Racial Profiling? Flüchtlinge in Berlin haben Angst vor Rassismus in Deutschland

Geflüchtete aus der Ukraine werden am Hauptbahnhof in Berlin mit warmen Getränken und Essen versorgt. 3. März 2022
Geflüchtete aus der Ukraine werden am Hauptbahnhof in Berlin mit warmen Getränken und Essen versorgt. 3. März 2022 Copyright Paul Zinken/dpa via AP
Von Alexandra Leistner
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Helfende am Berliner Hauptbahnhof erleben zunehmend verängstigte Flüchtlinge: Sie davon zu überzeugen, dass sie in Deutschland sicher sind, ist nicht leicht. Besonders für BPOC.

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Keine 24 Stunden war es her, dass Außenministern Annalena Baerbock vor den Vereinten Nationen versicherte, "jeder Flüchtling muss Schutz bekommen, egal welche Nationalität, welche Herkunft oder welche Hautfarbe", als unter wartenden Helfenden am Hauptbahnhof in Berlin Unruhe ausbricht.

Der Grund: Der Zug aus Polen, der in der nächsten halben Stunde ankommen soll und der Geflüchtete nach Berlin bringt, ist an der Grenze in Frankfurt an der Oder aufgehalten worden. Es gibt Berichte, wonach einige Menschen nach Kontrollen von der Polizei aus dem Zug geführt werden. Es gibt den Verdacht, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe und aussteigen müssen.

Die Bundespolizei aber weist aber den Vorwurf von Racial Profiling von sich. Der Sprecher der Bundespolizeidirektion Berlin, Michael Spieß, bestätigte gegenüber Euronews, dass es eine Kontrolle im Rahmen der "intensivierten Binnengrenzfahndung" gab. Die Bundespolizei sichte Passdokumente "im größtmöglichen Umfang".

Dabei seien Personen, die kein Aufenthaltsrecht für die EU (oder die Ukraine in diesem Fall) hatten, und keinen glaubhaften Bezug zur Ukraine nachweisen konnten, aus dem Zug begleitet worden, um sie dem Verfahren zuzuführen, was für Menschen gilt, die ohne Aufenthaltsrecht in die EU einreisen wollen.

Konkret heißt das, Menschen ohne Ausweisdokumente werden in Frankfurt Oder in Aufnahmezentren gebracht, erklärt der innenpolitische Sprecher der Grünen in Berlin, Vasili Franco.

Werden Schwarze Menschen gezielt aus den Zügen rausgeholt?

Die Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze seien seit August 2021 verstärkt worden. so Spieß. Der "Migrationsdruck" ergebe sich aus der Migrationslage im Zusammenhang mit der Durchreise von Migranten über Belarus und Polen, heißt es auch in einer Mitteilung der Bundespolizei vom Februar 2021.

Allerdings vermute man wegen des Kriegs in der Ukraine, dass Drittstaatsangehörige den Strom aus der Ukraine nutzen könnten, um nach Deutschland zu gelangen. Deswegen schaue man gerade genau hin.

Eine Augenzeugin sagte gegenüber freiwilligen Helfern, es seien nur Schwarze Menschen aus dem Zug begleitet worden, etwa 20 Menschen vielleicht auch mehr, in dem überfüllten Zug sei es schwierig gewesen, den Überblick zu behalten.

Dazu, wie viele Menschen in der Nacht zu Donnerstag aussteigen mussten, konnte die Bundespolizei keine Angaben machen.

Paul Zinken/dpa via AP
Helfende kümmern sich um eine weinende Frau aus der Ukraine am Hauptbahnhof in Berlin, Deutschland, Donnerstag, 3. März 2022.Paul Zinken/dpa via AP

Sicher in Deutschland (?)

Die freiwilligen Helfenden am Hauptbahnhof Berlin erleben die Menschen, die ankommen als völlig eingeschüchtert. Viele Geflüchtete wollten nicht glauben, dass sie in Deutschland sicher sind, sagt Emma*, eine der Organisatorinnen der Hilfe am Berliner Hauptbahnhof. Bisher habe sie diesen Menschen versichern können, dass sie jetzt keine Angst mehr haben müssten. Doch momentan gehe ihr dieses Versprechen nicht mehr bedenkenlos über die Lippen. "Dahinter kann man nicht mehr stehen", sagt sie, die täglich die Angst der Menschen vor Passkontrollen und vor einer Festnahme durch die Polizei miterlebt.

"Diese Züge sind überfüllt, die Menschen kommen hier an und denen ist kalt, manche haben nur Crocs an den Füßen und Verletzungen... das ist kein Luxus", meint Emma hinsichtlich des Verdachts, dass der Flüchtlingsstrom von Geflüchteten aus anderen Ländern als der Ukraine genutzt werden könnte, um nach Deutschland einzureisen.

In diese Stimmung der Angst mischen sich auch Narrative, die sich die geflüchteten Menschen gegenseitig erzählen: Ein Mann erzählt den Helfenden, er habe gehört, dass in den Bussen Richtung Ankunftszentrum nach Hautfarbe getrennt werde. Zwei junge Männer, die in der Ukraine studiert haben, wurden von einem Freund getrennt, dem offenbar ein Aufenthaltsnachweis für die Ukraine fehlte. Wo er ist, wissen sie nicht.

Für Ukraine-Flüchtlinge geht es schnell und unkompliziert

Emma appelliert an Polizei und Politik, sich in die Lage der Menschen zu versetzen, die in Deutschland ankommen, "manche sind vor zwei Kriegen geflüchtet" und müssen in Deutschland Angst um ihre Sicherheit haben.

Tatsächlich haben sich die EU-Mitgliedsstaaten darauf geeinigt, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine schnell und unkompliziert aufzunehmen. Der "vorübergehende Schutzstatus", der Geflüchteten Zugang zu Sozialhilfe sowie eine Arbeitserlaubnis garantiert, gilt zunächst für ein Jahr und kann auf drei Jahre verlängert werden.

Für die Unsicherheit der Menschen hat Vasili Franco Verständnis. Er versicherte aber, dass in Berlin nicht nach Herkunft und Hautfarbe getrennt werde. Dass es trotzdem wiederholt zu Racial Profiling durch die Polizei kommt, kann er sich durchaus vorstellen, eine generelle Anweisung, BPoC anders zu behandeln, gebe es aber sicher nicht.

Dass nurnoch ein einziger Aufenthaltsparagraph angewendet wird für alle Geflüchteten in Deutschland hält Franco für unrealistisch. Er sieht die momentan relativ reibungslos ablaufende Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine als Beweis dafür, dass Europa anders als in der Vergangenheit "an einem Strang ziehen" kann.

"Nur PoC stiegen aus"

Eine Reporterin beschreibt auf Twitter ihre Erfahrung in einem Zug von Warschau nach Berlin. Er sei voller Flüchtlinge. Am Grenzübergang von Frankfurt an der Oder habe dann die Polizei BIPOC-Menschen aus dem Zug geholt. 

*Name auf Wunsch der Person geändert

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