronews mit Jasmin Bauomy
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Wer ist der 65-Jährige Ex-Automanager, dem ohne Pass die Flucht aus japanischem Hausarrest in den Libanon gelang?

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Lange Zeit war er als "Kostenkiller", "Mr. Fix-it", und einer der erfolgreichsten Manager der Welt bekannt: Carlos Ghosn, ehemaliger Geschäftsführer von Nissan. Jetzt ist er auf der Flucht.

Ihm werden Verstöße gegen Börsenauflagen vorgeworfen, zusammen mit anderen finanziellen Fehlverhaltensvorwürfen bestimmen sie die Schlagzeilen über den Mann, der den japanischen Automobilkonzern Nissan vor dem Bankrott gerettet hat.

Zwischen den Kulturen

Ghosn (reimt sich auf "Telefon") wurde am 9. März 1954 in Brasilien als Sohn libanesischer Einwanderer geboren. Als er sechs Jahre alt war, zog er mit seiner Mutter zurück in den Libanon. Er wuchs im Libanon auf und zog in den siebziger Jahren zum Studium nach Frankreich. Er hat zwei Abschlüsse als Ingenieur, von denen er 1974 einen an der renommierten Ecole Polytechnique erwarb.

Er spricht vier Sprachen: Arabisch, Portugiesisch, Französisch und Englisch. Irgendwann fing er auch an, Japanisch zu lernen.

Heute ist er Vater von vier Kindern aus seiner ersten Ehe. Er hat 2016 wieder geheiratet und ist seitdem mit seiner Frau Carole Nahas zusammen.

Im Jahr 2005 erzählte er einem Reporter der Detroit News: "Weil man anders ist, versucht man sich zu integrieren und das drängt einen dazu, zu versuchen, die Umgebung zu verstehen, in der man sich befindet."

"Das entwickelt die Fähigkeit, zuzuhören, zu beobachten und zu vergleichen - Eigenschaften, die sehr nützlich sind, um zu managen", fügte er hinzu.

Ghosns frühe Karriere

Der Mann, der als einer der leistungsfähigsten Manager der Automobilindustrie bekannt ist, begann seine Karriere als Management-Trainee beim französischen Reifenhersteller Michelin. Mit etwas mehr als 30 Jahren stieg er rasch zum Chief Operating Officer des Unternehmens in Brasilien auf.

In Brasilien gelang es ihm schnell, das angeschlagene Südamerika-Geschäft von Michelin trotz der fragilen Finanzlage des Landes wieder auf die Beine zu bringen. Seine Strategie bestand darin, Arbeitsgruppen zu bilden, in denen Menschen aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens zusammenarbeiten, statt isoliert. Zwei Jahre nach seiner Ankunft erzielte die Südamerika-Abteilung von Michelin einen Gewinn.

Er wiederholte seinen Erfolg, als er 1988 CEO von Michelins Nordamerika-Geschäft wurde.

Ghosn schaffte es, eine Fusion mit einem inländischen Reifenhersteller durchzusetzen, wodurch sich die Größe seiner Abteilung verdoppelte.

Sein Aufstieg stieß bald darauf an Grenzen, da Michelin ein Familienunternehmen ist. Der damalige Chef von Michelin stand kurz vor der Pensionierung, hatte aber bereits seinen Sohn zum Nachfolger bestimmt.

Also stellte sich Ghosn einer neuen Herausforderung: Renault.

Ghosn rettet Renault und Nissan

Ghosn kam 1996 in einer schwierigen Zeit zum französischen Automobilhersteller Renault. Das Unternehmen stand kurz vor dem Bankrott und so begann er eine riesige Umstrukturierungskampagne.

In einem Interview mit der Zeitschrift Fortune im Jahr 2003 sprach Ghosn über die Unternehmenskultur von Renault, als erin die Firma eingetreten war, und sagte, dass viel Zeit mit "Diskussionen über alles und nichts" verschwendet wurde. Er erwähnte auch seine Überzeugung, dass "man nicht immer gleichzeitig hohe Produktivität und hohe Moral haben kann".

Ghosn schloss ein Renault-Werk in Belgien. Das kostete 3.000 Arbeiter ihren Arbeitsplatz. Dadurch erwarb er seinen Titel als "Kostenkiller".

Doch Renault florierte und wurde schließlich zu einer der meistverkauften Marken in Westeuropa.

Als Ghosn kam, hatte die französische Regierung einen Anteil von 80 Prozent an dem Unternehmen, Mitte der 2000er Jahre war dieser Anteil auf 15 Prozent gesunken.

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1999 war der Beginn eines neuen Abenteuers für Ghosn. Damals kaufte Renault 36,8 Prozent des angeschlagenen japanischen Autobauers Nissan für rund 7 Milliarden Dollar.

Bemerkenswerte Kehrtwende bei Nissan

Zu der Zeit war Nissan mit etwa 36,5 Milliarden Dollar verschuldet, was auf die Verluste der letzten fünf Jahre und die schlechten Verkaufszahlen von nicht sehr innovativen Autos und Lastwagen zurückzuführen ist. Das Unternehmen war in der Technologie hinter Konkurrenten wie Toyota und Honda zurückgefallen.

Ghosn wurde nach Tokio geschickt, um dort CEO von Nissan zu werden. "Herr Fix-it" entwickelte einen ehrgeizigen Umstrukturierungsplan, der die schlechten Verkaufszahlen berücksichtigte. Er schloss fünf Fabriken und baute etwa 21.000 Arbeitsplätze ab und verkaufte ein Bündel von Aktien, um Nissans Schulden zu reduzieren.

Um neue Modelle auf dem Markt hervorzuheben, stellte Ghosn einen Top-Designer der Konkurrenzfirma Isuzu ein und flog Renault-Personal aus Frankreich ein, um das Unternehmen an die Spitze zu bringen.

Als erster Nicht-Japaner, der Nissan führte, war die Anfangsphase etwas holprig. Aber seine Popularität schoss in die Höhe, als er Nissan innerhalb eines Jahres, weit vor dem Zeitplan, aus dem Konkurs führte. Auch alle anderen Pläne von Nissan schienen aufgegangen zu sein und das Unternehmen stieg bald zum Marktführer auf.

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Er wurde so populär, dass man ihn sogar zum Star einer japanischen Manga-Comicserie machte und sein Heimatland Libanon sprach sogar davon, dass Ghosn möglicherweise ein Präsidentschaftskandidat werden könnte.

Aus Renault-Nissan wird die Allianz Renault-Nissan-Mitsubishi

Ursprünglich war geplant, dass Ghosn nach der Pensionierung von Louis Schweitzer im Jahr 2005 die Position des Renault-CEO` s übernimmt. Aber Ghosn war bereit für noch mehr Verantwortung.

Also entschied er sich, als Kovorsitzender bei Nissan zu bleiben, während er gleichzeitig die Positionen des Präsidenten und CEO bei Renault übernahm und große Pläne hatte.

Im Jahr 2016 übernahm Nissan eine kontrollierende 34-prozentige Beteiligung an der Mitsubishi Motors Corp. für 2,29 Milliarden Dollar. Mitsubishi war in heikles Fahrwasser geraten, nachdem das Unternehmen Anfang des Jahres zugegeben hatte, dass es bei einigen seiner Autos den Kilometerstand zu hoch angesetzt hatte.

So übernahm Ghosn zusätzlich zu seinen Positionen bei Nissan und Renault den Vorsitz bei Mitsubishi.

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Die Investition machte die Renault-Nissan-Mitsubishi-Allianz zum viertgrößten Automobilkonzern der Welt, nach Toyota, Volkswagen und General Motors.

Trotz all seiner Erfolge in der Automobilindustrie war Ghosn nicht als technischer Innovator bekannt. Das sagte Nissan-Marketingchef Steve Wilhite in einem Interview mit der Automotive News: "Wenn [Ghosn] einmal ein Problem verdaut hat, ist er wie die Anakonda, die eine Ziege verschluckt hat - alle anderen sehen ihm zu, was er gerade getan hat, aber er geht zur nächsten Mahlzeit über. Ghosn hat kein Problem damit, schnell und entschlossen Entscheidungen zu treffen.

Festnahme in Tokio

Am 19. November 2018 wurde Ghosn in seinem Privatjet in Tokio verhaftet, nachdem er gerade von einer Reise in den Libanon zurückgekehrt war.

Gegen Ghosn wurde Anklage erhoben, weil er sein künftiges Lohnpaket zu niedrig ausgewiesen und das Vertrauen gebrochen haben soll. Ghosn beteuert jedoch bis heute seine Unschuld.

Er blieb 108 Tage lang in Haft und wurde im März 2019 gegen eine Kaution von 9 Millionen Dollar freigelassen. Danach wurde er erneut verhaftet und gegen eine Kaution von 4,5 Millionen Dollar unter der Bedingung eines strengen Hausarrests wieder freigelassen.

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Anfang 2019 reichte Ghosns Frau eine Petition bei Human Rights Watch ein, um gegen Japans grausames und unmenschliches" Justizsystem zu protestieren und sich über die Behandlung ihres Mannes seit seiner Verhaftung zu beschweren.

Ghosn war in einer Zelle mit wenig Kontakt zur Außenwelt festgehalten worden, durfte seine Familie nicht sehen und hatte nur begrenzten Zugang zu seinen Anwälten.

Ghosn verliert Exekutivrechte

Am Tag von Ghosns erster Verhaftung verkündete Nissan-Chef Hiroto Saikawa, dass er aus dem Vorstand entlassen werde und bald darauf seine Exekutivrechte verlieren würde. Im April 2019 stimmten die Nissan-Aktionäre dafür, Ghosn aus dem Vorstand zu entlassen.

Saikawa behauptete, dass Ghosn seine Vergütung zu niedrig angesetzt hatte und die Vermögenswerte des Unternehmens für den persönlichen Gebrauch verwendet hatte.

Mitsubishi entließ Ghosn auch gleich nach seiner Verhaftung als Vorsitzender. In der Zwischenzeit hatte Renault still gehalten und auf den Prozessausgang gewartet.

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In einem Interview mit Nikkei im Januar 2019 sagte Ghosn, er habe "keinen Zweifel" daran, dass die Anklage gegen ihn das Ergebnis von "Verschwörung und Verrat" von Nissan-Führungskräften sei, die sich seinem Plan für eine tiefere Integration zwischen Nissan, Renault und Mitsubishi widersetzten.

Die spektakuläre Flucht

Am 31. Dezember 2019 kam die Nachricht, dass Ghosn heimlich aus Japan geflohen war, seine Kaution sausen ließ und nun offiziell international auf der Flucht ist.

Junichiro Hironaka, Ghosns Hauptanwalt, sagte Reportern am Dienstagnachmittag, er sei fassungslos, dass Ghosn die Kautionsregeln nicht eingehalten habe. Er bestreite jede Beteiligung an oder Kenntnis von der Flucht. Er sagte, dass die Anwälte alle drei Pässe von Ghosn hätten und er sei verwirrt darüber, wie er das Land hätte verlassen können.

Laut libanesischen Medien kam Ghosn aus der Türkei nach Beirut. Japan hat kein Auslieferungsabkommen mit dem Libanon.

Ghosn gab eine schriftliche Erklärung ab: "Ich bin jetzt im Libanon und werde nicht länger von einem manipulierten japanischen Justizsystem als Geisel gehalten, in dem Schuld vermutet wird, Diskriminierung grassiert und grundlegende Menschenrechte verweigert werden, unter eklatanter Missachtung der rechtlichen Verpflichtungen Japans gemäß internationalem Recht und Verträgen, die es einzuhalten hat."

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Ghosn bestand darauf, dass er "nicht vor der Justiz geflohen ist", sondern "der Ungerechtigkeit und der politischen Verfolgung entkommen ist".

LESEN SIE MEHR: Ex-Nissan-Chef Carlos Ghosn flieht aus Japan in den Libanon, um "Ungerechtigkeit" zu vermeiden.

Die Verurteilungsrate in Japan liegt bei über 99% und einen Freispruch durch ein langwieriges Berufungsverfahren zu erlangen, könnte Jahre dauern. Rechtsaktivisten in Japan und im Ausland sagen, dass das Justizsystem nicht genug von der Unschuldsvermutung ausgeht und sich stark auf lange Inhaftierungen stützt, die zu falschen Geständnissen führen.

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