Wie die UN-Hilfen für freiwillige Rückkehr der Migranten scheitern

James aus Nigeria, der mit IOM-Hilfe einen Friseurladen eröffnet hat
James aus Nigeria, der mit IOM-Hilfe einen Friseurladen eröffnet hat Copyright Foto: Sara Creta
Von Lillo Montalto MonellaSara Creta
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Die Internationale Organisation für Migration unterstützt die freiwillige Rückkehr von Migrantinnen und Migranten in ihre Heimatländer. Doch viele wollen sich dennoch wieder auf den Weg nach Europa machen. Euronews berichtet von ihrem Schicksal.

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Als James Ende 2018 einen Flug von Libyen nach Nigeria antrat, hatte er einen Schiffbruch im Mittelmeerraum überlebt, war durch ein halbes Dutzend afrikanischer Staaten gereist, er wurde beschossen und zwei Jahre lang in Libyens Gefangenenlagern misshandelt und gefoltert.

Im Jahr 2020 wurde James zu Hause in Benin City im Bundesstaat Edo aus seinem Haus vertrieben, weil er seine Miete nicht bezahlt hatte, er muss auf dem Boden seines Friseursalons schlafen.

Seine Familie und seine Freunden wollen nichts mehr mit James zu tun haben, weil er es nicht geschafft hat, Europa zu erreichen.

"Es gibt kein Glück mehr, wenn Du zurück bist"

"Es gibt kein Glück mehr, wenn du zurück bist. Niemand kümmert sich um dich [...]. Du bist mit leeren Händen zurückgekommen", sagte er Euronews.

James war einer von rund 81.000 afrikanischen Migranten, die mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration (IOM) der UNO in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Die Europäischen Union hat dafür im Rahmen einer gemeinsamen Initiative 357 Millionen Euro bezahlt. Neben einem Ticket für den Flug aus Libyen und einer Reihe anderer Transitländer werden den Migranten auch Geld, Unterstützung und Beratung zugesagt, damit sie sich nach ihrer Rückkehr in ihren Heimatländern wieder integrieren können.

Eine Euronews-Untersuchung in sieben afrikanischen Ländern hat jedoch massive Mängel des Programms aufgedeckt, das als Vorzeigeprojekt oder Flaggschiff der EU gilt, um Migranten auf ihrem Weg nach Europa zu stoppen.

Dutzende von Migranten, die das Programm durchlaufen haben, teilten Euronews mit, dass ihnen nach ihrer Rückkehr keine Unterstützung mehr gewährt werde. Diejenigen, die finanzielle Unterstützung erhielten - wie James - sagten, diese sei unzureichend.

Viele heimgekehrte Migranten wollen wieder aufbrechen

Viele denken an einen neuen Aufbruch nach Europa, sobald sich die Gelegenheit ergibt.

"Ich habe das Gefühl, dass ich nicht hierher gehöre", sagt James. "Wenn es eine Möglichkeit gibt, ergreife ich sie. Ich verlasse das Land."

Von den 81.000 Migranten, die seit 2017 zurückgekehrt sind, wurden fast 33.000 aus Libyen zurückgeflogen. Viele von ihnen hatten unter Inhaftierung, Missbrauch und Gewalt durch Menschenschmuggler, Milizen und kriminelle Banden zu leiden. Die Bedingungen in dem nordafrikanischen Land sind so schlecht, dass das Programm als "Freiwillige Humanitäre Rückkehr" (Voluntary Humanitarian Return, VHR) bezeichnet wird und nicht als "Unterstützte Freiwillige Rückkehr" (Assisted Voluntary Return, AVR) wie anderswo in Afrika.

Der 24-jährige Mohi, der drei Jahre in Libyen verbrachte, nahm das Angebot an, 2019 in die Heimat zurückzufliegen. Dort angekommen, wurde sein Wiedereingliederungspaket jedoch nie verwirklicht. "Es wurde uns nichts zur Verfügung gestellt, man vertröstete uns immer wieder auf morgen", sagte er Euronews aus Nord-Darfur im Sudan.

Mohi ist nicht der einzige. Die eigenen Statistiken der IOM über Rückkehrer in den Sudan zeigen, dass nur 766 von über 2.600 Personen wirtschaftliche Unterstützung erhalten haben. Sie macht hohe Inflationsraten und einen Mangel an Waren und Bargeld vor Ort verantwortlich.

Doch Kwaku Arhin-Sam, der als Direktor des Friedensau-Instituts Entwicklungsprojekte beurteilt, schätzt, dass die Hälfte der Reintegrationsprogramme der IOM scheitert.

"Die meisten Menschen fühlen sich nach wenigen Tagen verloren", sagte er.

Zwei Drittel der Migranten schließen die Reintegrationsprogramme nicht ab

Die IOM selbst setzt diese Schätzung noch niedriger an: Die UN-Agentur teilte Euronews mit, dass bisher nur ein Drittel der Migranten, die mit der Reintegrationshilfe begonnen haben, den Prozess abgeschlossen haben. Ein Sprecher sagte, da es sich bei der gemeinsamen Initiative um einen freiwilligen Prozess handele, "können sich die Migranten jederzeit entscheiden, sich zurückzuziehen oder sich überhaupt nicht mehr mitzumachen".

Er erklärte, dass die Wiedereingliederung von Migranten nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat weit über das Mandat der Organisation hinausgehe und "eine starke Führung durch die nationalen Behörden" sowie "aktive Beiträge auf allen Ebenen der Gesellschaft" erfordere.

Zwischen Mai 2017 und Februar 2019 hat die IOM über 12.000 Menschen bei der Rückkehr nach Nigeria geholfen. Von ihnen waren 9.000 bei ihrer Rückkehr in ihrer Heimat "erreichbar", 5.000 nahmen an einem Ausbildungsprogramm teil und 4.300 erhielten "Reintegrationshilfe". Rechnet man den Zugang zu Beratungs- oder Gesundheitsdiensten hinzu, so erhielten nach Angaben von IOM Nigeria insgesamt 7.000 von 12.000 Rückkehrern - oder 58% - Reintegrationshilfe.

Die Zahl der Personen, die das Reintegrationshilfeprogramm abgeschlossen hatten, betrug jedoch nur 1.289. Jill Alpes, Migrationsexpertin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Nijmegener Zentrum für Grenzforschung, hat ermittelt, dass Umfragen zur Überprüfung der Wirksamkeit der Programme nur mit insgesamt136 Rückkehrern durchgeführt wurden.

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Unterdessen schätzt eine Harvard-Studie über nigerianische Rückkehrer aus Libyen, dass 61,3% der Befragten nach ihrer Rückkehr nicht arbeiteten, weitere 16,8% arbeiteten nur für kurze Zeit, nicht lange genug, um eine stabile Einkommensquelle zu schaffen. Nach der Rückkehr befand sich die große Mehrheit der Rückkehrer, 98,3%, in keiner Form einer regulären Ausbildung.

Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, räumte gegenüber Euronews ein, dass "dies ein Bereich ist, in dem wir Verbesserungen brauchen". Johansson sagte, es sei noch zu früh, um zu sagen, wie diese Verbesserungen aussehen könnten, aber die EU habe weiterhin ein gutes Verhältnis zur IOM.

Flucht vor Gewalt in Libyen

Sandrine, Rachel und Berline aus Kamerun stimmten zu, im September 2018 mit einem IOM-Flug von Misrata in Libyen nach Yaounde, der Hauptstadt Kameruns zurückzukehren.

In Libyen waren sie Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt und bereits bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, haben sie ihr Leben riskiert. Sie wurden von der libyschen Küstenwache abgefangen und nach Libyen zurückgeschickt.

Foto: Sara Creta
Sandrine, Rachel and Berline am Flughafen Misrata in Libyen im Oktober 2018Foto: Sara Creta

Zu Hause angekommen, sagen Berline und Rachel, gab es weder Geld noch Unterstützung von der IOM. Sandrine erhielt rund 900.000 cfa-Francs (1.373,20 €), um die Ausbildung ihrer Kinder zu finanzieren und ein kleines Unternehmen zu gründen - aber es funktionierte nicht lange.

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"Ich verkaufte Hühner am Straßenrand in Yaounde, aber das Projekt lief nicht gut und ich ließ es dann bleiben", sagte sie.

Sandrine aus Kamerun erinnerte sich an die Geburt in einem Gefangenenlager in Tripolis, als Schüsse fielen.

Alle drei sagten, sie hätten keine Ahnung, wo sie schlafen würden, wenn sie nach Kamerun zurückkehrten, und sie hätten nicht einmal Geld, um ihre Familien anzurufen und sie über ihre Reise zu informieren.

"Wir verließen das Land, und als wir zurückkamen, fanden wir die gleiche Situation vor, manchmal sogar noch schlimmer. Deshalb beschließen die Menschen, wieder wegzugehen", sagt Berline.

Im November 2019 wurde weniger als die Hälfte der 3.514 kamerunischen Migranten, die in irgendeiner Form von der IOM beraten wurden, als "effektiv integriert" gemeldet.

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Seydou, ein Rückkehrer aus Mali, erhielt von der IOM Geld, um seine Miete für drei Monate und die Arztrechnungen für seine kranke Frau zu bezahlen. Er erhielt auch eine kaufmännische Ausbildung und ein Motorradtaxi.

Aber in Mali nimmt er etwa 15 Euro pro Tag mit nach Hause, verglichen mit den mehr als 1.300 Euro, die er nach Hause schicken konnte, als er illegal in Algerien arbeitete. Damals konnte er den Bau eines Hauses für seinen Bruder im Dorf finanzieren.

Derzeit versucht er, ein Visum zu bekommen, das es ihm ermöglichen würde, sich einem anderen Bruder in Frankreich anzuschließen.

Seydou ist einer der wenigen doch recht glücklichen Malier. Die niederländische Studie, die von Brot für die Welt (dem Hilfswerk der Evangelischen Kirchen in Deutschland) und Medico International veröffentlicht wurde, ergab, dass bis Januar 2019 nur 10% der Migranten, die nach Mali zurückkehrten, irgendeine Art von Unterstützung von der IOM erhalten hatten.

Die IOM behauptet unterdessen, dass 14.879 Malier den Reintegrationsprozess begonnen haben - die Zahl sagt jedoch nichts darüber aus, wie viele Menschen ihn abgeschlossen haben.

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Das Stigma der Rückkehr

In einigen Fällen verwenden die Migranten das Geld, das sie erhalten, um einen weiteren Versuch zu starten, Europa zu erreichen.

In einem Fall wurden ein Dutzend Menschen, die Europa erreicht hatten und nach Hause geschickt worden waren, unter den Überlebenden eines Schiffsunglücks 2019 auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln entdeckt. "Sie waren zurückgekehrt und hatten beschlossen, sich erneut auf den Weg zu machen", sagte Laura Lungarotti, IOM-Hauptmissionsleiterin in Mauretanien.

Foto: Sara Creta
Poster in Nigeria warnt vor der Überfahrt übers MittelmeerFoto: Sara Creta

Was ist die IOM?

Ab 2016 hat sich die IOM in UN-Migrationsagentur umbenannt, und ihr Haushalt ist von 242,2 Millionen US-Dollar (213 Millionen Euro) im Jahr 1998 auf über 2 Milliarden US-Dollar (1,7 Milliarden Euro) angewachsen, die im Herbst 2019 zum ersten Mal überschritten werden - eine Verachtfachung. Obwohl die IOM nicht Teil der UNO ist, ist sie nun eine "verwandte Organisation", mit einer Beziehung, die der eines privaten Auftragnehmers ähnelt.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind zusammengenommen die größten Beitragszahler zum Haushalt der IOM, auf die fast die Hälfte ihrer operativen Mittel entfällt.

Die IOM ist bemüht, auf ihrer Website Fälle hervorzuheben, in denen ihr Programm der freiwilligen Rückkehr erfolgreich war, darunter das von Khadeejah Shaeban, einem sudanesischen Rückkehrer aus Libyen, der eine Schneiderei einrichten konnte.

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Nach den internationalen Menschenrechtsnormen garantiert der Grundsatz der "Nichtzurückweisung", dass niemand in ein Land zurückgeschickt werden darf, in dem ihm Folter, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und andere nicht wieder gutzumachende Schäden drohen. Dieses Prinzip gilt für alle Migranten zu jeder Zeit, unabhängig vom Migrationsstatus.

Die IOM argumentiert, dass es Verfahren gibt, um Migranten in allen Phasen vor der Ausreise zu informieren, auch für gefährdete Fälle, und zu erklären, welche Unterstützung die Organisation nach der Landung leisten kann.

Aber selbst wenn Migranten in Länder zurückkehren, die nicht von lang anhaltenden Konflikten zerrissen sind, wie Nigeria, riskieren einige von ihnen Gefahren und Bedrohungen für ihr Leben.

In den UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz wird die Auffassung vertreten, dass Frauen oder Minderjährige, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, berechtigte Ansprüche auf den Flüchtlingsstatus haben können und bei ihrer Rückkehr nach Nigeria Verfolgung riskieren, einschließlich des Risikos, erneut Opfer von Menschenhandel zu werden.

Fälle fragwürdiger Freiwilligkeit von Rückkehroperationen gibt es auch im benachbarten Niger, dem Ort mit der höchsten Zahl von Migranten, der von der IOM unterstützt und als neue europäische Südgrenze angepriesen wird.

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Im Jahr 2015 erklärte sich Niger bereit, gegen eine Rückerstattung durch die EU die Migration zu bekämpfen, aber Hunderttausende Migranten folgen weiterhin den Wüstenrouten Richtung Norden, während das Menschenhandelsgeschäft floriert.

Nach Angaben des Europäischen Rates für Flüchtlinge und im Exil lebender Personen werden jede Woche durchschnittlich 500 Menschen von Algerien nach Niger abgeschoben, wobei die algerischen Behörden Migranten unter Verletzung des Völkerrechts ausweisen.

Die algerische Polizei hält Migranten fest, identifiziert und transportiert sie zum so genannten "Point Zero", 15 km von der Grenze zu Niger entfernt. Von dort aus sind Frauen, Kinder und Männer gezwungen, etwa 25 km in der Wüste zu gehen, um die nächste Siedlung zu erreichen.

"Sie kommen in einer IOM-Grenzsiedlung (Assamaka) unter entsetzlichen Bedingungen an, unter anderem blutende schwangere Frauen - unter völligem Schock", erläuterte Felipe González Morales, der UN-Sonderberichterstatter, nach seinem Besuch im Oktober 2018.

Jill Alpes vom Nijmegener Zentrum für Grenzforschung glaubt, dass diese Abschiebungen der Schlüssel dazu sind, warum Migranten akzeptieren, aus Niger zurückgeschickt zu werden. Oftmals während der Such- und Rettungsaktionen der IOM in der Wüste aufgefunden, haben die Migranten kaum eine andere Wahl, als die Hilfe der Organisation und das anschließende Angebot der Rückführung anzunehmen.

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In ihrer Untersuchung schreibt Alpes, dass "nur jene Migranten, die Rückführungen akzeptieren, Teil der Zielgruppe der humanitären Arbeit der IOM werden können. Obwohl Ausnahmen gemacht werden können und werden, bietet die IOM im Prinzip nur denjenigen Deportierten einen Transport von Assamakka nach Arlit an, die eine Rückkehr in ihr Herkunftsland akzeptieren".

Morales, der UN-Sonderberichterstatter, scheint dem zuzustimmen. Er merkte an, dass "viele der Migranten, die sich für die unterstützte Freiwillige Rückkehr angemeldet haben, Opfer mehrfacher Menschenrechtsverletzungen sind und Schutz auf der Grundlage des Völkerrechts benötigen" - und deshalb nicht zurückgeführt werden sollten.

"Nur sehr wenige werden jedoch zur Bestimmung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus überwiesen, und die übrigen werden für die Rückkehr bearbeitet".

"Die Tatsache, dass der Treuhandfonds der Europäischen Union die IOM finanziell unterstützt, um Migranten weitgehend zu sensibilisieren und in ihre Herkunftsländer zurückzuführen, auch wenn die Freiwilligkeit in vielen Fällen fragwürdig ist, beeinträchtigt ihren auf Rechten basierenden Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit", schrieb er.

Mangelnde Überprüfung

Loren Landau, Professorin für Migration und Entwicklung am Oxford Department of International Development, argumentiert, dass es an einer unabhängigen Überprüfung der Arbeit der IOM mangelt.

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"Es gibt sehr wenig unabhängige Forschung und viele Berichte, aber es sind alles Berichte der IOM. Sie haben seit Jahren ihre eigene Evaluierung in Auftrag gegeben", sagt er.

Unterdessen stellt Arhin-Sam, der Spezialist für die Evaluierung von Entwicklungsprogrammen, die Rechenschaftspflicht der gesamten Struktur in Frage und argumentiert, dass lokale Institutionen und Agenturen finanziell von der IOM abhängig sind.

"Dies hat ein hohes Maß an Abhängigkeit für nationale Agenturen geschaffen, die die Arbeit von internationalen Agenturen wie der IOM evaluieren müssen: Sie können der IOM gegenüber nicht kritisch sein. Was tun sie also? Sie sagen immer wieder, dass die IOM in ihren Berichten gut abschneidet. Auf diese Weise kann die IOM zur EU gehen und sagen, dass alles gut ist".

Laut Arhin-Sam befinden sich lokale NGOs und Agenturen, die Rückkehrern helfen, "in einem sehr gefährlichen Wettbewerb untereinander", um so viel Arbeit wie möglich von den UN-Agenturen zu bekommen und in ihre guten Bücher zu kommen.

"Wenn die IOM mit einer lokalen NGO zusammenarbeitet, kann sie nicht mit dem UNHCR zusammenarbeiten. Sie schätzen sich glücklich, von der IOM finanziert zu werden, und können sie daher nicht kritisieren", sagte er.

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Die EU nimmt ohne Stimmrecht als Beobachter sowohl an den Entscheidungsgremien des UNHCR als auch der IOM teil, und alle EU-Mitgliedsstaaten sind auch Mitglieder der IOM.

"Der größte Geldgeber der IOM ist die EU, und sie müssen sich den Forderungen ihres Auftraggebers beugen. Das macht die Partnerschaft sehr fragwürdig", fügte Arhin-Sam hinzu.

"[Wenn europäische Beamte] kommen, um Projekte zu evaluieren, prüfen sie, ob alles, was im Vorschlag geschrieben steht, auch wirklich geliefert wurde.

"Aber ob dies den Willen der Menschen und die Komplexität der Realität vor Ort widerspiegelt, das ist eine andere Geschichte".

Eine missbräuchliche Beziehung

"Afrikanische Staaten sind nicht unbedingt selbst Pro-Migranten", so Landau weiter. "Die EU hat Staaten mit bilateralen Abkommen aufgekauft. Wenn sie sich gegen die EU stellen, verlieren sie ausländische Hilfe. Trotz der Sprache der Partnerschaft ist es offensichtlich, dass die Beziehung zwischen der EU und den afrikanischen Staaten wie eine missbräuchliche Beziehung ist, in der ein Partner vom anderen abhängig ist".

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Forscher weisen darauf hin, dass die Rückkehr aus Libyen zwar einen grundlegenden Fluchtweg aus einer Situation extremer Verwundbarkeit für Migranten bietet, dass sie aber nicht auf die Frage eingeht, warum Menschen überhaupt nach Libyen gegangen sind.

Eine Studie der libyschen humanitären Aktivistin Amera Markous argumentiert, dass Migranten und Flüchtlinge in einer Notsituation - wie etwa in einem libyschen Gefangenenlager - keine fundierte Einschätzung darüber abgeben können, ob sie in ihr Land zurückkehren sollen.

"Wie stellen Sie sicher, dass sie ausreisen, weil sie gehen wollen, oder einfach nur, weil sie verzweifelt sind und die IOM ihnen diese einzige Alternative bietet? sagte Markous.

Und ebenso wie Missbrauch können auch Stress und mangelnde medizinische Versorgung die Entscheidung von Migranten für eine Rückkehr beeinflussen. Jean-Pierre Gauci, Senior Research Fellow am Britischen Institut für Internationales Recht und Rechtsvergleichung, glaubt, dass in Haftanstalten die Leiter der Zentren Druck auf einen inhaftierten Migranten ausüben können, damit er sich dem Programm anschließt.

"Es besteht die Situation einer Machtposition, sei sie nun wahrgenommen oder tatsächlich, die eine wirksame und wirklich freie Zustimmung behindern kann", argumentierte er.

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Als Antwort darauf argumentiert die IOM, dass das VHR-Programm freiwillig ist, dass Migranten ihre Meinung über die Rückkehr vor der Flucht ändern und bleiben können.

"Es ist nicht ungewöhnlich, dass Migranten, die bereit sind, mit Flugtickets und Reisedokumenten zu reisen, ihre Meinung ändern und in Libyen bleiben", heißt es darin.

Aber Landau argumentiert, dass die EU-IOM-Initiative nicht mit Blick auf das Leben der Migranten konzipiert sei.

"Das Ziel hier ist nicht wirklich, Migranten glücklich zu machen oder sie wirklich zu reintegrieren, sondern sie auf eine Art und Weise loszuwerden, die für Europäer attraktiv ist", sagte er.

"Wenn wir mit 'funktionieren' meinen: diese Menschen loswerden, dann funktioniert das Projekt für die EU. Es ist ein Schnäppchen. Es zielt nicht darauf ab, die Grundursachen von Migrationen zu lösen, sondern schafft eine Entschuldigung für diese Art von Abschiebungen."

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Euronews möchte darauf hinweisen, dass diese Reportage in der Anfangsphase von The Migration Newsroom unterstützt wurde.

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