Sadiq Khan: "Entfremdung zu den Menschen sollte EU zu denken geben"

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Von Darren McCaffrey
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Der Bürgermeister von London spricht mit euronews über die assoziierte Unionsbürgerschaft, die Zukunft des Brexit und sein Verhältnis zu Donald Trump.

Der Brexit ist erfolgt, Großbritannien hat die Europäische Union verlassen. Jetzt werden Verhandlungen darüber beginnen, wie die zukünftige Beziehung aussehen soll. Und wie sollte sie insbesondere für eine Stadt wie London aussehen, die deutlich für einen Verbleib in der EU gestimmt hat. Darüber spricht euronews-Reporter Darren McCaffrey in dieser Folge von "The Global Conversation" mit dem Bürgermeister von London Sadiq Khan im euronews-Studio in Brüssel.
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Euronews-Reporter Darren McCaffrey:**
Sie sprechen hier in Brüssel mit vielen Politkern über eine so genannte assoziierte Unionsbürgerschaft. Denn natürlich sind die Briten, seit Großbritannien die Europäische Union verlassen hat, keine EU-Bürger mehr. Was ist eine assoziierte Unionsbürgerschaft?

Sadiq Khan, Londoner Bürgermeister:
Vielen Ihrer Zuschauer ist es vielleicht nicht klar, aber es gibt Millionen von Londonern und Menschen im ganzen Land, denen es das Herz gebrochen hat, dass wir die Europäische Union verlassen haben. Am Ende dieses Jahres verlassen wir den Binnenmarkt und werden die Freizügigkeit verlieren, die in der Europäischen Union gilt. Es gibt die Idee der Unionsbürgerschaft, das Konzept geht auf den Maastricht-Vertrag zurück, die EU-Bürgerschaft. Und einer der Punkte, die ich gegenüber hohen Politikern in Brüssel angesprochen habe, ist, dass wir - obwohl wir die EU verlassen haben und wahrscheinlich Ende des Jahres den Binnenmarkt verlassen werden - gibt es für diejenigen von uns, die mit der Europäischen Union verbunden bleiben wollen, die Möglichkeit, eine Form der assoziierten Unionsbürgerschaft zu haben? Ich akzeptiere, dass wir nicht dieselben Privilegien erhalten werden, die wir hatten, als wir Mitglied der Europäischen Union waren, weil wir den Binnenmarkt verlassen haben werden; es wird keinen freien Verkehr von Menschen, Dienstleistungen und Kapital geben. Was aber infrage käme, ist eine Beziehung zwischen denen von uns, die Teil Europas bleiben wollen, und der Europäischen Union durch eine 'assoziierte Bürgerschaft'. So könnten wir uns zum Beispiel in Europa bewegen, wir könnten in Europa studieren, in Europa arbeiten und die Vorteile der Europäischen Union genießen.

Sadiq Aman Khan ist ein britischer Politiker der Labour Party. Seit dem 7. Mai 2016 ist er Bürgermeister von London. Der 49-Jährige ist das erste Londoner Stadtoberhaupt islamischen Glaubens. Khan wurde als fünftes von insgesamt acht Kindern in London geboren. Er ist britisch-pakistanischer Abstammung. Seit 1994 ist er mit Saadiya Ahmed verheiratet, die als Anwältin arbeitet. Das Ehepaar hat zwei Töchter. Khan studierte Rechtswissenschaft an der University of North London und legte seine Anwaltsprüfung am College of Law in Guildford ab. Anschließend arbeitete er als Anwalt für Menschenrechte und war auch Vorsitzender der Menschenrechtsgruppe Liberty. 1994 wurde Khan in den Stadtrat von Wandsworth gewählt und hielt den Sitz bis 2006.

Ist die Unionsbürgerschaft nur ein Hirngespinst?

Euronews:
Für einige Leute ist das nur eine Spielerei. Es wird nicht funktionieren. Es würde eine Vertragsänderung bedeuten, was nicht passieren wird. Es ist kein seriöser Vorschlag wie ein EU-Politiker sagte, es ist eine Art Hirngespinst.

Sadiq Khan:
Nun, wir wollen diese Idee in die Köpfe pflanzen, nicht nur in die Köpfe der britischen Regierung. Ich habe gestern an Boris Johnson geschrieben, um ihn zu bitten, die Möglichkeit einer assoziierten Unionsbürgerschaft zu diskutieren, wenn er im März ernsthaft Verhandlungen mit der EU aufnimmt. Ich akzeptiere, dass wir den Binnenmarkt verlassen werden. Ich akzeptiere, dass meine Regierung keine Freizügigkeit der Menschen haben will. Ich akzeptiere, dass der Punkt Gegenseitigkeit schwierig wird. Aber ich suche auch das Gespräch mit europäischen Politikern, um ihnen zu erklären, dass viele von uns erfolglos versucht haben, eine irische, italienische oder polnische Familienbeziehung zu finden, um einen europäischen Pass zu behalten. Das ist uns nicht gelungen. Und gibt es einen anderen Weg, wie wir unsere Beziehung zur Europäischen Union aufrechterhalten können?

Euronews:
Schaut man sich den Brexit auf lange Sicht an, wenn man die aktuelle öffentliche Meinung betrachtet und angesichts der Tatsache, dass Großbritannien ausgetreten ist, ist es realistisch, dass es Jahre dauern kann, diese Beziehung zu klären. Stimmen Sie mir zu, dass Großbritannien wahrscheinlich nicht für mindestens eine Generation der EU wieder beitreten wird?

Sadiq Khan:
Ich denke auch, dass es kurz- bis mittelfristig keine Möglichkeit gibt, der Europäischen Union wieder beizutreten. Deshalb sage ich meinen Freunden, die für den Austritt gestimmt haben, - und dazu gehört auch die Regierung - wir müssen zusammenarbeiten, um den Brexit kurz- und mittelfristig zu einem Erfolg zu machen. Wir müssen dafür sorgen, dass er so erfolgreich wie möglich ist. Dabei möchte ich betonen, dass der Brexit niemals so erfolgreich sein kann, wie die EU-Mitgliedschaft. Aber auf lange Sicht, wer weiß? Sehen Sie, ich gehöre zu der Generation, die damit aufgewachsen ist, unsere europäischen Nachbarn als unsere Freunde, als unsere Verbündeten, als Mitglieder unserer Familie zu betrachten. Die Generation meiner Eltern ist damit aufgewachsen, unsere europäischen Nachbarn mit Misstrauen zu betrachten. Was ich nicht will, ist, dass meine Kinder wie in den schlechten alten Zeiten aufwachsen, in denen wir die Franzosen oder die Deutschen mit Misstrauen betrachteten. Ich möchte, dass unsere Kinder sie als unsere Freunde und auch als unsere Familie ansehen. Das ist wirklich mittel- bis langfristig zu diskutieren und zu debattieren. Kurz- bis mittelfristig haben wir die EU verlassen.

"Ich bin mir nicht sicher, ob die Europäische Union und diejenigen, die Macht und Einfluss haben, die heutige Gesellschaft richtig widerspiegeln."
Sadiq Khan
Bürgermeister von London

Euronews:
Als Sie vor fast vier Jahren zum ersten Mal gewählt wurden, waren Sie der erste muslimische Bürgermeister einer westlichen Großstadt. In einigen Teilen Europas gibt es große Fortschritte in Bezug auf die Beziehungen zwischen verschiedenen Ethnien und Menschen verschiedener Religionen. Aber in den EU-Institutionen scheint das nicht der Fall zu sein. Wenn man sich beispielsweise das Europäische Parlament anschaut, dann sind es weniger als drei Prozent an nicht-weißen Abgeordneten. Und es ist noch schlimmer geworden, seit die britischen Abgeordneten das Europäische Parlament verlassen haben. Die gesamte EU-Kommission ist weiß. Ist der EU die ethnische Vielfalt nicht so wichtig wie zum Beispiel Großbritannien? Was glauben Sie?

Sadiq Khan:
Ich denke, wenn man sich in Europa - nicht nur in meinem Land - umherbewegt, fühlen viele Europäer keine Verbindung zu den Institutionen, zu der Struktur der Europäischen Union. Ein Beispiel dafür ist, dass die Europäische Union nicht so aussieht wie wir. Ich bin ein Europäer. Es gibt Menschen in Frankreich, in Spanien, in Italien, in Deutschland, die mir ähnlich sehen. Wir sind ein vielfältiger Kontinent, der in Bezug auf ethnische Zugehörigkeit, Religion, sexuelle Orientierung und den Umgang mit Behinderten recht unterschiedlich ist. Ich bin mir nicht sicher, ob die Europäische Union und diejenigen, die Macht und Einfluss haben, die heutige Gesellschaft richtig widerspiegeln. Eines der Dinge, die die EU begreifen muss, ist, dass sie, - wenn sie sich nicht anpasst und weiterentwickelt, um mit dem Tempo des Wandels in Europa Schritt zu halten, - sich noch mehr von den Menschen entfremdet, deren Vertrauen sie braucht, um zu überleben.

Großbritannien und die USA haben eine besondere Beziehung

Euronews:
Man kann wohl sagen, dass Sie einige heftige Zusammenstöße mit US-Präsident Donald Trump hatten.

Sadiq Khan:
Und habe.

Euronews:
Und haben. Nun, das ist mein Punkt. Es ist möglich, sogar wahrscheinlich, dass er im November für weitere vier Jahre gewählt wird. Es ist gut möglich, dass Sie den Bürgermeisterwahlkampf später in diesem Jahr gewinnen werden. Bedauern Sie, dass die Beziehung zwischen ihnen beiden so schlecht ist?

Sadiq Khan:
Großbritannien und die USA haben eine besondere Beziehung. Eine besondere Beziehung zu haben bedeutet, dass sich unsere Erwartungen an den jeweils anderen von denen an andere Länder unterscheiden. Es ist, als hätte man einen besten Freund. Man erwartet mehr von seinem besten Freund als von Bekannten oder Menschen, die man zufällig trifft. Und ein wichtiger Punkt dieser besonderen Beziehung ist natürlich, dass man in Zeiten der Not Schulter an Schulter zusammensteht. Und man spricht es an, wenn man glaubt, dass der andere sich irrt. Ich beobachte weltweit einen Anstieg populistischer Nativistenbewegungen. Ich sehe Anführer, die versuchen, Menschen zu spalten, anstatt sie zu vereinen. Das muss man ansprechen. Ich bin nicht einverstanden mit dem, was Donald Trump über Schwule, Mexikaner, Moslems und Frauen gesagt hat. Und ich scheue mich nicht, ihn darauf anzusprechen.

Euronews:
Aber mein Punkt ist, wenn sie beide im Amt bleiben und sowohl die EU als auch Großbritannien ein Handelsabkommen mit den USA anstreben. Und auch die USA wollen ein Abkommen mit beiden Parteien. Wäre es vorausschauend nicht besser, ein besseres Verhältnis anzustreben?

Sadiq Khan:
Ach wissen Sie, ich habe Donald Trump gesagt, ich würde ihm sehr gern London zeigen, um ihm Frauen vorzustellen, die ihm ebenbürtig sind, Muslime, die stolz darauf sind, westlich und muslimisch zu sein, um ihn mit Mitgliedern der LGBTQ-plus-Gemeinschaft bekanntzumachen, die meiner Meinung nach genauso behandelt werden sollten wie jeder andere Mensch. Ich würde ihn sehr gern durch London führen und mit ihm in Moscheen und Synagogen gehen, um ihm zu erklären, dass man sowohl Muslim als auch Brite, sowohl stolzer Westler als auch stolzes Mitglied des islamischen Glaubens sein kann.

"Ich bin eher der Chips-Typ"

Euronews:
Ok. Zum Abschluss noch eine Schnellfragerunde, in der Sie sich entscheiden müssen - entweder oder, es gibt keine Ausflüchte. Und wenn wir schon dabei sind, Donald Trump oder Wladimir Putin?

Sadiq Khan:
Ich passe.

Euronews:
Das geht nur einmal! Europäisch-rote oder die alten britisch-blauen Pässe?

Sadiq Khan:
Immer die Roten!

Euronews:
Merkel oder Macron?

Sadiq Khan:
Gute Frage, Macron habe ich bereits getroffen, Merkel nicht. Macron ist ein sehr fortschrittlicher Mann. Stolzer Europäer, er hat mich sehr beeindruckt.

Euronews:_
Also Macron. Chips, Fritten oder Waffeln?_

Sadiq Khan:
Ich bin eher der Chips-Typ.

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