Der Ziegenhirte Álvaro García Río-Miranda in der Sierra de Gata, im November 2019.
Der Ziegenhirte Álvaro García Río-Miranda in der Sierra de Gata, im November 2019. Copyright Marta Rodríguez Martínez

Wie ein Feuer in Spanien aus einem Ziegenhirten einen Klima-Migranten machte

Von Marta Rodriguez MartinezMarian Rosado Gallardo
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Es ist ein verheerender Teufelskreis: Aus den ärmlichen Regionen in Südspanien ziehen mehr und mehr Menschen weg. Das führt indirekt zu immer verheerenderen Flächenbränden, was weitere Menschen wegtreibt. Gibt es eine Lösung?

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Ein verdächtiger Geruch. Ein kurzer Blick auf den Gipfel des Berges. Es könnte auch nur eine dunkle Wolke sein - oder doch Rauch.

Álvaro García Río-Miranda, ein 30 Jahre alter Ziegenhirte, wird von Feuern regelrecht verfolgt - eine Paranoia.

Als er seine Tiere durch die nördlichen Täler der Sierra de Gata führt, eine Region, die auf der einen Seite durch eine Bergkette vom übrigen Spanien isoliert ist und sich auf der anderen Seite an der portugiesischen Grenze befindet, blickt er unentwegt zum Gipfel.

Das Gebiet wird auch "leeres Spanien" genannt - es sind stark entvölkerte ländliche Räume, die in scharfem Kontrast zu den blühenden Städten des Landes stehen. Im Jahr 2015 erlitt es einen verheerenden Flächenbrand, der durch die längste Hitzewelle des Landes ausgelöst wurde. Die Erinnerungen an die Geschehnisse dieses Sommers verfolgen García Río-Miranda noch heute.

Verheerende Flammen

"Auch wenn man Brände aus dem Fernsehen kennt, solange es einem selbst nicht passiert, ist man sich der Zerstörungskraft des Feuers nicht bewusst", sagt Álvaro.

Zwischen dem 6. August und dem 4. September 2015 verbrannten mehr als 8.237 Hektar Wald in der Sierra de Gata, einer Region, die stolz auf ihr üppiges Grün und ihre reiche Vegetation ist.

Courtesy: El Periódico de Extremadura/Toni Gudiel
Feuerwehr im Kampf gegen die Flammen in der Sierra de Gata im August 2015Courtesy: El Periódico de Extremadura/Toni Gudiel

Erfahrene Feuerwehrleute sind in der Regel in der Lage, die Richtung eines Brandes vorherzusagen. Aber 2015 wurden sie von den Flammen überrascht, die sich ohne erkennbares Muster unregelmäßig nach Norden und dann nach Süden bewegten.

Mehr als 1.500 Personen - Feuerwehrleute, Beamte der Guardia Civil und medizinisches Personal - wurden mobilisiert. Es war der größte Einsatz in der Geschichte der Region. Etwa 2.000 Menschen aus drei Dörfern - Acebo, Hoyos und Perales del Puerto - wurden evakuiert.

"Das Feuer schloss das ganze Dorf ein", sagte Nati Alviz aus Acebo. Sie und ihr Mann Jesús sind Ziegenhirten. Sie seien die letzten Menschen gewesen, die das Dorf verließen, weil sie ihre Hunde nicht zurücklassen wollten.

Marta Rodríguez Martínez
Nati Alviz und Jesús Rivero, Ziegenhirten in der Sierra de Gata, im November 2019.Marta Rodríguez Martínez

Vanesa Caro aus Acebo kann ihre Tränen immer noch nicht zurückhalten, wenn sie sich an diese Nacht und das Gefühl erinnert, ihr Haus zu verlassen, ohne zu wissen, ob es bei ihrer Rückkehr noch stehen würde.

Sie und ihre Familie waren daran gewöhnt, wegen der Brandgefahr jeden Sommer ihren Hof verlassen zu müssen, aber 2015 fürchtete sie um ihr Leben.

"Wir standen in einer Schlange [von Autos] und das Feuer brannte am Straßenrand. Es war die einzige Straße, auf der wir hinaus konnten", erzählt sie.

Álvaro hatte seine Herde, die er in einem Lagerhaus in Acebo untergebracht hatte, erst sechs Monate vor dem Brand gekauft. Wenn die eigene Familie nicht bereits in der Landwirtschaft tätig ist, ist ein Anfang schwer, erklärt er. Für ihn war das Hüten von Ziegen "eine Leidenschaft und eine Lebenseinstellung", und es gab keinen besseren Ort als die Sierra de Gata, um damit zu beginnen.

Man muss dort nicht für die Nutzung der Weiden bezahlen, es gibt wenig Konkurrenz und man kann seine Ziegen überall hinbringen, außer auf Weinberge und Olivenhaine, erklärt er. Und die felsige Landschaft ist perfekt für Ziegen.

Wenn er an das Feuer denkt, erinnert er sich daran, dass er tagelang gerannt ist, verzweifelt, desorientiert und nicht wusste, wie und wohin er seine Tiere in Sicherheit bringen könnte.

Klima-Migrationen in Spanien

In der spanischen Region gibt es durchschnittlich mehr als 100 kleine Brände pro Jahr. Was den Brand im Jahr 2015 so zerstörerisch machte, war eine rekordverdächtige Hitzewelle, erklärt Marcelino Núñez von der nationalen Meteorologischen Agentur (AEMET) in Spanien.

Sie dauerte 26 Tage, so lange wie keine Hitzewelle in Spanien je zuvor, verglichen mit der durchschnittlichen Dauer von einer Woche. Fast ein Monat unerbittlicher Hitze machte es dem Wald unmöglich, seine Feuchtigkeit wiederzugewinnen und den Teufelskreis zu durchbrechen, erklärt Núñez. "Unter diesen Umständen kann sich alles entzünden, und es ist fast unmöglich zu löschen, wenn es windig ist.”

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Álvaro sagt, dass er wegen des Klimawandels 2015 aus der Sierra de Gata wegging. "Vieles kam zusammen, aber ein wichtiger Faktor war die Entwicklung des Klimas", sagt er.

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Hoyos in der Sierra de Gata, im November 2019.Marta Rodríguez Martínez

Spanien war nach Angaben des Internal Displacement Monitoring Center (IDMC) 2019 das europäische Land mit der größten Zahl von Klimaveränderungen. Dieses Jahr begann mit dem Sturm Gloria, der an der Ostküste wütete, 14 Menschen tötete und 500 weitere zur Flucht zwang.

In Spanien waren diese Evakuierungen meist nur vorübergehend, und die meisten Menschen konnten in ihre Häuser zurückkehren. Aber einige, wie Álvaro, können es sich nicht leisten, aus Asche ein neues Leben aufzubauen.

Courtesy: El Periódico de Extremadura/Toni Gudiel.
Während des Brandes in der Sierra de Gata im Jahr 2015 wurden die Evakuierten in einem örtlichen Flüchtlingszentrum untergebracht.Courtesy: El Periódico de Extremadura/Toni Gudiel.

Der Flächenbrand machte ihn arbeitslos, da seine Ziegen starben. Sie verbrannten nicht, aber es waren der Stress, den das Feuer verursachte, und Mangel an Futter, wodurch sich seine Herde innerhalb eines Monats halbierte. "Es sind sehr zerbrechliche Tiere", erklärt er.

Álvaro hatte es sich nicht leisten können, seine Herde zu versichern, so dass ihn der finanzielle Verlust aus der Bahn warf. Er musste seine verbliebenen Ziegen und alles andere, was er besaß, verkaufen und nach neuen Möglichkeiten suchen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Am Ende arbeitete er als Hirte in Frankreich und der Schweiz und kümmerte sich um die Herden anderer Leute.

Er ist nicht der einzige, der ging. Andere Bauern verloren ihre Ernte und Tiere. Manche Bewohner der Sierra de Gata litten noch an den Folgen des heftigen Flächenbrandes von 2003, nach dem sie finanziell nicht mehr auf die Beine gekommen waren.

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Vanesa blieb. Sie sagt: "Da es bereits einen Bevölkerungsrückgang gibt, merkt man den Unterschied fast nicht mehr. Aber ich weiß, dass der Brand für einige Menschen ausschlaggebend war, die Stadt zu verlassen.”

Andere, die geblieben sind, sahen sich mit schrecklichen Konsequenzen konfrontiert. Weil die Landschaft verbrannt war, konnte das Vieh in den folgenden Jahren nicht gefüttert werden. "Es gibt keine Bäume, die uns Schatten spenden, und im Sommer spürt man, dass es viel heißer ist", sagt Ziegenhirtin Nati. "Es regnet auch weniger."

Sie ist stolz darauf, dass sie und ihr Ehemann trotz aller Widrigkeiten geblieben sind. "Wenn wir [nach] dem Feuer aufgegeben hätten, wären wir und die Ziegen heute nicht hier und vielleicht würden wir nicht im Dorf leben.”

Marta Rodríguez Martínez
Nati Alvez mit ihrer Ziegenherde auf den Feldern rund um das Dorf Acebo im November 2019.Marta Rodríguez Martínez

Entvölkerung und Klimawandel: Eine Zeitbombe

Was in der Sierra de Gata geschah, zeigt, wie stark der Klimawandel die südeuropäischen Regionen angreift. Der regierungsübergreifende Ausschuss für Klimawandel warnt davor, dass der erwartete Temperaturanstieg extreme Wetterereignisse im Mittelmeerraum weiter verschlimmern wird, mit ausgeprägteren Dürren und längeren und intensiveren Hitzewellen - was eine trockenere Vegetation zur Folge hat, die leichter verbrennt.

"Die Zahl der Hitzewellen nimmt nicht stark zu, weil wir uns bereits in einer der heißesten Gegenden Europas befinden, aber wir stellen fest, dass sie intensiver werden und länger andauern", sagt Nuñez.

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Marta Rodríguez Martínez
Ein verbrannter Baumstamm im Wald der Sierra de Gata, November 2019.Marta Rodríguez Martínez

In der Sierra de Gata bedeutet dies immer längere Sommer, Wassermangel und schlechte Ernten. Weil die Abwanderung in die Städte groß ist, ist die Region besonders geschwächt. Das so genannte "leere Spanien" macht 53 Prozent des Landesgebiets aus, dort leben 5 Prozent der Bevölkerung.

"Entvölkerung und Klimawandel zusammen sind eine Zeitbombe", sagt Óscar Antúnez, Bürgermeister von Hoyos. Der aus der Sierra de Gata stammende Bürgermeister erinnert sich an das Eis auf den Straßen, als er in der Schule war. Er sagt, dass weder der Regen noch die Kälte heute gleich sind.

"Hier in den Bergen gibt es keine Urwälder. Es ist eine vermenschlichte Landschaft, die über Tausende von Jahren verändert wurde", sagt Carmen Hernández Mancha, eine ansässige Umweltjournalistin. "Damit die Natur gesund ist und dem Klimawandel und Bränden widerstehen kann, braucht sie Menschen, die dort leben.”

Durch den Wegzug der Bevölkerung kommt es zu einem unkontrollierten Wachstum von Waldmassen, das zu mehr Bränden führt, erklärt Professor Fernando Pulido von der Universität der Extremadura. Er leitet das Mosaik-Projekt - eine Initiative, die die Menschen dazu ermutigen soll, in das Gebiet zu ziehen und umweltfreundliche Unternehmen zu gründen, die zur Verhütung von Bränden beitragen. Ironischerweise stehen Hirten auf der Liste der begehrten Unternehmer, da ihre Tiere helfen, die Schutzzonen der Berge freizuhalten - das sind Lücken in der Vegetation, die ein Fortschreiten der Waldbrände verhindert oder aufhält.

"Wir schlagen vor, die Ursache der Brände zu bekämpfen", sagt Pulido. "Wenn die Brände durch den Wegzug der Bevölkerung oder mangelnde Aktivität in den Bergen verursacht werden, dann sollten wir die Aktivität in den Bergen fördern".

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Marta Rodríguez Martínez
Freiwillige, die im November 2019 die Sierra de Gata wieder aufforsten.Marta Rodríguez Martínez

Aufbau einer widerstandsfähigeren Gesellschaft

"Wir versuchen, junge Menschen in die Region zu locken. Es ist ein Gebiet, in dem man gut lebt. Aber es gibt keine Arbeit", sagt Rodrigo "Bongui" Ibarrondo. "Viele gehen, weil sie jung sind und Arbeit suchen."

Bongui verwendet das Wort "Chance", um über die Brandkatastrophe zu sprechen. In der Folge rief er ein Programm ins Leben zur Wiederaufforstung der verbrannten Gebiete mit einer Vielzahl von Bäumen, die bei Feuern widerstandsfähiger sind - Eichen, Kastanien, Korkeichen, Steineichen, Erdbeerbäume.

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Rodrigo 'Bongui' Ibarrondo, Gründer von Reforest Accion, der Freiwilligen aus ganz Europa beibringt, wie man in der Sierra de Gata Bäume pflanzt.Marta Rodríguez Martínez

Er will den einheimischen Wald der Region wiederherstellen, der jahrzehntelang von den dominierenden Kiefern-Monokulturen verdrängt wurde. "Die großen Brände gibt es dort, wo es Monokulturen gibt", behauptet er.

Mehr als tausend Freiwillige aus 45 Ländern sind bereits in die Region gekommen, um zu helfen. Sie übernachten in einer Herberge in einem der Dörfer, wo sie die Einheimischen treffen.

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Zwei italienische Freiwillige pflanzen im November 2019 Bäume in der Sierra de Gata.Marta Rodríguez Martínez

Entvölkerung ist ein Teufelskreis - je mehr Menschen gehen, desto weniger wollen andere kommen oder bleiben. In den Dörfern der Sierra de Gata, von denen einige nur 70 Einwohner haben, ist es nicht leicht, jung zu sein, sagt Carmen Hernández Mancha. Vor allem im Winter, wenn die Straßen leer sind. "Einen Winter kann man durchstehen, aber einen nach dem anderen... Die Menschen brauchen staatliche Hilfe, [um] zu bleiben".

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"Das ist keine Almosen, es geht darum, Dinge zu verändern", sagt Bongui. Er stimmt zu, dass die Regierung denjenigen helfen sollte, die Ziegen züchten oder eine Molkerei eröffnen wollen, "anstatt ihnen Hindernisse in den Weg zu legen".

Die Engländerin Jill Barrett sagt, dass sie bürokratische Hürden überwinden musste, um ihre Öko-Käserei in der Sierra de Gata zu eröffnen. Sie sagt, es gebe zwar bereits Hilfsprogramme der Regierung, aber keine, die wirklich nützlich seien - oder leicht zugänglich.

"Ich bin Akademikerin, aber der Papierkram hat mich überwältigt", sagt sie. "Ich denke, das System sollte so klar sein, dass der [Einzelne] in der Lage ist, es allein zu bewältigen.”

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Die Käseherstellerin Jill Barrett in ihrer Molkerei La Frondosa, im November 2019.Marta Rodríguez Martínez

Ein weiteres Hindernis für die Ansiedlung in den Dörfern der Region ist die fehlende Mietkultur. "Ich glaube, dass die Menschen, die hierher kommen, mieten wollen, aber die Menschen, die Eigentum haben, lieber verkaufen. Das passt nicht zusammen", erklärt Jill. "Ich kenne drei junge Paare, die gehen mussten, weil sie keine Wohnung finden konnten. Es ist ein bisschen ironisch, denn wir kämpfen gegen die Entvölkerung."

Zum Scheitern verurteilt

Jills Käse wird mit der Milch der Ziegen von Álvaro hergestellt. Denn nach Jahren der Abwesenheit kehrte dieser mit einer neuen Herde, seiner Frau und ihrer kleinen Tochter in die Täler der Sierra de Gata zurück.

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Marta Rodríguez Martínez
Álvaro García Rio-Miranda mit seinen Ziegen in der Sierra de Gata im November 2019.Marta Rodríguez Martínez

“Der letzte Sommer war schrecklich", sagt er, zu heiß. Er dachte darüber nach, seine Ziegen für den Sommer in den Norden zu höheren, kühleren Weidegründen zu bringen, gemäß dem traditionellen jahreszeitlichen Zyklus. Aber jetzt, wo er eine Familie hat, ist ein Leben als Nomade keine Option mehr, sagt er. Für ihn ist die gesamte Lebensweise eines Ziegenhirten in der Sierra de Gata "wirtschaftlicher Selbstmord".

Deshalb will er seine Ziegen verkaufen und in die Schweiz zurückkehren, um sich um eine fremde Herde zu kümmern - diesmal endgültig.

Eine junge Familie weniger für die Sierra de Gata, eine Herde weniger, um die natürlichen Schutzzonen freizuhalten.

Die Reihe "Europas Klimamigranten" wurde realisiert dank der Unterstützung von:

Cutter • Thomas Duthois

Weitere Quellen • Text editor: Andrea Büring

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