Pensionsstreik in Frankreich – es geht um die (Extra-)Wurst

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Von Anelise Borges, Sigrid Ulrich mit dpa, AFP
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In ganz Frankreich haben sich nach fünf Wochen Dauerstreiks wieder tausende Menschen zum Protest gegen die geplante Rentenreform versammelt - ein Machtkampf, den Vorgänger von Präsident Emmanuel Macron schon verloren haben

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In ganz Frankreich haben sich nach fünf Wochen Dauerstreiks wieder tausende Menschen zum Protest gegen die geplante Rentenreform versammelt, vor allem in Paris, Nantes, Toulouse, Bordeaux und Marseille. Es ist der vierte Massenprotest, zu dem Gewerkschaften ihre Anhänger aufgerufen haben.

In Paris kam es wieder zu massiven Störungen im Nahverkehr, im landesweiten Bahnverkehr gab es ebenfalls wieder Behinderungen. Auch Anwältinnen, Lehrer und Mitarbeiterinnen der Post legten ihre Arbeit nieder.

Präsident Emmanuel Macron will das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre erhöhen und das Rentensystem vereinheitlichen. Die Gewerkschaften sperren sich gegen Einschnitte bei Ruheständlern.

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Der Staatssekretär für Verkehr Jean-Baptiste Djebbari ist einer der wichtigsten Verhandlungsführer der Regierung. Er will die Reform unbedingt durchziehen.

"Es geht nicht um Durchsetzungsvermögen. Es geht um den Anspruch. Deshalb geht es darum, an einer Reform festzuhalten, die für viele Franzosen fairer wäre. Ich meine, das gehört zu einer verantwortungsvollen Politik. Der soziale Dialog findet statt. Fortschritte in den kommenden Tagen sind drin, zu einem wünschenswerten Kompromiss."

RECHTE ODER PRIVILEGIEN?

In Frankreichs Nachkriegsrentensystem liegt das offizielle Rentenalter bei 62 Jahren, aber manche Sektoren und Berufsgruppen können schon mit Mitte 50 aufhören zu arbeiten, zum Beispiel Lokführer. Die Zahl der Demonstranten – Anfang Dezember waren es zwischen 806.000 (Innenministerium) und 1,5 Millionen (Hardliner-Gewerkschaft CGT) - gilt als Gradmesser für Empörung und Geduld der streikgeplaten Bevölkerung. Gewerkschafter (CFDT, gilt als rechtssozialdemokratisch) haben eine "Finanzierungskonferenz" vorgeschlagen.

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François Hommeril, Gewerkschaft CFE-CGC (Angestellte):

"Ganz abgesehen davon, wann dieser Ausstand zuende geht – berechenbar oder nicht – und unter welchen Bedingungen - wird es tiefe Narben geben, die weitaus wichtiger sind als die Einkommensverluste der Streikenden."

REKORDSTREIK

Schon jetzt gilt der Ausstand bei der französischen Staatsbahn SNCF als Rekordstreik, er lähmt das Land bereits seit 36 Tagen. Die zivile Luftfahrtbehörde hat außerdem vor Verspätungen und Flugausfällen gewarnt, Schulstunden fallen landesweit aus.

1995 hat schon mal ein konservativer Ministerpräsident versucht, das System der Extrawürste zu beenden: Alain Juppé. Nach wochenlangen Protesten nahm die Regierung die angestrebte Reform zurück.

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HEIKLES THEMA

Seit den 90er Jahren sei das Defizit des Rentensystems in Frankreich ein heikles Thema auf der politischen Agenda, so die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. Trotz verschiedener Reformen in der Vergangenheit sei die langfristige Finanzierung der Renten nicht gesichert. Laut dem Bericht des Rentenorientierungsrates (COR) vom November 2019 werde das Defizit 2025 zwischen 8 und 17 Milliarden Euro betragen.

Im Fokus der Debatte stehe nicht nur das Renteneintrittsalter, das niedrigste aller EU-Länder, sondern auch die Zersplitterung des Rentensystems: Mehrere Millionen Rentnerinnen und Rentner verteilten sich auf vierzig Sondersysteme, vor allem im öffentlichen Sektor und in Staatsunternehmen wie der SNCF und der Banque de France. Sie haben damit günstigere Ruhestandsregelungen als Angestellte der Privatwirtschaft.

1995 führte der Versuch, das System der Extrawürste zu beenden zu massiven Demonstrationen von Eisenbahnern, Postbeamten und anderen Angestellten im öffentlichen Dienst, die Frankreich drei Wochen lahmlegten.

Anelise Borges, Sigrid Ulrich mit dpa, AFP

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