Christian Lindner, Retter der FDP: So will er mitregieren

Christian Lindner
Christian Lindner Copyright Ralf Hirschberger/AP
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Von Verena Schad
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Das Projekt Partei-Sanierung sei für ihn nach acht Jahren endgültig abgeschlossen, sagt Christian Lindner. Die FDP hat er erfolgreich aus der Krise geführt, jetzt will er in Berlin mitregieren.

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Christian Lindner gilt als eloquentes Polittalent. Mit 21 war er der jüngste Abgeordnete im Düsseldorfer Landtag, mit 34 der jüngster FDP-Chef aller Zeiten, seitdem managt er die Rettung der Partei, die 2013 aus dem Bundestag geflogen war.

Das Jahr 2013 markierte den absoluten Tiefpunkt für die Liberalen, die Zeiten Hans-Dietrich Genschers, in denen sie die Bundespolitik mitprägten, schienen vergessen, die FAZ schrieb damals, die FDP sei „auf dem Weg zu einer Splitterpartei“.

Heute liegt die FDP in Umfragen wieder im niedrigen zweistelligen Bereich, 2017 war sie sogar bei den Sondierungsgesprächen für eine Regierungsbeteiligung dabei.

"Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."

"Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren!", erklärte Christian Lindner damals die Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition nach vierwöchigen Gesprächen für gescheitert. Geschadet hat sein markiger Spruch der Partei offenbar nicht, für ihre Wähler:innen hat sie möglicherweise sogar an Glaubwürdigkeit gewonnen.

Die Partei ist zufrieden mit ihrem Vorsitzenden, mit 93 Prozent wurde Lindner zuletzt als Spitzenkandidat bestätigt.

Wer ist der Mann, der den Liberalen wieder Selbstbewusstsein gelehrt hat?

Früh auf der Überholspur

Christian Lindner wurde 1979 in Wuppertal geboren und ist in Wermelskrichen aufgewachsen. Mit 16 Jahren trat er in die FDP ein. Schon als Schüler gründete er eine Werbeagentur, die so gut lief, dass er sich einen gebrauchten Porsche kaufen konnte, mit dem er zu seinem Hausmeister-Job während seiner Zivildienstzeit fuhr.

Um sein junges Unternehmen besser weiterführen zu können habe er den Wehrdienst verweigert, gab er rückblickend seine Motivation an. Später bewarb er sich dann doch bei der Bundeswehr. Von 1999 bis 2006 studierte er Politik, Philosophie und Staatsrecht, nebenbei diente er als Offizier.

Eine Internetfirma, die Linder 2000 während des New-Economy-Hypes mit Partnern gründete, ging pleite - über eine Million Euro Zuschüsse von der öffentlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau waren verloren.

Bei den Nebeneinkünften gehört der FDP-Chef zu den Spitzenreitern im Bundestag. In der 19. Legislaturperiode verdiente er mindestens 424.500 Euro aus Tätigkeiten neben der Politik.

Christian Lindner ist bereits zum zweiten Mal mit einer Journalistin zusammen. Mit der Chefredakteurin der WELT Dagmar Rosenfeld war Linder neun Jahre verheiratet. Seit 2018 ist er mit der RTL-Reporterin Franca Lehfeldt liiert. Kinder hat er keine.

Freizeit hätte er nie viel gehabt, seine Leidenschaft wären die Politik und schnelle Autos, verrät er auf seiner Website. Lindner besitzt eine Lizenz für Rennwagen, außerdem einen Sportbootführer- und Jagdschein.

Der liberale Politiker gilt als effektiv und diszipliniert und vor allem als guter Redner. Er spricht oft frei und zugespitzt - exemplarisch in seiner auf YouTube berühmten gewordenen Wutrede gegen einen SPD-Abgeordneten im Landtag. Er reagierte auf einen Zwischenruf zu seiner insolventen Internetfirma im Jahr 2000. Am Ende seines minutenlangen Redeschwalls sagt er: „So, das hat Spaß gemacht.“

CDU-Chef Armin Laschet hat ihn als „extrem fleißig“ beschrieben, er arbeite „bis tief in die Nacht hinein“ und sei stets sehr gut vorbereitet und informiert.

Besser keine Witze machen, als schlecht Witze machen

Der 42-Jährige machte nicht nur einmal mit Altherrenwitzen auf sich aufmerksam und musste sich Sexismus-Vorwurfe gefallen lassen, zuletzt zulasten der scheidenden Linda Teutberg, die er im vergangenen Jahr vorzeitig als Generalsekretärin ausgewechselt hat.

Von NRW nach Berlin

Erst Landesvorsitzender der Liberalen Schüler NRW, dann Vorstandsmitglied der Jungen Liberalen NRW, 2000 Landtagsabgeordneter mit 21 Jahren. Damals war er Sprecher für „Generationen, Familie und Integration“.

2005 kam es in NRW zum historischen Regierungswechsel nach 39 Jahren SPD. In der Schwarz-Gelben Koalition wurde Lindner Sprecher für die Bereiche Innovation, Wissenschaft und Technologie.

Danach war Lindner in NRW Abgeordneter, Generalsekretär und schließlich Vorsitzender der Partei, in Berlin Bundestagsabgeordneter und zwei Jahre lang Generalsekretär der Bundes-FDP.

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2013, das große Fiasko, die FDP scheitert bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde und schafft den Einzug in den Bundestag nicht mehr, wird nur noch als Klientelpartei wahrgenommen, die die Steuern für Unternehmen senken will. Der gesamte Vorstand um den unglücklichen Vorsitzenden Philipp Rösler tritt zurück und die Stunde für Christian Lindner schlägt – als Retter der FDP. Er wolle die Partei „vom Fundament“ her erneuern, sagte er damals.

Beim Bundeswahlkampf 2017 dreht sich alles um Lindner. Für die Kampagne setzt ihn ein Starfotograf in einer coolen Schwarz-Weiss-Ästhetik in Szene: ein lässiger Lindner in gutsitzenden Slim-Line-Anzügen, mit Fünftage-Bart und gezeichnet von einem harten 16-Stunden-Tag. Auf den Plakaten stand unter anderem „Digital first, Bedenken second“. Junge leistungswillige Menschen, die global vernetzt sind, fühlten sich sicher angesprochen, Ältere und Rentner vielleicht weniger.

Zu einer Regierungsbeteiligung in Berlin kam es dann trotz langer Koalitionsgespräche nicht - nach dem Verzicht der FDP und dem berühmten Satz Lindners vom „besser nicht als schlecht regieren“. Im größten Bundesland holte die FDP 12,6 Prozent und schloss eine Koalition mit der CDU unter Armin Laschet, die bis heute regiert. Allerdings ohne Lindner, er gab sein Amt in NRW wegen seines Engagements in der Bundespolitik 2017 an Joachim Stamp ab.

Für Aufregung sorgte Lindners Amtsführung im Zusammenhang mit der Regierungskrise in Thüringen 2020. Die Wahl von FDP-Politiker Thomas Kemmerich als Ministerpräsident war nur mit den Stimmen der AfD möglich gewesen. Man könne sich seine Unterstützer nicht aussuchen, hatte Lindner zunächst sinngemäß argumentiert, stellte sich nach massiver Kritik dann aber der Vertrauensfrage. Zweifel an der Grundhaltung der FDP kamen auf, bis heute betont Lindner immer wieder eine scharfe Abgrenzung zur AfD.

Das Projekt der Partei-Sanierung sei für ihn nach acht Jahren „endgültig abgeschlossen“, sagte der Lindner auf dem Bundesparteitag im Mai. Die FDP hat er erfolgreich aus der Krise geführt, jetzt will Christian Lindner mitregieren.

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Politische Positionen

Finanz- und Steuer- Wirtschaftspolitik

Den Abbau von Staatsverschuldung und Bürokratie ist ein Hauptanliegen der FDP. Bei ihrer Kernkompetenz, der Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik, hat Linder bereits zu Beginn des Wahlkampfs klar gezogen, wo der Feind steht: Mit einem kategorischen Nein zu Steuererhöhungen hat er sich auch die Möglichkeiten einer Ampelkoalition mit SPD und Grünen genommen, die steuerfinanziert aus der Coronakrise kommen wollen. Das Signal: Die FDP biedert sich keinem Koalitionspartner an.

Eine stärkere Besteuerung fordert Linder hingegen für Digital-Konzernen wie Apple, Google und Facebook. Eine Umfrage des SPIEGEL zeigt, dass das Nein zu Steuererhöhungen nicht nur bei konservativen, sondern auch bei jüngeren Wählern gut ankommt.

Der FDP-Chef kritisiert, dass Steuererhöhungen von den anderen Parteien oft leichtfertig als Selbstzweck eigesetzt würde. Auf dem letzten Bundesparteitag im Mai sagte er, dass selbst Friedrich Merz Steuererhöhungen nicht ausgeschlossen habe und man die Union deshalb nicht mit den Grünen allein lassen dürfe, „am Ende fusionieren die noch“ so Lindner scherzhaft.

In der Vergangenheit hatte sich Lindner für eine Schuldenbremse für das Sozialsystem ausgesprochen, um neue Sozialleistungen im Interesse künftiger Generationen einer Prüfung zu unterziehen.

Investitionen in Digitalisierung, Bildung, Infrastruktur und Bürokratieabbau

Aber Lindner will nicht, dass die FDP als reine Steuersenkungspartei wahrgenommen wird. Bildungspolitik und die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft angesichts der Digitalisierung stehen ebenfalls ganz oben auf der FDP-Agenda.

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In der Vergangenheit hat sich Lindner unter anderem für einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz eingesetzt und ist für eine Reform des Bildungsföderalismus. Ziele der FDP sind neben der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Investitionen in das Bildungssystem und in die Infrastruktur. Mittelstand, Selbstständige und Start-ups sollen von Bürokratie entlastet werden.

Lindner ist gegen Tempolimits auf den Autobahnen und eine staatlich verordnete Verkehrswende mit einem generellem Verbot von Benzin- und Dieselmotoren hin zur E-Mobilität.

Klimaschutz und Gesundheit

Zum Thema Klimaschutz hat Linder einmal gesagt, dass Deutschland sich „religiös überhöht auf den Klimaschutz konzentriere. Er hält nicht viel von der Bewegung „Fridays für Future“ und sieht das Erreichen der Klimaziele besser bei Profis wie Wissenschaftlern aufgehoben.

Seine Partei konzentriere sich auf wirksamere Maßnahmen, so Lindner, auf eine Optimierung des CO2-Zertifikatehandels etwa, auf Gebäudesanierungen und technologische Innovationen. Den Grünen wirft er vor, einen Kulturkampf gegen das Auto zu führen. Auch die FDP gehe das wichtige Thema des Klimaschutzes an, nur wolle er genau wissen, wo die Grünen „Freiheit durch Verbote“ ersetzen wollen, so Lindner auf dem vergangenen Parteitag im Mai 2021.

Denn wenn es um die Bürgerrechte geht, ist auf die Freien Demokraten Verlass", sagte der Parteivorsitzende in derselben Rede. Das habe die FDP in der Pandemie bewiesen und immer nach Alternativen zu pauschalen Lockdowns gesucht.

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Die FDP will unter anderem die Digitalisierung und Nutzung künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen fördern.

Sozialpolitik und Migration

Ein Vorschlag Lindners im Jahr 2011 sah vor, die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer wieder auf eine Höchstdauer von 18 Monaten zu verkürzen, was in den meisten Parteien auf Ablehnung stieß.

Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel 2015 hatte Lindner kritisiert, er gehörte zu denjenigen, die einen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingspolitik der Regierung gefordert hatten. Lindner spricht sich für legale Fluchtwege nach Europa und menschenwürdige Unterkunftsmöglichkeiten in Nordafrika aus.

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