Ärzte als Treiber der Epidemie? Ein Blick in deutsche Krankenhäuser

Eine Krankenschwester bereitet ein Zimmer auf einer Intensivstation in Dresden vor.
Eine Krankenschwester bereitet ein Zimmer auf einer Intensivstation in Dresden vor. Copyright Sebastian Kahnert/dpa via AP
Von Alexandra Leistner
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Genug Personal, um Verdachtsfälle in der Belegschaft der Krankenhäuser zu ersetzen, gibt es in Deutschland meist nicht. Aus China weiß man, mit wie vielen Infizierten innerhalb des medizinischen Personals zu rechnen ist.

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Während sich in Italien und Spanien die Lage in der vom Coronavirus ausgelösten Gesundheitskrise zuspitzt, sind in Deutschland Politik und Gesellschaft derzeit noch erleichtert über die geringe Sterberate. Experten, allen voran Lothar Wieler, warnen dennoch davor, dass auch in Deutschland das Schlimmste noch bevorsteht. "Wir stehen am Anfang einer Epidemie", wiederholte der RKI-Chef in der vergangenen Woche immer wieder.

Die kritische Lage des Gesundheitssystems mit überlasteten Krankenhäusern und fehlenden Schutzmitteln in Italien wurde zur Lektion für die Bundesrepublik und andere Länder. Doch wie gut ist man hierzulande vorbereitet?

Krankenhäuser seien schon seit Wochen aufgerufen, ihre Kapazitäten für Beatmungsbetten und Intensivbetten massiv aufzustocken, mindestens zu verdoppeln. "Jetzt muss es so weit sein", sagte Wieler dann am vergangenen Freitag.

Doch die Warnungen scheinen bei vielen nicht durchzudringen. Da sind die jungen Menschen, die sich in den Parks der deutschen Großstädte noch mit Freunden trafen, obwohl davon streng abgeraten wurde, Rentner, die auf der Düsseldorfer "Kö" in Cafés die Sonne genießen. Muss eine schlimme Erkrankung erst im Freundes- und Bekanntenkreis auftreten, damit der Ernst der Lage greifbar wird?

Könnten Ärzte ein Treiber der Ausbreitung sein?

Und dort wo man den professionellsten Umgang erwartet, werden die klaren Empfehlungen des RKI offenbar teilweise überhört. In einem Krankenhaus im Frankfurter Raum erzählt uns eine Hebamme vom Unmut des Personals im Kreißsaal. 500 Mundschutze hat die Klinik noch, fünf davon stehen ihnen zur Verfügung.

Wie sollen wir gesund bleiben, wenn wir ständig der Gefahr ausgesetzt sind?
Hebamme in einem deutschen Krankenhaus

Kollegen, die vom Skifahren in Österreich, einem Risikogebiet, zurückkommen und sogar eine Ärztin, deren Mann positiv getestet wurde, sollen zur Arbeit kommen, "solange sie keine Symptome zeigen". Entschieden hat das der mit Hygiene beauftragte Mitarbeiter. Und wer sich freiwillig in Quarantäne begeben will, muss unbezahlten Urlaub nehmen.

Dabei ist seit dem ersten Fall einer Infektion innerhalb Deutschlands klar, dass man das Virus in dieser Zeit schon übertragen kann. Auch die deutsche Kanzlerin ist in häuslicher Quarantäne, nachdem sie von einem Arzt geimpft wurde, der später positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Könnten Ärzte, Krankenschwestern und andere Angestellte der Kliniken Treiber der Epidemie sein?

"Wie sollen wir gesund bleiben, wenn wir ständig der Gefahr ausgesetzt sind?", fragt die Hebamme, die lieber anonym bleiben möchte. Auch ein Protokoll wie man mit Gebärenden umgehen soll, die mit dem Coronavirus infiziert sind, wurde ihnen nicht kommuniziert. "Muss man das Kind von der Mutter trennen, einen Abstrich machen?", auf diese Fragen hatten sie und ihre Kolleginnen zunächst keine Antworten, als der Fall Anfang der Woche eintrat.

Die normalen Hygieneregeln würden natürlich beachtet, aber der enge Kontakt zwischen Hebamme und gebärender Frau sei nunmal Teil des Berufs.

Arbeiten, bis der Arzt hustet

"Es gibt Schutzanzüge für uns aber Bedenken bezüglich einer Ansteckung bleiben, die absolute Sicherheit bei direktem Patientenkontakt bleibt aus", fasst ein Arzt aus einem Krankenhaus in Heidelberg zusammen. Im Rettungsdienst gebe es noch große Unsicherheit, wie man Patienten schützen kann, bei denen es keinen akuten Verdacht auf COVID-19 gibt.

Auf Anfrage teilte das Universitätsklinikum Heidelberg mit, man sei gut auf eine in den kommenden Tagen ansteigende Zahl von COVID-19 erkrankten, behandlungsbedürftigen Patienten vorbereitet. Die Hälfte aller Intensivbetten steht zur Verfügung, mehr als 750 MedizinstudentInnen haben sich zum freiwilligen Helfen gemeldet und ehemalige Pfleger und Ärzte kommen zur Unterstützung zurück.

Allerdings werden auch hier Kontaktpersonen von COVID-19-Fällen nicht auf Verdacht freigestellt, sondern gearbeitet, bis Symptome auftreten. "Mitarbeitende des medizinischen Personals, bei denen ein ungeschützter Kontakt zu COVID-19 positiven Personen bekannt wird bzw. die aus einem Risikogebiet zurückkehren, melden sich beim Betriebsarzt und arbeiten zunächst mit Atemschutzmaske weiter", heißt es in einem Erklärung der Uniklinik gegenüber Euronews.

Der Mund-Nasen-Schutz müsse permanent getragen werden, auch im Kontakt zu Kollegen und anderen Personen. An Besprechungen und Übergaben dürfen diese Mitarbeitenden nicht teilnehmen, gemeinsame Pausenzeiten und Treffen werden ausgesetzt. Alle Kontakte und Schutzmaßnahmen werden dokumentiert. "Sobald auch nur leichte respiratorische oder andere klinische Symptome auftreten, ist die Tätigkeit sofort einzustellen."

30 Prozent des medizinischen Personals wird sich infizieren

In Berlin haben besonders kleinere Krankenhäuser offenbar Mühe mit der Organisation, vielerorts bezweifelt das Krankenhauspersonal, dass angemessene Schutzkleidung ausreichend zur Verfügung stehen wird. Niedergelassene Ärzte in Berlin warnten vor Praxisschließungen wegen fehlender Masken, Brillen und Anzügen.

Intensivmediziner der Stadt haben jetzt einen Maßnahmenkatalog vorgestellt, mit dem sich die Berliner Krankenhäuser auf die anrollende Epidemie einstellen. Aus China und Italien wisse man, dass rund 5 Prozent der Infizierten intensivmedizinische Versorgung brauchen. Zudem müsse damit gerechnet werden, dass sich 30 Prozent des medizinischen Personals infiziert.

Tatsächlich räumt auch das Robert-Koch-Institut ein, dass es bezüglich der Regelung für Kontaktpersonen bei medizinischem Personal bei "relevantem Personalmangel " Ausnahmen geben kann.

"In Ausnahmefällen" sei auch denkbar, dass medizinisches Personal mit einem hohen Expositionsrisiko nur zur Ver­sor­gung von COVID-19-Pa­tien­ten eingesetzt werden.

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