Wohin driftet Afghanistan und was steht hinter IS-K oder ISKP?

Nach einem IS-Anschlag auf eine Gefängnis in Dschalalabad in Afghanistan 2020
Nach einem IS-Anschlag auf eine Gefängnis in Dschalalabad in Afghanistan 2020 Copyright Rahmat Gul/Copyright 2019 The Associated Press. All rights reserved.
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Von Euronews mit AP, dpa
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Für die Gewalt am Flughafen Kabul hat der sogenannte ISKP oder IS-K die Verantwortung übernommen. Welche Bedrohung geht von dieser Gruppe aus?

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Für den grausamen Anschlag an einem Tor am Flughafen Kabul wird eine Untergruppe des sogenannten "Islamischen Staat" (IS, ISIS oder ISIL) verantwortlich gemacht. Der IS in Afghanistan wird IS-K ("IS Khosaran") oder ISKP für "Islamischer Staat der Khorasan Provinz" genannt. Zur historischen Region Khosaran gehören Afghanistan und Pakistan. Besonders aus diesen beiden Ländern kommen die laut UN-Schätzungen zwischen 500 und 1.500 Dschihadisten des IS-K.

IS und Taliban sind Gegner

Der IS und die Taliban sind zwar beide islamistische Gruppen, sie gelten aber als verfeindet. Die Taliban sind traditionell in Afghanistan verwurzelt, während der sogenannte "Islamische Staat" die Herrschaft in weiteren Teilen Zentralasiens anstrebt. Der IS hält offenbar auch die von den Taliban praktizierte Scharia für nicht hart genug.

Als die Taliban in den vergangenen Jahren - trotz militärischer Erfolge in Afghanistan - Friedensgespräche mit den USA führten, wandten sich unzufriedene Taliban-Kämpfer dem extremeren "Islamischen Staat" zu. Dadurch gewann IS-K mehr Mitglieder.

Anschläge in Afghanistan in den vergangenen Jahren

Gegründet wurde IS-K 2015, als der sogenannte "Islamische Staat" zahlreiche Städte und Regionen in Irak und in Syrien kontrollierte. Ab 2016 verübte die Gruppe Anschläge in Afghanistan - auch in Kabul. Der IS wird für einige der schrecklichsten Gräueltaten gegen Schulen für Mädchen, Krankenhäuser und Hilfsorganisationen verantwortlich gemacht.

In den vergangenen Jahren hat IS-K eine Hochburg im Osten von Afghanistan aufgebaut, vor allem in den Provinzen Nangahar und Kunar.

Anfang August 2020 gelang es der Gruppe, zahlreiche IS-K-Dschihadisten aus einem Gefängnis in Dschalalabad, der Hauptstadt von Nangahar, zu befreien. Die Gefechte zwischen afghanischen Sicherheitskräften und den IS-Dschihadisten dauerten mehrere Tage.

Nach der Machtübernahme durch die Taliban in Kabul am 15. August 2021 kamen aus einem Gefängnis der Hauptstadt zahlreiche Mitglieder extremistischer Gruppen frei.

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Kämpfe nach IS-Angriff auf Gefängnis in Dschalalabad im August 2020Rahmat Gul/Copyright 2019 The Associated Press. All rights reserved.

Die USA drohen mit Vergeltung

US-Prâsident Joe Biden erklärte in seiner Ansprache nach dem Anschlag am Flughafen Kabul, die USA wüssten, wer die Hintermänner seien und würden diese verfolgen, wo immer sie sich befinden.

US-Geheimdienstmitarbeiter erklärten gegenüber CNN, zu den IS-K-Mitgliedern gehörten "eine kleine Anzahl erfahrener Dschihadisten aus Syrien und andere ausländische Dschihadisten", die USA hätten 10 bis 15 ihrer Top-Aktivisten in Afghanistan identifiziert.

Der Generalinspekteur des US-Verteidigungsministeriums für Afghanistan (SIGAR) stellte in einem Bericht über die Monate April bis Juni dieses Jahres fest, dass "ISIS-Khorasan die politische Instabilität und den Anstieg der Gewalt in diesem Quartal ausnutzte, indem er Ziele von Minderheiten und die Infrastruktur angriff, um Angst zu verbreiten und die Unfähigkeit der afghanischen Regierung, für angemessene Sicherheit zu sorgen, zu unterstreichen."

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Verletzte im Krankenhaus nach dem Anschlag am Flughafen KabulMohammad Asif Khan/Copyright 2021 The Associated Press. All rights reserved.

General Kenneth McKenzie, Chef des US-Zentralkommando Centcom, sagte, dass die Ermittlungen zu den Tätern des Angriffs auf den Flughafen Kabul fortgesetzt werden, dass man sich aber auch auf andere "extrem aktive Bedrohungen" für den Flughafen konzentriere. Der General erläuterte, dass diese Bedrohungen "unmittelbar bevorstehen" und "jeden Moment eintreten können" und dass es sich dabei um Raketenangriffe, Angriffe mit Fahrzeugen oder einen Selbstmordattentäter mit Weste handeln könnte. McKenzie sagte, dass man sich mit den Taliban über die Sicherheit des Flughafens abstimme. Wie später BIden, hatte der General erklärt, dass die US-Mission trotz des Angriffs fortgesetzt werde und dass die USA die Verantwortlichen für den Angriff "verfolgen" würden.

Afghanistan bald Basis terroristischer Gruppen?

Doch selbst als die USA Kampftruppen, Flugzeuge und bewaffnete Drohnen in Afghanistan stationiert hatten, um den IS dort zu überwachen und zu bekämpfen, waren dessen Kämpfer in der Lage, ihre Angriffe fortzusetzen, schreiben Amira Jadoon und Andrew Mines in einem Bericht für das Zentrum für Terrorismusbekämpfung in West Point.

Der Rückzug der USA aus Afghanistan macht es für die USA schwieriger, den IS-K zu bekämpfen.

Eine der größten Befürchtungen Washingtons nach dem Abzug ihrer Kampftruppen aus Afghanistan ist, dass das Land unter der Herrschaft der Taliban wieder zu einem Magneten und einer Basis für terroristische Grppen wird, die Anschläge auf den Westen planen.

Diese Bedrohung ist laut dem nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, eine Herausforderung, auf die sich die US-Regierung konzentriert.

Terrorismus-Experten verweisen darauf, dass sich extremistische Gruppen vor allem in Staaten ausbreiten, in denen ein Macht-Vakuum herrscht - wie in Libyen. Dass die Taliban die Situation in Kabul nicht wirklich kontrollieren, hat der Anschlag an diesem Donnerstag laut Beobachtern gezeigt, denn die Taliban hatten die Menschen kontrolliert, die zum Tor am Flughafen durchgelassen worden waren.

Dass die USA mit den Taliban in Sicherheitsfragen zusammenarbeiten würden, hätte sich noch vor Kurzem kaum jemand vorstellen können.

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