"Die Totengräber" Frankreich geschockt über Missstände in Orpea-Altenheimen

Altenheime schon zu Beginn der Pandemie in Frankreich in der Kritik
Altenheime schon zu Beginn der Pandemie in Frankreich in der Kritik Copyright Rafael Yaghobzadeh/Copyright 2020 The Associated Press. All rights reserved
Von Euronews mit AFP, Le Monde, Libération
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button

Nicht genug zu essen, kaum Hygieneartikel - das Buch "Les Fossoyeurs" ("Die Totengräber") deckt Missstände in Frankreichs Altenheimen auf.

WERBUNG

In Frankreich sorgt das Buch "Les Fossoyeurs" ("Die Totengräber") von Victor Castanet für Aufregung. Die Zeitung LE MONDE hat vorab Auszüge veröffentlicht, die den schockierenden Alltag in Altenheimen des französischen Konzerns "Orpéa" anprangern, der in Europa mehr als 1.000 Einrichtungen betreibt.

Schon zu Beginn der Corona-Pandemie waren Altenheime - sogenannte EPHAD: Abkürzung für "Établissement d'hébergement pour personnes âgées dépendantes", auf Deutsch: "Einrichtung zur Unterbringung von abhängigen älteren Menschen" - wegen der vielen Todesfälle in Verruf geraten.

Orpéa und das Business mit dem Alter

Dem Journalisten geht es aber nicht eine generelle Kritik an den Alten- und Pflegeheimen, sondern um das "Business mit dem Alter", den das weltweit führende Unternehmen "Orpéa" offenbar betreibt. Die "Totengräber", die Castanet vorstellt, sind nicht die kleinen Angestellten, sondern die Entscheidungsträger, für die die alten Menschen lukrativ sind.

Auf BFM erklärt Victor Castanet, man habe Druck auf ihn ausgeübt und ihm 15 Millionen Euro angeboten, wenn er bereit sei, seine Recherchen einzustellen.

Recherchiert hat Victor Castanet drei Jahre lang - zuerst in einem Luxus-Altenheim in einem Pariser Vorort. 

Essen und Windeln werden rationiert

Bei Preisen zwischen 6.500 und 12.000 Euro pro Monat er auf, wie Orpea immer profitabler werden will, indem Kosten um jeden Preis eingespart werden. Mit schockierenden Folgen:  "Es waren maximal drei Windeln pro Tag. Und nicht eine mehr. Es spielte keine Rolle, ob der Bewohner krank war, eine Magen-Darm-Grippe hatte oder eine Epidemie ausbrach", berichtet Saïda Boulahyane, eine ehemalige Pflegehelferin im Altenheim "Bords de Seine".

In anderen Heimen wurde sogar das Essen rationiert, Bewohnerinnen und Bewohner hatten Hunger.

Angesichts solcher Enthüllungen stellt LIBERATION die Frage: Wie kann ein solches System jahrzehntelang ungestraft weiter existieren? Victor Castanets Antwort ist klar, die Behörden kommen mit den Kontrollen nicht hinterher: "Die Inspektoren haben weder die Mittel noch die Kompetenzen, um die Fehlentwicklungen aufzudecken, von denen mir die Beschäftigten berichtet haben." Im Laufe seiner Recherchen erklärten mehrere Personen dem Autor, wie der Konzern im Falle von - ohnehin zu seltenen - Kontrollen im Voraus gewarnt wurde: "Das ermöglicht es ihnen, Reinigungs- oder Korrekturmaßnahmen zu ergreifen. Beispielsweise haben mir Personen erzählt, wie Arbeitsverträge oder Dienstpläne geändert wurden, bevor die Kontrolleure eintrafen."

Schon nach Veröffentlichung der Auszüge aus dem Buch ist der Kurs von "Orpea" an der Börse in Paris eingebrochen.

Eine Staatssekretärin im Gesunheitsministerium hat inzwischen Untersuchungen angekündigt. Sie werde sich für volle Transparenz einsetzen, versicherte Brigitte Bourguignon.

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Keine Masken im Altenheim: 9 Tote - Freiheitstrychler kommen mit Fackeln

Festung Altenheim: Kein Besuch seit März

Corona-Tragödie in europäischen Altenheimen: Versagen und Vorbilder