Inzidenz in Deutschland bei 99,9 - Kommt jetzt die Notbremse?

Kind mit Maske auf dem Schulweg in Frankfurt
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Von Euronews mit dpa
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Vor dem Gipfel von Angela Merkel mit den Ministerpräsident:innen der Bundesländer fordern Ärzt:innen eine Notbremse - also eine erneute Verschärfung des Lockdown

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Das Robert Koch-Institut (RKI) verzeichnet an diesem Samstag innerhalb eines Tages 16.033 Neuinfektionen mit dem Coronavirus sowie 207 neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden. Am Samstag vergangener Woche hatte das RKI binnen eines Tages 12.674 neue Fälle und 239 neue Todesfälle registriert.

Am Montag berät die Kanzlerin Angela Merkel - die eine "Notbremse" bereits angedeutet hatte - mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Bundesländer über das weitere Vorgehen in der Coronakrise. In den Medien und im Internet fordern viele an diesem Wochenende eine Notbremse in Form von eines neuen harten Lockdown, andererseits verlangen Vertreter der Wirtschaft eine Perspektive für Öffnungen - und die Tourismus-Branche beklagt, dass Reisen nach Mallorca an Ostern möglich seien, während die Hotels in Deutschland geschlossen sind.

Unter dem Druck der Kritik hatte die Kanzlerin am Freitag angekündigt, nach der Zulassung durch die europäische Arzneimittelagentur in Deutschland auch den russischen Impfstoff Sputnik V einsetzen zu wollen. Dieser könnte auch in Illertissen von R-Pharm hergestellt werden, verlautete aus Bayerns Gesundheitsministerium.

7-Tage-Inzidenz bei 99,9

Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag laut RKI am Samstagmorgen bundesweit bei 99,9 - und damit etwas höher als am Vortag (95,6).

Die Chefin des Ärzteverbandes Marburger Bund, Susanne Johna, forderte: "Es muss definitiv die vereinbarte Notbremse gezogen werden, da darf es keine Ausnahmen geben." Weiter sagte sie der «Neuen Osnabrücker Zeitung»: "Ich rechne ab Ostern mit einer "och kritischeren Lage als zum Jahreswechsel." Der Kapazitätspuffer auf den Intensivstationen «wird rasant wegschmelzen", warnte die Medizinerin. "Es war unverantwortlich, in die dritte Welle und die Ausbreitung der Mutanten hinein auf diese Art zu lockern. Dadurch droht den Kliniken nun die dritte Extremsituation binnen eines Jahres", sagte Johna.

Auch von Intensivmedizinern kommen nachdrückliche Mahnungen. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz könne ohne Eingreifen sehr schnell auf 200 steigen und zu deutlich höheren Intensivpatientenzahlen führen. "Aus unserer Sicht kann es daher nur eine Rückkehr zum Lockdown vom Februar geben", sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, der «Augsburger Allgemeinen». "Alles, was man sich jetzt erlaubt, muss man später mit Zins und Zinseszins bezahlen", meinte Marx.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach plädiert für einen kurzen harten Lockdown, vor allem um die Verbreitung der britischen Mutante des Coronavirus B.1.17 einzudämmen.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte betonte vor den Beratungen mit Angela Merkel, man müsse damit rechnen, "dass Dinge zurückgenommen und verschärft werden". Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Ohne Kontaktnachverfolgung und ohne Testen bin ich nicht fürs Öffnen, da bin ich für gar nichts." Thüringen hat bundesweit die höchste Inzidenz.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) erklärte in der «Neuen Osnabrücker Zeitung», zu dem Stufenplan für Öffnungen gehörten auch Schließungen, wenn es nötig sei. Dreyer will sich am Montag beim Gipfel dafür einsetzen, "regionale Lösungen zu erproben". In Modellkommunen oder Landkreisen mit einer Inzidenz unter 100, die ein lückenloses Test- und Kontakterfassungssystem vorweisen können, sollten Außengastronomie, Kultur und Einzelhandel für Kunden mit einem tagesaktuellen Corona-Test öffnen können.

Tourismus in Mallorca, aber nicht in Deutschland?

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) warf in den ARD-«Tagesthemen» die Frage auf, warum Menschen nach Mallorca fliegen dürfen, nicht aber ein Ferienhaus oder eine Ferienwohnung an der deutschen Küste nutzen können. Das führe zu Unmut bei Bürgern und in der Tourismusbranche. Wenn Gastronomie und Hotels dicht bleiben sollen, müsse die Bundesregierung für zusätzliche Wirtschaftshilfen sorgen.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger mahnte eine stärkere Öffnung des Wirtschaftslebens an. Dies sei dringend nötig, «denn wir sind jetzt an einem Wendepunkt, wo vielen Betrieben die Puste ausgeht», sagte der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) der «Welt» (Samstag). "Diese perspektivlose Hinhaltepolitik macht viele Betriebe und Beschäftigte nur noch hilflos und wütend." Der Chef des Müncher Ifo-Instituts, Clemens Fuest, beklagte in der «Augsburger Allgemeinen»: "Ein Problem der Debatte und der aktuellen Politik besteht darin, dass nur in den Alternativen Öffnung versus Lockdown gedacht wird." Es fehle seit langer Zeit eine proaktivere Politik im Corona-Management.

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