Ist Deutschland nach Kriegsrecht im Ukraine-Krieg "neutral"?

Deutschland steht klar an der Seite der Ukraine, sei es die Bevölkerung oder die Politik. Ist Berlin streng genommen trotzdem "neutral" in dem Krieg? FFF-Demo in Berlin 3.3.22
Deutschland steht klar an der Seite der Ukraine, sei es die Bevölkerung oder die Politik. Ist Berlin streng genommen trotzdem "neutral" in dem Krieg? FFF-Demo in Berlin 3.3.22 Copyright Michael Hanschke/dpa via AP
Von Alexandra Leistner
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Einige Länder haben sich in dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine neutral erklärt. Andere haben das nicht ausdrücklich getan, befürchten aber, sich durch Waffenlieferungen zur Zielscheibe Russlands zu machen. Wie steht es um "neutrale" Länder in diesem Konflikt?

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Während Deutschland jetzt indirekte Wege auslotet, um schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, haben Spanien und Dänemark Kiew weitere Unterstützung versprochen, darunter Transport- und Panzerfahrzeuge.

Einer der Gründe des Zögerns in Bezug auf die Lieferung von Panzern, Haubitzen und Co. im SPD-geführten Verteidigungsministerium und auch bei Kanzler Olaf Scholz ist die Angst, von Russland als Kriegspartei angesehen zu werden.

Ist Deutschland im Ukraine-Krieg "neutral"?

Anders als die Schweiz, die weder an Russland noch an die Ukraine Waffen liefert und damit nach dem Neutralitätsgesetz handelt, hat sich Deutschland offiziell nicht als "neutrale Partei" in dem Konflikt erklärt. Vielmehr ist schon vor Beginn des Krieges klar gewesen, auf welcher Seite Berlin steht.

Das wurde durch klare Worte aber auch durch Taten - etwa den Sanktionen gegen Russland - deutlich.

"Die Staaten, die Waffen liefern, scheinen der Ansicht zu sein, dass dies keine Verletzung der Neutralität darstellt", erklärt Andrew Clapman, Professor für internationales Recht am Graduate Institute of International and Development Studies, auf Anfrage gegenüber Euronews.

Das Neutralitätsrecht gibt Staaten unter anderem das Recht auf Unverletzlichkeit seines Territoriums, ein Schutz, den Länder wie Deutschland unter keinen Umständen verlieren wollen.

Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit.

Wie die Waffenlieferungen mit dem Neutralitätsrecht in Kriegszeiten in Einklang zu bringen ist, haben die Staaten nicht im Detail erklärt.

Wann gilt ein Land als Partei des Konfliktes?

Nach Ansicht von Clapman gibt es drei mögliche Erklärungen für Waffenlieferungen seitens der Länder: 1. Sie haben sich nicht offiziell als neutrale Partei erklärt - im Gegensatz zur Schweiz. 2. Sie handeln in kollektiver Selbstverteidigung der Ukraine oder 3. Sie sehen ihr Eingreifen als Gegenmaßnahme gegen die unrechtmäßige Gewaltanwendung Russlands (Bruch des internationalen Rechts).

"Wenn das Völkerrecht verlangt, dass die Staaten zusammenarbeiten, um einen Angriffskrieg zu beenden und dem Aggressor Hilfe zu verweigern, dann kann es nicht gleichzeitig die Einhaltung der älteren Gesetze über die Neutralität in Kriegszeiten verlangen", schreibt Clapman in einem Beitrag für das Lieber Institute for Law and Land Warfare.

Eindeutig verloren geht der Neutralitätsstatus der Länder dagegen, wenn sie mit Streitkräften in den Konflikt eintreten. Nach humanitärem Völkerrecht gilt man spätestens ab diesem Zeitpunkt als Konfliktpartei.

Wie steht die Schweiz zum Krieg in der Ukraine?

Zwar liefert die Schweiz keine Waffen an die Konfliktparteien im Ukraine-Krieg, die Sanktionen der EU gegen Russland hat das Land aber übernommen. 

Der Chef der Schweizer Mission bei der NATO, Philippe Brandt, erklärte gegenüber SWI, dass die Neutralität des Landes mit den verhängten Sanktionen "voll und ganz vereinbar" sei. Seiner Ansicht nach werden durch die Sanktionen keine Kriegspartei auf militärischer Ebene begünstigt.

"Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit. Sie hindert die Schweiz nicht daran, die Verletzung des Völkerrechts zu verurteilen und sich für demokratische Werte einzusetzen", so Brandt.

Die Schweiz steht auf der Liste der von Moskau als "feindlich" definierten Länder. 

FABRICE COFFRINI/AFP
Protest gegen den Krieg in der Ukraine in Bern, 2. April 2022FABRICE COFFRINI/AFP
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