Wie die Coronavirus-Krise unser Verhalten verändern könnte

Wie wird man seine Freunde nach der Pandemie begrüßen?
Wie wird man seine Freunde nach der Pandemie begrüßen? Copyright Unsplash/Tyler Nix
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Von Jasmin Bauomy
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Küsschen links, Küsschen rechts, Hände schütteln oder Umarmen - auf diese Begrüßungsformeln soll Zeiten der Coronavirus-Pandemie eigentlich verzichtet werden. Aber so einfach fällt es vielen nicht.

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Viele haben es in diesen Zeiten der Coronavirus-Pandemie erlebt: ein versehentlicher Händedruck, eine Umarmung oder ein Küsschen auf die Wange zur Begrüßung.

Man weiß, dass man es nicht tun sollte, und doch scheint es fast unmöglich etwas dagegen zu tun.

Am Freitag, während der Pressekonferenz von US-Präsident Donald Trump über die Ausrufung des nationalen Notstands, konnte man ihn mit mehreren Personen die Hand schütteln sehen.

Später sagte er: "Die Leute kommen auf mich zu, sie schütteln mir die Hand, sie strecken ihre Hand aus", sagte Trump. "Es ist eine Art natürlicher Reflex, und wir alle kommen da raus. Wir alle haben dieses Problem."

Trump ist nicht der einzige, dem es so geht. Der niederländische Premierminister Mark Rutte sagte den Niederländern, sie sollten aufhören, die Hand zu schütteln - und schüttelte kurze Zeit später einem Kollegen die Hand. Rutte erkannte sofort seinen Fehler, entschuldigte sich und stieß stattdessen seinen Ellbogen an den des Kollegen.

Können kulturelle Unterschiede die Verbreitung eines Virus beeinflussen?

Als Euronews einen Artikel über die vergleichsweise geringe Zahl der Coronavirus-Todesfälle in Deutschland veröffentlichte, vermuteten einige Nutzer sozialer Medien, dass dies auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen sei.

Ein Follower schrieb: "Sie berühren sich nicht gerne! Nicht viel Küssen und Umarmen! Italiener, Spanier und Franzosen sind dafür bekannt! Oder es ist nur mein Eindruck?".

In der größten Studie, die je durchgeführt wurde, um zu herauszufinen, wo Menschen sich von Mitmenschen berühren lassen und sich dabei wohlfühlen, fanden Forscher der Universität Oxford an der finnischen Aalto-Universität heraus, dass es in hohem Maße davon abhängt, wer Sie berührt.

Die Forscher stellten auch fest, dass sich die Finnen als die Menschen erwiesen, die sich am wohlsten fühlen, wenn sie von Freunden, Familie und Fremden berührt werden. Die Italiener rangierten auf dem Berühr-Index hinter den Russen.

Jemand anderes schlug vor, "die deutsche Familienstruktur ist sehr anders als die italienische. In Deutschland leben viele ältere Menschen allein und kommen mit weniger Menschen in Kontakt, während in Italien ältere Menschen dazu neigen, mit ihren Familien zusammenzuleben. Wenn also ein junger Mensch in Italien infiziert wird, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass er seine Großeltern ansteckt. [...]”

Laut Eurostat leben 33,7 Prozent der älteren Menschen in Deutschland allein. In Italien sind es 30,7 Prozent. In Spanien hingegen leben noch weniger ältere Menschen allein, nämlich 24,1 Prozent.

Der Eindruck, dass sich das Virus durch die Altenpflege schneller oder stärker verbreitet, dürfte also nicht zutreffend sein.

Auch wenn die Argumente einiger unserer Follower angesichts der Statistiken nicht ganz haltbar waren, sagte die Expertin für interkulturelle Psychologie Michele Gelfand, dass unsere unterschiedlichen Kulturen ein wichtiger Faktor im Hinblick auf die aktuelle Coronavirus-Krise sein könnten.

"Wenn die Menschen in ständigem Kontakt sind, wissen wir, dass dies die Pandemie schlimmer macht. Meiner Ansicht nach müssen wir die Regeln, die die Gemeinschaften in diesen extremen Zeiten befolgen, verschärfen", so Gelfand.

Es ist jedoch nicht einfach, unsere kulturellen Gepflogenheiten zu ändern, dazu gehört auch der Handschlag zwischen Politikern, Geschäftsleuten und bei alltäglichen Begegnungen. "Es ist nicht einfach. Aber sobald wir verstehen, warum es für unser Überleben entscheidend ist, können wir es tun", betont sie.

Gelfand betont die dringende Notwendigkeit für uns, diese kulturellen Gewohnheiten zu ändern, die auf "viel Freiheit und Autonomie" beruhen. Um uns selbst und andere zu schützen, kann das bedeuten, dass diese kulturellen Gewohnheiten sich an eine "Welt mit vielen Zwängen" anpassen müssen.

Kann COVID-19 die Art und Weise ändern, wie wir über eine globalisierte Welt denken?

Besonders Europäer sind es gewohnt, ohne Erlaubnis zu reisen, wohin sie wollen. Ein Kontinent mit offenen Grenzen ist in unseren Köpfen zur Norm geworden.

Die Beantragung von Visa wird heute als lästig empfunden, da sich viele an die Privilegien gewöhnt haben, die mit einem EU-Pass einhergehen.

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Die Coronavirus-Pandemie hat jedoch dazu geführt, dass viele Länder strenge Reisebeschränkungen eingeführt haben.

Dänemark, Italien, Spanien, Deutschland, Österreich und andere Staaten haben ihre Grenzen praktisch für alle Reisenden aus dem Ausland, die keine Staatsbürger oder Einwohner sind, geschlossen.

Philippe Legrain ist der Gründer von OPEN, einem internationalen Think-Tank für Fragen der Offenheit, und leitender Gastwissenschaftler am Europäischen Institut der London School of Economics. Er sagte gegenüber Euronews, dass die Einschränkung der Freizügigkeit, auch innerhalb des barrierefreien Schengen-Raums, "manchmal aus Gründen der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt sein kann [...] sie legitimiert auch die Weltsicht von Nationalisten, die die Schließung der Grenzen als Lösung für jede Krankheit sehen".

Legrain wies allerdings darauf hin, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Schließung von Grenzen in der Regel als nicht wirksam einstuft.

Auf ihrer Website sagt die WHO, dass Reiseverbote zu Beginn eines Ausbruchs nützlich sein können, dass sie jedoch erhebliche wirtschaftliche und soziale Auswirkungen haben können. Auch ein Temperatur-Screening allein, "bei der Aus- oder Einreise, ist kein wirksames Mittel, um die internationale Ausbreitung zu stoppen, da sich infizierte Personen möglicherweise in der Inkubationszeit befinden oder keine offensichtlichen Symptome zeigen".

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"Ein politisches Geschenk für Nationalisten und Protektionisten"

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat unterdessen Ausländer und Migration für die Verbreitung des Coronavirus verantwortlich gemacht. Angesichts der Pandemie hat Ungarn Reisenden aus Italien, China, Südkorea und dem Iran vorerst die Einreise verwehrt.

Legrain sagte, dass "die Coronavirus-Krise wahrscheinlich dauerhafte Auswirkungen haben wird, insbesondere wenn sie andere Trends verstärkt, die die Globalisierung bereits untergraben. Sie könnte den fragmentierten internationalen Lieferketten einen Schlag versetzen, die Hypermobilität der globalen Geschäftsreisenden verringern und Nationalisten, die für mehr Protektionismus und Einwanderungskontrollen eintreten, Argumente liefern."

"Die Coronavirus-Krise ist ein politisches Geschenk für Nationalisten und Protektionisten", sagte er und fügt hinzu, "sie hat die Wahrnehmung verstärkt, dass Ausländer eine Bedrohung darstellen".

Hinsichtlich der Auswirkungen, die die COVID-19-Pandemie auf die Art und Weise haben kann, wie wir andere Nationen und den internationalen Handel sehen, erklärt Legrain gegenüber Euronews, dass die Krise "unterstreicht, dass Länder in einer Krise nicht immer auf die Hilfe ihrer Nachbarn und engen Verbündeten zählen können."

"Und da Indien die Exporte von lebensrettenden Medikamenten aus seinem riesigen Pharmasektor einschränkt, liefert es all jenen Munition, die aus Gründen der nationalen Sicherheit Produktionen lokalisieren wollen."

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"Im weiteren Sinne kann es diejenigen stärken, die an eine starke Regierung glauben, indem es den gesellschaftlichen Bedürfnissen Vorrang vor der individuellen Freiheit und nationalen Maßnahmen gegenüber der internationalen Zusammenarbeit einräumt", so Legrain.

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