Swetlana Tichanowskaja: "Wir wollen ein demokratisches Land aufbauen"

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Von Isabelle KumarSabine Sans
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Die belarussische Oppositionsführerin spricht über ihr angstfreies Verhältnis zu Russland, wie Angela Merkel vielleicht helfen kann und was sie ihren Kindern erzählt.

Swetlana Tichanowskaja ist das weltweite Gesicht der belarussischen Opposition. Eine Lehrerin, die unerwartet ins Rampenlicht geriet und die Führungsrolle übernahm, nachdem ihr Mann, der für das Präsidentenamt kandidierte, festgenommen wurde. Die 38-Jährige lebt im litauischen Exil. Von dort aus organisiert sie die Protestbewegung und trifft EU-Staatschefs, um nach den umstrittenen Wahlen im August einen Weg für ihr Land zu finden. Das ist auch ihr Ziel hier auf dem GLOBSEC-Forum in Bratislava.

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Eurnews-Reporterin Isabelle Kumar:**
Swetlana Tichanowskaja, vielen Dank. Zunächst möchte ich mit Ihnen über den Haftbefehl sprechen, den Russland gegen Sie erlassen hat. Wie haben Sie darauf reagiert, als Sie davon erfuhren?

Swetlana Tichanowskaja, russische Oppositionspolitikerin:
Das hat nichts verändert. Es ist ihr Problem. Wir streben nach dem Sieg. Erst nach dem Sieg kann ich nach Hause gehen.

Euronews:
Was löst das persönlich bei Ihnen aus, wenn Sie einen Gegner wie Russland haben, der Sie in Ihren Bemühungen aufhalten will, Demokratie in Ihr Land zu bringen?

Swetlana Tichanowskaja:
Es geht nicht um Russland. Es geht um Belarus. Wir sprechen über Belarus, wir müssen uns um Belarus und nicht um Russland kümmern. Es liegt in unserer Verantwortung, diese politische Krise in Belarus zu lösen.

Russland muss mit ins Boot

Euronews:
Es macht Ihnen keine Angst, dass Sie in Russland zur Fahndung ausgeschrieben sind?

Swetlana Tichanowskaja:
Nein (lacht).

Euronews:
Sie sind eine sehr mutige Frau. Sie haben sich hier in Bratislava mit einer ganzen Reihe von EU-Staats- und Regierungschefs getroffen. Sie haben auch mit Angela Merkel und mit Emmanuel Macron gesprochen. Es gab viele Gespräche - aber welche konkreten, umsetzbaren Verpflichtungen sind die Politiker Ihnen gegenüber eingegangen?

Swetlana Tichanowskaja:
Alle Spitzenpolitiker, die ich getroffen habe, signalisieren dem belarussischen Volk Unterstützungsbereitschaft. Sie verstehen, wofür wir kämpfen, warum wir das tun und was wir mit diesem Kampf erreichen wollen. Im Moment suche ich Vermittler, um Verhandlungen mit unseren Regierungsstellen zu organisieren. Ich frage sie, ob sie diese Vermittlungsrolle übernehmen können. Das wird sehr hilfreich sein.

Euronews:
Sie wollten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als Vermittlerin. Hat sie zugesagt?

Swetlana Tichanowskaja:
Sie will ihr Bestes tun, um uns in dieser Frage zu helfen.

Euronews:
Und wie?

Swetlana Tichanowskaja:
Sie wird uns dabei unterstützen, die beste Lösung zu finden, denn sie ist eine erfahrene Politikerin. Sie kennt die besten Wege, wenn es überhaupt welche gibt. Vielleicht bringt die Vermittlung etwas in Gange, und wir werden einen anderen Ausweg aus dieser Situation finden. Es ist unsere Botschaft an die Länder, dass wir diese Hilfe brauchen. Aber unsere Protestbewegung im Land wird weitergehen, egal ob es eine Vermittlung gibt oder nicht.

Euronews:
Es ist eine innerstaatliche Angelegenheit in Belarus, aber Russland muss Teil der Lösung sein. Wie wollen Sie Wladimir Putin an Bord holen?

Swetlana Tichanowskaja:
Man muss zwischen dem russischen Volk und dem Kreml unterscheiden. Denn wir sind mit dem russischen Volk befreundet. Wir haben dort Verwandte. Wir haben Freunde dort. Und in der Zukunft mit einem neuen belarussischen Präsidenten wollen wir diese Beziehung, die Handelsbeziehungen, fortsetzen. Wir sind und bleiben Nachbarn. Wir wollen die Beziehung zu Russland sogar noch ausweiten. Aber es ist schade, dass der Kreml das belarussische Regime unterstützt. In dieser Situation können wir nichts machen. Wir sind bereit, mit dem Kreml zu reden, wir sind bemüht um Gespräche. Und es ist schade, dass wir im Moment keine Kontakte finden.

Belarussisches Volk: nie mehr Sklave des Systems

Euronews:
Sie haben Bilder von Menschenrechtsverletzungen in Ihrem Land veröffentlicht. Hunderte Menschen werden jede Woche bei den Protesten festgenommen. Würden Sie Präsident Lukaschenko gerne vor dem Internationalen Strafgerichtshof sehen?

Swetlana Tichanowskaja:
Das sollte Thema der Verhandlungen sein, denn wenn...

Euronews:
Aber wird es Thema der Verhandlungen sein?

Swetlana Tichanowskaja:
Sicherlich, weil es einfacher ist, ihn davonkommen zu lassen. Wir hegen keine Rachegefühle. Wir wollen nur ein neues Land, ein demokratisches Land aufbauen. Und wenn es eine Lösung wäre, ihn irgendwohin gehen zu lassen - ans Meer zum Beispiel, dann ist das meiner Meinung nach machbar.

Euronews:
Haben Sie die Befürchtung, dass die Protestbewegung, die Woche für Woche so viele Menschen auf die Straße bringt, einschläft, wenn es keine Veränderung gibt, wenn die internationale Gemeinschaft Sie nicht so unterstützt, wie Sie es gerne hätten?

Swetlana Tichanowskaja:
Die Protestbewegung wird weitergehen. Demonstrationen werden vielleicht wegen des Wetters oder anderer Faktoren ausfallen. Aber die Proteste werden nicht aufhören. Denn unser Volk will nie wieder Sklaven dieses Systems sein, in dem wir 26 Jahre lang gelebt haben. Alles hat sich verändert. Wir haben gespürt, dass wir vereint sind, dass wir eine Nation sind. Wir sind stolz darauf, ein belarussisches Volk zu sein. Belorussen sind bereit, bis zum Sieg zu kämpfen, und die Autoritäten müssen das verstehen.

Starke Frauen

Euronews:
Wie erklären Sie die Situation Ihren Kindern? Die haben so viel durchgemacht. Ihr Vater ist im Gefängnis. Ihre Mutter ist plötzlich auf Reisen. Sie haben kleine Kinder. Ich habe auch Kinder. Wie erklären Sie ihnen das?

Swetlana Tichanowskaja:
Meine Tochter ist erst fünf Jahre alt. Sie versteht nicht, dass ihr Vater im Gefängnis sitzt. Es ist eine schlimme Situation, denn sie vermisst ihren Papa so sehr. Jeden Abend stellt sie dieselbe Frage: 'Wann kommt mein Papa? Ich vermisse ihn so sehr’ Dann erkläre ich ihr, dass er auf einer Geschäftsreise ist und sehr bald wiederkommt. Jeden Abend die gleiche Geschichte. Mein älterer Sohn versteht, wo sein Vater ist, aber er stellt mir nicht viele Fragen. Er ist erwachsen genug, um zu wissen, wie schmerzhaft das ist. Irgendwie schaffen wir das.

Euronews:
Wie verkraften Sie selbst all diese Strapazen? Sie haben gerade eine so gewaltige Veränderung durchgemacht. Sie sind plötzlich eine weltbekannte Figur. Wie kommen Sie damit zurecht?

Swetlana Tichanowskaja:
Wir sind Frauen. Wir sind stark. Wir sind viel stärker, als viele denken. Mein Volk ist meine Inspiration, es gibt mir die Kraft, weiterzumachen.

Euronews:
Swetlana Tichanowskaja, vielen Dank für das Gespräch.

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