Ist Handel der Klebstoff, der den Nahen Osten stabiler werden lässt?

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Von Chris Burns
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Der Politikwissenschaftler, Journalist und Autor ist eine einflussreiche Stimme in den USA. Der gebürtige Inder ist der erste Gast in der neuen Interview-Serie "Agenda Middle East".

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Euronews präsentiert in Zusammenarbeit mit dem Arab Strategy Forum "Agenda Middle East". In unserer neuen Interviewserie lernen Sie einige der einflussreichsten Entscheidungsträger, Führungskräfte und Experten des Nahen Ostens kennen. Sie stellen sich Fragen zur geopolitischen und wirtschaftlichen Zukunft der Region.

Begleiten Sie uns einmal im Monat zu interessanten Gesprächen, fundierten Meinungen und tiefgreifenden Analysen über einen der strategisch wichtigsten Teile der Welt.

Unser Gast in dieser Folge ist Fareed Zakaria. Der indisch-US-amerikanischer Journalist ist Redakteur beim Time Magazine und moderiert die wöchentliche TV-Sendung Fareed Zakaria GPS auf CNN.

Euronews-Reporter Chris Burns:

Sie kennen ihn wahrscheinlich als Moderator. Er ist auch ein Autor. Sein neues Buch trägt den Titel "Ten Lessons for a Post-Pandemic World". Über diese Lehren werden wir in dieser Sendung sprechen. Willkommen, Fareed Zakaria. Noch kann man eine frohes neues Jahr wünschen. Erwarten Sie ein glücklicheres 2021? Der Start ins Jahr 2021 war etwas holprig, oder?

Holpriger Start in 2021

Fareed Zakaria:

Vielen Dank. Es ist mir ein Vergnügen. Ja, es war ein sehr rauer Start, aber in gewisser Weise ein Start, der Gutes für die Zukunft verheißt. Schauen wir uns zwei große Themen an. Das erste ist, dass die US-amerikanische Demokratie sich wieder durchgesetzt und triumphiert hat. Die Lage erscheint zwar gerade sehr chaotisch, aber es herrscht eine Menge Wut. Es gibt eine Menge Spannungen. Es gibt eine Menge Leute, die heftig miteinander streiten. Die Herausforderung, die Frage war, kann man die Probleme in einem demokratischen Rahmen lösen? Und die Antwort lautet: Ja. Joe Biden wird inauguriert werden. Er wird Präsident sein, und deshalb werden wir vorankommen. Es wird immer noch...

Euronews:

Aber was ist mit dem, was passiert ist? Ist das, was wir gesehen haben, wie das Kapitol gestürmt wurde, nicht eine Warnung an andere, die mit populistischen Bewegungen in ihren eigenen Ländern konfrontiert sind?

Fareed Zakaria:

Ja, es gibt ein sehr reales Problem, wir haben in der demokratischen Welt ein gewisses Maß an Dysfunktionalität entwickelt: Populismus-Strömungen werden jetzt von einer Art Stammesloyalität begleitet, der die Loyalität zur Demokratie, zur Rechtsstaatlichkeit übertrumpft.

Euronews:

Und ich denke...

Post-Covid: Mit Impfstoffen und Therapien wird alles besser

Fareed Zakaria:

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Wir nähern uns dem Ende von Covid. Wir bewegen uns auf eine Welt nach der Pandemie zu. Die erste Hälfte, die erste Phase ist ziemlich schlecht gelaufen. Mit Ausnahme von ein paar ostasiatischen Ländern waren die Reaktionen so ziemlich überall ungenügend. Ich sollte die Vereinigten Arabischen Emirate als einen weiteren Stern hervorheben. Die VAE haben Covid hervorragend gehandhabt, wie Taiwan, Südkorea, aber meistens wurde schlecht darauf reagiert. In der zweiten Phase bewegen wir uns aber vom öffentlichen in den privaten Sektor: Impfstoffe, Therapien. Ich gehe davon aus, dass wir uns besser entwickeln werden.

Weltunordnung im Nahen Osten

Euronews:

Schauen wir uns die Nahost-Region und die neue Weltunordnung dort an, nachdem die USA ihr Engagement in einer Reihe von Ländern der arabischen Welt zurückgefahren haben. Jetzt konkurrieren dort andere Akteure um die Macht, wie die Türkei, Russland, China, der Iran. Wie sehr hat das die Situation verkompliziert, eine gewisse Stabilität in der Region zu erreichen?

Fareed Zakaria:

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Sie haben es treffend formuliert, denn die meisten Menschen erkennen nicht, dass die zugrundeliegende Voraussetzung, die zugrundeliegende geopolitische Tatsache hier, der Rückzug der USA war. Ich habe das in meinem letzten Buch "The Post-American World" vorausgesagt und gesagt, dass die post-amerikanische Welt nicht angenehm sein wird. Und was Sie im Nahen Osten sehen, ist - und es begann wirklich mit - der zweiten Amtszeit von Bush nach dem Irakkrieg. Dann Obama und jetzt Trump, die sich alle aus dem Nahen Osten zurückziehen, zum Teil, weil der Irak-Krieg ein Chaos verursacht hat und es eine populäre Gegenreaktion gibt, zum Teil, weil die USA jetzt energieunabhängig sind. Aber das Ergebnis ist, wie Sie sagen, nicht eine Art harmonischer Frieden und Ruhe für all die Kritiker des amerikanischen Imperialismus, sondern lokale Rivalität, regionale Rivalität und Chaos.

In puncto Sicherheit bleibt Europa eine Idee

Euronews:

Die US-Amerikaner werden sich also nicht mehr einmischen. Was ist mit den Europäern? Sie sind die größten Geber in der Region. Sie haben gute Kontakte. Aber bis jetzt haben sie in der Region nicht wirklich das Gewicht, das sie haben sollten, oder?

Fareed Zakaria:

Europa ist kein entscheidender Akteur. Das Grundproblem ist, dass Europa als strategische Einheit eine Idee ist. Es ist keine Supermacht. Man wäre gern in der Lage, zielgerichtet zu handeln, aber das wird man nicht. Europa hat einige Bereiche - und ich sehe das als großen Vorteil - Europa handelt zielgerichtet und strategisch in Bereichen wie Handel und Kartellrecht. In zentralen Fragen wie der nationalen Sicherheit bleibt Europa eine Idee. Es ist keine strategische Realität und wird es auch nicht werden.

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Abraham-Abkommen waren ein Durchbruch

Euronews:

Thema Abraham-Abkommen, benannt nach dem Propheten aller abrahamitischen Religionen. Stecken dahinter wirtschaftliche Überlegungen, ist es vielleicht im Interesse aller Beteiligten, die Dinge zu beruhigen und mehr Handel zu treiben: Ist der Handel der Klebstoff, der eine stabilere Region schafft?

Fareed Zakaria:

Die Abraham-Abkommen sind großartig. Sie waren Donald Trumps bedeutendste, vielleicht einzige außenpolitische Leistung. Man muss betonen, dass sie auf nationalen Sicherheitsbedenken, auf der gemeinsamen Feindschaft gegenüber dem Iran, der gemeinsamen Angst vor dem Iran beruhen. Aber das bedeutet nicht, dass der Handelsteil weniger wichtig ist. Es wäre wunderbar, wenn daraus eine echte Verflechtung und Harmonie entstehen würde.

Euronews:

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Kann man dann auf der Basis der Abraham-Abkommen eine Art Camp David erreichen, oder bleibt das ein Traum?

Fareed Zakaria:

Nein, Sie haben Recht. Ich hoffe, dass die Biden-Regierung versuchen wird, davon zu profitieren. Und nach ihren Verlautbarungen habe ich den Eindruck, dass sie das auch vorhaben.

Euronews:

Wie sehr ist die Tatsache, dass Trump die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt hat, ein Stolperstein für all das?

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Fareed Zakaria:

Das glaube ich nicht. Immobilien sind nicht das Problem. Das Problem ist ein grundlegendes Gefühl, dass den Palästinensern etwas Respekt, etwas Würde und etwas Souveränität zugestanden wurde. Man kann einen Teil von Ost-Jerusalem abtrennen, es Jerusalem nennen oder es palästinensisches Jerusalem nennen. Dafür gibt es Diplomaten. Dafür gibt es Lösungen.

Übernimmt der Golf-Kooperationsrat eine Führungsrolle in der Region?

Euronews:

Werfen wir einen Blick auf die lokalen Akteure, den Golf-Kooperationsrat, den GCC als Block, besonders jetzt, nachdem Saudi-Arabien und die anderen ihr Embargo gegen Katar aufgehoben haben. Was ist Ihre Meinung? Wie sind die Aussichten, dass sie eine Führungsrolle in der Region übernehmen?

Fareed Zakaria:

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Wenn Saudi-Arabien seine bisherige Position überdenken und sich fragen würde, ob es den Golf-Kooperationsrat so führen kann, wie er traditionell geführt wurde, nämlich im Konsens und mit sanfter Hand, dann könnte viel erreicht werden. Ich denke, dass Mohammed bin Salman zu Hause ein außergewöhnlicher Reformer gewesen ist. Er hat Dinge getan, die die Menschen in Saudi-Arabien schon lange forderten. Aber er hat auch sehr repressiv gehandelt. Er hat auch viele der Befürworter genau der Reformen, die er vorschlägt, ins Gefängnis geworfen.

Euronews:

Lassen Sie mich auf die Aufhebung des Embargos gegen Katar zurückkommen. Dadurch hat sich die Lage in der Region ein bisschen entspannt. Israel hat die Beziehungen zu den VAE, zu Bahrain, zu Marokko normalisiert. Könnte das einen beruhigenden Effekt haben und mehr Stabilität in die Region bringen?

Fareed Zakaria:

Auf jeden Fall, das ist ein gutes Zeichen. Es deutet auf die zentrale Richtung hin, in der ich die saudische Außenpolitik gern gehen sehen würde, nämlich zu sagen, dass die Blockade von Katar ein Desaster war. Sie erinnern sich, man kündigte eine Reihe von Forderungen an, die Katar erfüllen müsse, bevor man die Blockade aufheben würde. Katar hat nicht eine Einzige erfüllt, und trotzdem wurde die Blockade aufgehoben. Wenn man einen anderen Weg des Konsenses einschlagen würden, auf die traditionelle Art und Weise wie der Golf-Kooperationsrat operierte, dann könnte man meiner Meinung nach eine Menge erreichen. Die Abraham-Abkommen sind ein großer Schritt in diese Richtung.

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Wie sieht die Zukunft des Atom-Abkommens mit dem Iran aus?

Euronews:

Lassen Sie uns über das iranische Atomprogramm sprechen und die Tatsache, dass die USA aus dem Atomabkommen ausgestiegen sind und der Iran nun seinerseits sein Atomprogramm verstärkt hat. Wie sehr behindert das Biden und die Europäer bei dem Versuch, ein neues Abkommen zu schließen?

Fareed Zakaria:

Das Problem war, dass die Trump-Regierung mit ihrem Verhalten zwar mehr Druck auf den Iran ausüben konnte, aber die Situation dadurch sehr instabil, sehr unbeständig wurde. Meiner Meinung nach liegt die Biden-Regierung absolut richtig, wenn sie versucht, den Iran wieder auf das Atom-Abkommen zu verpflichten und dann über alle anderen Themen zu verhandeln.

CO2-Steuer: der beste Weg, die Umwelt zu retten

Euronews:

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Thema Umwelt. Eine Zeit lang dachte man, die Leute fahren weniger Auto, fliegen weniger. Biden hat angekündigt, dem Pariser Abkommen wieder beizutreten. Aber viele Wissenschaftler sagen, dass das nicht reichen wird.

Fareed Zakaria:

Die einfachste, mächtigste und effektivste Lösung, die funktionieren wird, ist eine CO2-Steuer. Ich bin ein Anhänger des freien Marktes. Der beste Regulierungs-Weg für Regierungen sind nicht komplizierte Vorschriften. Man besteuert das, wovon man weniger sehen will, und man steckt viel Geld in erneuerbare Energien, dann wird man in den nächsten 30 oder 40 Jahren einen Übergang erleben.

Euronews:

Das provoziert mehr Gelbwesten, oder?

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Fareed Zakaria:

Damit sprechen Sie ein sehr wichtiges Thema an.

Euronews:

Es muss einen gerechten Übergang geben. Wie schafft man einen gerechten Übergang mit einer CO2-Steuer?

Fareed Zakaria:

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Einige dieser Trends sind für alle sinnvoll, aber die Verteilungseffekte sind unangenehm. Einige Leute profitieren mehr, andere werden stärker benachteiligt. Vielleicht brauchen wir Ausgleichsmechanismen, Subventionen für die Benachteiligten. Das muss man bedenken und alle an einen Tisch bringen.

In 10 Jahren haben wir die Welt neu erfunden

Euronews:

Lassen Sie uns einen Blick auf die nächsten 10 Jahre werfen. Wo stehen wir in 10 Jahren?

Fareed Zakaria:

Wir werden einen massiven Wandel erleben. Und das liegt daran, dass sich eine alte Ordnung verändert. Wir bewegen uns an so vielen Fronten gleichzeitig. Wir bewegen uns weg von einer US-amerikanisch dominierten Welt hin zu einer Welt, in der nicht nur China, sondern auch andere Länder aufsteigen. Wir bewegen uns auf ein System zu, in dem Frauen wirklich gleichberechtigt sind. Wir werden feststellen, dass wir diese Welt auf eine Weise neu erfunden haben, die inklusiver, vielfältiger, innovativer und produktiver ist. Wir werden unsere privaten Probleme haben. Aber ich würde lieber in der Welt in 15 Jahren leben, als in der heutigen.

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Euronews:

Sie sind also optimistisch, dass die Welt aus diesen "zehn Lektionen für eine Welt nach der Pandemie" gelernt haben wird?

Fareed Zakaria:

Lernen wir alles? Nein. Machen wir neue Fehler? Ja, natürlich. Machen wir manchmal die gleichen Fehler wieder? Ja. Aber grundsätzlich entwickeln wir uns weiter.

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