Der Wunderdoktor, der Opfern sexueller Gewalt neuen Mut gibt

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Von Isabel Da Silva, Sabine Sans
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Dr. Denis Mukwege, Friedensnobelpreisträger 2018, spricht in "The Global Conversation" über seine Arbeit für die Opfer sexueller Gewalt: Heilung braucht Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.

"Das Richtige zu tun, ist nicht schwer. Es ist eine Frage des politischen Willens" - das sagte Dr. Denis Mukwege in seiner Dankesrede, als er 2018 in Norwegen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Der kongolesische Gynäkologe und Menschenrechtsaktivist ist der Gründer und leitende Chirurg des Panzi-Hospitals in Bukavu, das Opfer sexueller Gewalt behandelt.

Der 65-Jährige ist zu Gast in The Global Conversation. Dr. Denis Mukwege kümmert sich seit über 20 Jahren um Opfer sexueller Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo. Seine Arbeit wurde 2014 mit dem Sacharow-Preis und 2018 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Er ist euronews aus Bukavu, der Hauptstadt der kongolesischen Provinz Süd-Kivu zugeschaltet.

Euronews-Reporterin Isabel Da Silva:
Welche Auswirkungen hat die Covid-19-Pandemie auf die Arbeit des Krankenhauses und der Panzi-Stiftung bei der Bereitstellung medizinischer und sozialer Dienste für weibliche Opfer sexueller Gewalt?

Dr. Denis Mukwege:
Das Krankenhaus bietet nicht nur die medizinische Behandlung von Opfern sexueller Gewalt an, sondern eine sogenannte ganzheitliche Betreuung. Sie besteht aus vier Säulen: einem medizinischen, einem psychologischen, einem rechtlichen und einem sozioökonomischen Bereich. Dieser letztgenannte Bereich hat während der Coronakrise stark gelitten, denn die Wirtschaft ist zusammengebrochen. All jene Frauen, die ihren Lebensunterhalt mit wenig Kapitel bestritten, sehen wir zurückkommen. Sie bitten uns erneut um Unterstützung, damit sie ihre Unternehmen wieder neu starten können. Wenn Frauen wirtschaftlich nicht selbstversorgend sind, wenn sie sehr arm sind, sind sie auch häufiger Opfer sexueller Gewalt.

Pandemie verstärkt die Gewalt gegenüber Kindern

Euronews:
Die Pandemie hat die Bewegungsfreiheit eingeschränkt: Behandeln Sie jetzt andere Fälle in Ihrem Krankenhaus?

Dr. Mukwege:
Wir haben im Krankenhaus eher eine Zunahme der Vergewaltigungen von Kindern festgestellt. Das lässt sich dadurch erklären, dass die Kinder im Moment nicht zur Schule gehen - und dass die Eltern mehr Probleme haben, sich um sie zu kümmern und sie zu ernähren, dass die Kinder sich selbst überlassen sind, sie sind Vergewaltigungen stärker ausgesetzt. Während der Pandemiezeit behandeln wir mehr Kinder als üblich.

Euronews:
Sie setzen sich dafür ein, dass Vergewaltigung als Kriegswaffe nicht straflos bleibt. Warum befürworten Sie die Schaffung eines internationalen Tribunals?

Dr. Mukwege:
Es gab Hunderte Frauen, die allein in einer Nacht vergewaltigt wurden. Das waren systematische Vergewaltigungen. Opfer sind Kinder, Babys, alte Menschen, sogar Männer. Die Täter dieser Verbrechen sind bekannt, trotzdem bleiben sie straffrei. Unter den Tätern sind Inländer und Ausländer. Genau jetzt, wo ich mit Ihnen spreche, gibt es ausländische bewaffnete Gruppen, die in der Demokratischen Republik Kongo weiterhin Verbrechen begehen. Aktuell haben wir alles versucht, wir haben es mit Waffen versucht, mit Verhandlungen, mit Friedensabkommen. Aber all das hat nicht funktioniert. Das einzige Element, das nicht genutzt wurde, ist die Justiz. Ein internationaler Gerichtshof für den Kongo kann sich vielleicht mit den 'großen Fischen' befassen. Aber wir brauchen auch spezielle gemischte Fachkammern in der gesamten Republik. Unser Ziel ist, dass nicht nur die Bevölkerung die Wahrheit kennt, sondern auch, dass man sagen kann 'nie wieder'.

Heilung braucht Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Euronews:
Wie funktioniert der "Global Survivors Fund", den Sie vor einem Jahr eingerichtet haben, um Wiedergutmachungsprojekte für Überlebende sexueller Gewalt zu finanzieren?

Dr. Mukwege:
Für die Betreuung der Opfer sexueller Gewalt, insbesondere auf medizinischer und psychosozialer Ebene, gibt es eine kontinuierliche Unterstützung der Europäischen Union. Das Ziel dieses 'Globalen Fonds' ist es, Wiedergutmachungsprojekte in den jeweiligen Ländern zu unterstützen. Frauen, die den Mut haben, vor Gericht zu gehen und eine Klage einzureichen, sollten nicht entmutigt werden, weil danach keine Wiedergutmachung erfolgt. Wenn Frauen bereits den Mut gehabt haben, ihr Leiden zu überwinden und eine Klage einzureichen, ist es unsere Pflicht und eine Pflicht der Menschlichkeit, sie dabei zu unterstützen, den ganzen Weg zu gehen. Und die Sache durchzuziehen, bedeutet, ihnen bei der Heilung zu helfen. Diese Heilung funktioniert nicht ohne Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.

Euronews:
Die Europäische Union und die Afrikanische Union planen, 2021 eine neue Partnerschaft einzugehen. Welche Handlungsprioritäten sollten in den von Konflikten und humanitären Krisen am stärksten betroffenen Ländern wie dem Kongo gelten?

Dr. Mukwege:
Entwicklungszusammenarbeit in Fragen gemeinsamer politischer Interessenzwischen Europa und Afrika, eine umfassendere Zusammenarbeit in Migrationsfragen, Klimawandel, Frieden und Sicherheit sind hehre Ziele. Meiner Meinung nach ist das größte Problem heutzutage die Umsetzung, die Umsetzungsstrategie, an der es krankt. Wenn wir uns nicht für Frieden und Sicherheit in Afrika einsetzen, was passiert dann? Junge Menschen verlieren die Hoffnung. Junge Menschen neigen dazu, den Weg der Migration mit allen Konsequenzen einzuschlagen. Für Afrika hat das ein Verlust an Wissen zu Folge, aber auch in Europa gibt es negative Folgen wie den Aufstieg der Extremisten. Und dazu kommt das, was im Mittelmeer passiert, wo Dutzende junge Afrikaner umkommen - das ist etwas, worauf die Menschheit nicht stolz sein kann.

Euronews:
Man nennt Sie "Doktor Wunder", aber Sie erhalten aufgrund Ihrer Arbeit immer wieder Drohungen. Wie sieht Ihr Alltag heute aus?

Dr. Mukwege:
Wir hoffen, dass wir uns weiterhin um geschändete Frauen kümmern können, dass es in Zukunft weniger Vergewaltigungen gibt. Für uns wäre die Beendigung dieser Gewalt gegen Frauen ein echter Erfolg unserer Arbeit. Wir hoffen, dass kongolesische Frauen eines Tages auf die Felder gehen können, Wasser oder Brennholz holen können, und keine Angst vor Vergewaltigung haben müssen.

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