Deutschlands Ruhm verblasst, glauben viele Europäer - Studie

Wohin steuert Deutschland in Europa nach der Wahl am 26. September?
Wohin steuert Deutschland in Europa nach der Wahl am 26. September? Copyright Markus Schreiber/AP
Von Euronews
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Wie sieht Deutschlands Zukunft ohne Angela Merkel aus? Auf diese Fragen antworteten vor allem die Deutschen selbst kritisch.

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Eine Mehrheit der Europäer glaubt, dass der Ruhm Deutschlands verblasst. Das ergab eine neu veröffentlichte Umfrage, die im Vorfeld der Bundestagswahl am 26. September veröffentlicht wurde. Zentrales Element der Umfrage war, wie die Zukunft der Bundesrepublik ohne Angela Merkel aussieht.

Aus der Umfrage unter 16.000 Europäern aus 12 Ländern geht hervor, dass 34 % der Befragten glauben, dass die beste Zeit hinter dem Land liegt.

Die Deutschen sind die pessimistischsten unter den zwölf befragten EU-Ländern: 52 % sehen ihr Land als eine untergehende Macht, so die Umfrage des Think-Tanks European Council on Foreign Relations (ECFR).

Die Mehrheiten in acht weiteren Ländern - Österreich, Ungarn, Polen, Italien, den Niederlanden, Frankreich, Bulgarien und Dänemark - stimmten dem zu.

Die meisten spanischen Befragten sind der Meinung, dass Deutschlands goldene Zeiten nun vorbei ist, während in Bulgarien und Ungarn der größte Anteil der Befragten der Meinung ist, dass die besten Zeiten des Landes noch vor ihm liegen.

Sind die goldenen Zeiten für Deutschland vorbei?

"Ohne Merkel wird das Fundament der deutschen Führungsrolle in der EU deutlich schwächer sein - es sei denn, die neue Regierung setzt eine glaubwürdige Strategie um, die über den Merkelismus hinausgeht", schreibt der ECFR in einer Analyse, die die Umfrage begleitet.

"Wenn viele Europäer glauben, dass Deutschlands Ruhm verblasst, könnte dies ihr Vertrauen in Berlin untergraben. Ihre positive Einstellung zu Merkels Deutschland scheint viel mit dem stabilen Wirtschaftswachstum und der niedrigen Arbeitslosigkeit des Landes in den letzten zwei Jahrzehnten zu tun zu haben, trotz der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen in Europa."

Den deutschen Befragten fehlt auch das Vertrauen in die Fähigkeit ihres Landes, die Länder der Europäischen Union in Schlüsselbereichen zu führen.

Nur in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte glaubt mehr als ein Drittel der Deutschen, dass ihr Land eine europäische Führungsrolle übernehmen kann.

In Bereichen wie Verteidigung und Sicherheit glauben nur 20 % an Berlin, deutlich weniger als in den anderen befragten europäischen Ländern zusammen (29 %). Dasselbe gilt für Wirtschafts- und Finanzfragen: 37 % der Europäer haben Vertrauen in Berlin, doch nur 31 % der Deutschen.

"Gleichzeitig haben die Deutschen keine Angst vor einem Rückfall in den Nationalismus", schreibt der ECFR. "Nur 19 Prozent von ihnen glauben, dass ein solches Risiko besteht - im Vergleich zu 27 Prozent in den anderen elf untersuchten Ländern. Im Gegenzug erwarten 36 Prozent der Deutschen, dass sich ihr Land noch stärker auf die Hilfe für andere Europäer konzentrieren wird, deutlich mehr als die 25 Prozent der Befragten in den anderen Ländern der Umfrage". 

"Die Deutschen haben also ein recht positives Bild von ihren eigenen Absichten, scheinen aber nicht zu glauben, dass die Fähigkeit ihres Landes, eine Führungsrolle zu übernehmen, eine Vorbedingung dafür ist, anderen Mitgliedstaaten zuverlässig und unterstützend zur Seite zu stehen. In der Nach-Merkel-Ära ist dies vielleicht nicht die richtige Schlussfolgerung. Die Deutschen müssen vielleicht ihre Zweifel an Deutschlands Führungsqualitäten ablegen, weil andere Europäer darauf zählen, dass Deutschland dies tut."

Die Deutschen sollten vielleicht ihre Zweifel an Deutschlands Führungsqualitäten ablegen.
European Council on Foreign Relations

Nach vier Wahlsiegen und 16 Jahren an der Spitze der größten Volkswirtschaft der EU wird die Angela Merkel nach den nationalen Wahlen Ende dieses Monats abtreten.

Die ECFR-Umfrage deutet darauf hin, dass die Regierungschefin vermisst werden wird: Sie genießt breite Unterstützung unter den Europäern, und viele Bürger in der gesamten Region gaben an, dass sie ihre bevorzugte Kandidatin wäre, wenn sie gegen den Franzosen Emmanuel Macron für das Amt des Präsidenten der Europäischen Union kandidieren würde.

Europaweit gaben 41 % der Befragten an, dass sie Merkel gerne als Präsidentin sehen würden, während nur 14 % sich für ihren französischen Amtskollegen Macron entscheiden würden.

"Merkels Beliebtheit übertrifft die von Macron in verschiedenen Teilen der EU - unter anderem in den Niederlanden (58 %), Spanien (57 %), Portugal (52 %) und Dänemark (46 %) - was zeigt, dass es ihr gelungen ist, Deutschland als einigende Kraft zu positionieren", so die Denkfabrik.

"Angela Merkel verkörpert ein starkes und stabiles Deutschland und hat sich in mehr als einem Jahrzehnt der Krisen als Anker Europas positioniert", sagte Piotr Buras, Mitverfasser des Berichts und Leiter des Warschauer Büros des ECFR.

"Aber während die europäischen Bürger ihre Hoffnungen auf Berlin setzen, um den Staatenbund zu steuern, ist dies ein Erbe, mit dem die Deutschen selbst nicht ganz glücklich sind", fügte er hinzu.

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Die Autoren des Berichts sagen, dass die Umfragen darauf hindeuten, dass die Rolle Deutschlands in der EU geändert werden muss.

"Die größte Herausforderung für den Wahlsieger wird darin bestehen, die Deutschen davon zu überzeugen, dass ein ernsthafter Wandel in der Art und Weise, wie ihr Land mit der EU umgeht, erforderlich ist", sagte Jana Puglierin, Mitautorin und Senior Policy Fellow beim ECFR.

Puglierin und Buras sind der Ansicht, dass Deutschlands künftige:r Regierungschef:in eine härtere Gangart gegenüber Ländern einschlagen muss, die europäische Werte verletzen, während er oder sie gleichzeitig für die Stellung des Staatenbunds in der Welt kämpft.

"Die Zeiten, in denen Europa sich auf die USA verlassen konnte, um Führung und Schutz zu erhalten, sind vorbei", schreibt der ECFR.

"Was die EU jetzt braucht, ist ein visionäres Deutschland, das sich für die Werte der EU einsetzt und seinen Platz in der Welt verteidigt", so Buras.

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