Diplomatisches Druckmittel Nord Stream 2 - Wie verlässlich ist Deutschland?

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Von Isidro MurgaEuronews, dpa
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Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Gas-Pipeline erst nach langem, Zögern - und auch nicht direkt bzw. namentlich - als mögliches Sanktionsinstrument gegen den Kreml in Betracht gezogen. Das wird im Ausland zunehmend kritisch gesehen.

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Die Abhängigkeit Deutschlands im Energiebereich erklärt weitgehend die zweideutige Haltung der Bundesregierung in der Ukraine-Krise. Europas Wirtschaftsmotor importiert mehr als 40 Prozent des Öls und 55 Prozent des Gases aus Russland und hofft, diesen Anteil dank Nord Stream 2 noch erheblich steigern zu können.

Die mehr als 1.200 Kilometer lange Pipeline, die parallel zu Nord Stream 1 verläuft, verbindet Russland und Deutschland direkt durch die Ostsee, ohne Drittländer zu durchqueren. Der Bau der Pipeline hat mehr als 9 Milliarden Euro gekostet, aber der russische Staatskonzern Gazprom hat als Hauptanteilseigner noch nicht die rechtlichen Genehmigungen erhalten, um den Betrieb aufzunehmen. Werden sie nicht erteilt, wäre dies ein herber finanzieller Schlag für die Kassen des Kremls.

Obwohl Washington und Brüssel Nord Stream 2 in Frage stellen, zögert die deutsche Regierung, die Pipeline lahmzulegen, um Druck auf Moskau auszuüben. Ein Grund dürfte der deutsche Kernenergie-Ausstieg und der damit verbundene höhere Bedarf an Erdgas sein. Nach zwei Jahren der Pandemie könnte der Entzug von Energiequellen die Erholung der deutschen Wirtschaft bremsen.

Waffenexport: Ein zweischneidiges Schwert

Das zögerliche Handeln der deutschen Regierung ist aber auch auf die Vergangenheit als Aggressionsmacht zurückzuführen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich Deutschland grundsätzlich geweigert, Waffen an eine Konfliktpartei zu liefern, ein Prinzip, gegen das Berlin allerdings gelegentlich verstoßen hat. 

Als die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht unlängst die Lieferung von 5.000 Militärhelmen an Kiew ankündigte, nachdem die Ukraine um Waffen zur Selbstverteidigung gebeten hatte, erntete die deutsche Regierung international teil spöttische Reaktionen. Lambrecht machte trotzdem deutlich, dass es im Fall der Ukraine keine Ausnahmen geben wird.

SPD: Zu russlandaffin?

Umfragen zufolge sind sechs von zehn Deutschen mit der Entscheidung einverstanden, keine Waffen an die Ukraine zu liefern. Allerdings halten viele Teile der Sozialdemokratischen Partei für zu russlandgewandt. Die guten Beziehungen der Sozialdemokraten zum Kreml gehen auf die Zeit des Kalten Krieges zurück, in der SPD-Spitzenpolitiker diplomatisch sehr aktiv waren. Dieser Trend setzte sich um die Jahrhundertwende unter dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder fort. Schröder, der derzeit Präsident des Verwaltungsrats von Nord Stream 2 ist, wurde gerade für den Aufsichtsrat von des russischen Gazprom-Konzerns nominiert. Die Gazprom-Hauptversammlung ist für den 30. Juni geplant.

Die CSU sprach sich bereits dafür aus, dem Ex-Kanzler die Amtsausstattung zu entziehen: "Das Verhalten von Gerhard Schröder schadet Deutschland. Wir sollten parteiübergreifend über den Entzug der Amtsausstattung reden", verlangte der Parlamentarische Geschäftsführer Stefan Müller. Und: "Wer sich von Autokraten bezahlen lässt, braucht kein Geld vom deutschen Steuerzahler."

Es rumort in der Bundesregierung

Die Krise hat innenpolitisch auch zu Spannungen zwischen den Sozialdemokraten und ihren Koalitionspartnern, den Grünen und der FDP, geführt. Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt hatte, die Entscheidung über Nord Stream 2 sei technischer und nicht politischer Art, versicherte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock im Bundestag, dass ein russischer Einmarsch in der Ukraine Nord Stream 2 beeinträchtigen würde.

Während die SPD jetzt in Umfragen hinter die Oppositionspartei CDU zurückgefallen ist, stehen im Ausland das Vertrauen und der Ruf Deutschlands auf dem Spiel. Dagegen setzt Scholz weiter auf Dialog. Nach seinem Besuch in Washington bei US-Präsident Joe Biden an diesem Montag, der in der Ukrainekrise richtungweisend sein könnte, wird der deutsche Kanzler nächste Woche nach Kiew und Moskau reisen. In der Zwischenzeit stellt sich vor allem in Ländern Osteuropas die Frage, ob Deutschland ein verlässlicher Partner im größten Säbelrasseln zwischen Russland und dem Westen seit dem Ende des Kalten Krieges ist.

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