Am zweiten Tag der russischen Invasion in der Ukraine sind viele Kiewer in Angst, viele sind bereits geflohen. Der russische Präsident appelliert an die ukrainische Armee.
Kiew am zweiten Tag der russischen Invasion in die Ukraine: Während die Straßen im Stadtzentrum leer gefegt sind, hat das ukrainische Verteidigungsministerium russische "Saboteure" im nördlichen Stadtbezirk Obolon gemeldet. Die russischen Truppen bewegen sich demnach von Norden und Nordosten auf das Kiewer Zentrum zu. Russland gibt an, den Flughafen Hostomel im Nordwesten der Hauptstadt zu kontrollieren.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba berichtet von russischen Raketenangriffen auf die Hauptstadt. Die Sirenen heulten mehrfach.
Leiche eines Mannes in einer Wohngegend gefunden
Auch Wohngebäude wurden von Angriffen getroffen. Die Bewohner:innen eines Blocks berichteten, dass sie von einem Donnern geweckt wurden und die Flure mit Rauch gefüllt waren. Auf einem Bürgersteig in einer Wohngegend wurde die Leiche eines Mannes in ziviler Kleidung gefunden.
Ukrainische Truppen rückten mit schwerer Militärtechnik in Kiew ein und errichtete Verteidigungspunkte an den Brücken rund um Kiew. Das ukrainische Verteidigungsministerium rief Zivilist:innen dazu auf, die Stadt mit Molotowcocktails zu verteidigen. Eine Brücke in Iwankiw etwa 70 Kilometer nördlich von Kiew wurde bereits zerstört.
UN: 100.000 Ukrainer:innen auf der Flucht
Unterdessen harren viele Bewohner:innen der Hauptstadt in U-Bahnhöfen aus. Auch in einem Hotel im Zentrum haben vielen Unterschlupf gefunden. Die Glastüren wurden mit Holzbarrikaden geschützt. Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge sind 100.000 UkrainerInnen bereits auf der Flucht. Man könne die Tötung von mindestens 25 Zivilist:innen bestätigen. Über 100 Menschen seien bisher verletzt worden.
Das ukrainische Militär spricht von 137 Gefallenen in seinen Reihen. Man habe über 1000 russische Soldat:nnen getötet. Von unabhängiger Seite überprüft werden, können diese Angaben nicht. Das russische Militär hat bisher keine Angaben über Verluste gemacht.
In der Region Kiew wurden nach offiziellen Angaben vier Menschen bei einem Luftangriff getötet und 15 verletzt. Auf Videos in den sozialen Netzwerken sind Kämpfe in einem Wohnviertel im Norden von Kiew zu sehen. Die Bilder zeigen unter anderem, wie ein Panzer ein Auto überrollt, dessen Insasse anschließend gerettet wird. Aus Charkiw im Osten des Landes berichteten Medien und Anwohner von Explosionen.
Stand der Kämpfe und Eroberungen schwer zu überprüfen
Russland hat nach eigenen Angaben insgesamt 211 ukrainische Militärobjekte "außer Gefecht" gesetzt. Dies teilte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow in Moskau mit. Unabhängig überprüfen lassen sich solche Aussagen nicht. Nach Konaschenkows Darstellung wurden zudem sechs ukrainische Kampfflugzeuge, ein Hubschrauber sowie fünf Drohnen abgeschossen. Auch 67 Panzer seien zerstört worden.
Der Militärsprecher sagte zudem, die Russen hätten Waffen erobert, die in den vergangenen Monaten aus dem Westen für die Ukraine bereit gestellt worden seien - darunter amerikanische Panzerabwehrraketen. Konaschenkow sprach von "Trophäen".
Konaschenkow sagte außerdem, dass Separatistenkämpfer aus der ostukrainischen Region Donezk mittlerweile 25 Kilometer in bislang von ukrainischen Regierungstruppen kontrolliertes Gebiet weit vorgerückt seien. Luhansker Kämpfer seien mit russischer Unterstützung 21 Kilometer weiter vorgedrungen.
Putin: Russland kämpft gegen Rechtsradikale
Der russische Präsident Wladimir Putin lobte den Einsatz seiner Truppen bei einer Sitzung mit dem Sicherheitsrat. Die russische Armee würde in der Ukraine vor allem auf den Widerstand rechtsradikaler Milizen treffen, die Zivilisten als Schutzschilde benutzen würden. Der Kreml rechtfertigt seinen Einmarsch in das Land als Entnazifizierungsmission. Seiner Darstellung zufolge sind in Kiew seit 2014 aus dem Ausland gesteuerte Faschisten an der Macht. Beweise für diese Behauptungen wurden nie vorgelegt.
Putin rief die ukrainische Armee dazu auf, gegen die Regierung in Kiew zu kämpfen. Mit dem Militär an der Macht wäre eine Einigung einfacher: "Ich rufe die Soldaten der bewaffneten Kräfte der Ukraine noch einmal dazu auf: Lasst nicht zu, dass Neonazis eure Kinder, Frauen und Alten als menschliche Schutzschilde benutzen. Nehmt die Macht in eure Hände. Es dürfte für uns einfacher sein, sich so zu einigen, als mit dieser Bande von Drogenabhängigen und Neonazis, die sich in Kiew niedergelassen haben und das gesamte ukrainische Volk als Geisel halten."
Der Kreml erklärte sich zu Gesprächen in Minsk bereit. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte dem russischen Staatschef Wladimir Putin zuvor zwei Mal ein Treffen angeboten. Er schlug vor, die Neutralität der Ukraine zu gewährleisten, also auf einen Nato-Beitritt des Landes zu verzichten. Dies war von Putin im Vorfeld der Invasion auch in Verhandlungen mit den USA gefordert worden. Die ukrainische Seite hat laut Kreml stattdessen Warschau als Verhandlungsort für Gespräche mit Russland vorgeschlagen.