„Der beste Weg, die Folgen des Krieges abzumildern, ist, den Krieg zu beenden“

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Von Shona Murray
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Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der Europäischen Kommission und EU-Handelskommissar, stellt sich den euronews-Fragen bezüglich Erdgas, Öl und den Maßnahmen Deutschlands.

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Weitere Russland-Sanktionen, eine Preisobergrenze für Gas, um die hohe Inflation und die Energiepreise in den Griff zu bekommen. Und das alles vor dem Winter. euronews sprach mit Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der Europäischen Kommission und EU-Handelskommissar.

Die EU hat diese Woche zusammen mit der G7 eine weltweite Preisobergrenze für russisches Öl angekündigt. Es gibt jedoch Befürchtungen, dass dies einen Anstieg der Ölpreise und noch mehr Instabilität auslösen wird. Sind Sie zuversichtlich, dass dies die gewünschte Wirkung auf die russischen Einnahmen haben wird?

Valdis Dombrovskis: In gewisser Weise würden wir mit dieser Preisobergrenze, wenn sie zumindest auf G7-Ebene, möglicherweise aber auch auf breiterer Ebene umgesetzt wird, einerseits Russland zusätzliche Einnahmen vorenthalten, mit denen es seinen Krieg gegen die Ukraine weiter bezahlen könnte. Andererseits trägt es auch dazu bei, den Ölpreis insgesamt zu festigen.

Das Ziel, Russlands Fähigkeit, seine Kriegsmaschinerie zu bezahlen, zu verringern, wird durch die Einführung der Preisobergrenze also tatsächlich untermauert.
Valdis Dombrovskis.
Vizepräsident der Europäischen Kommission und EU-Handelskommissar

euronews: Aber es gibt offensichtlich Bedenken, da nicht alle Länder außerhalb der G7 und der EU mit an Bord sind, zum Beispiel Indien, China und andere Länder, die vielleicht russisches Öl nutzen und den höheren Preis zahlen werden.

**Dombrovskis:**In diesem Fall wissen wir, dass Russland bereits jetzt sein Gas an China und Indien mit einem beträchtlichen Abschlag gegenüber den Weltmarktpreisen verkauft; wahrscheinlich müssen sie es mit einem noch größeren Abschlag verkaufen und werden auch nicht so viele Einnahmen erzielen. Das Ziel, Russlands Fähigkeit, seine Kriegsmaschinerie zu bezahlen, zu verringern, wird durch die Einführung der Preisobergrenze also tatsächlich untermauert.

euronews: Wird es eine Preisobergrenze für russisches Gas geben, das in die EU kommt? Wir haben hier natürlich über Öl gesprochen, aber das Gas…

**Dombrovskis:**Wie Sie wissen, ist das etwas, worüber sehr viel gesprochen wird. Seitens der Europäischen Kommission haben wir auch verschiedene Möglichkeiten vorbereitet, wie diese Preisobergrenze tatsächlich umgesetzt werden kann. Die Diskussionen zu diesem Thema sind noch nicht abgeschlossen. Wahrscheinlich sind zwei Dinge zu beachten. Erstens: Die Mengen an russischem Gas, die in die Europäische Union geliefert werden, gehen ohnehin stark zurück. Zum Beispiel ist inzwischen Norwegen der größte Gaslieferant der EU, nicht Russland. Und zweitens ist es bei der Diskussion über die Preisobergrenze auch wichtig, dass wir zuverlässige Partner anders behandeln als Russland. So hat Norwegen zum Beispiel viel getan, um seine Gaslieferungen an die EU zu erhöhen, und das zu einer Zeit, in der wir es wirklich brauchten.

Verhandlungen mit Norwegen über niedrigere Gaspreise

**euronews:**Kommen wir von den Sanktionen zur Frage, wie die EU mit der Energiekrise umgehen kann. Von Präsidentin von der Leyen war zu hören, dass es eine Preisobergrenze für Gas geben wird, wahrscheinlich auch eine Obergrenze für den Gashandel innerhalb Europas. Können Sie uns erklären, wie das gehen soll und wie sich das auf den Gaspreis auswirken wird? Was kann für die Verbraucher getan werden?

**Dombrovskis:**Es gibt eine Diskussion über eine so genannte dynamische Preisobergrenze, die sich nach den weltweiten Gaspreisen richten würde - sozusagen mit einem gewissen Aufschlag auf diese weltweiten Gaspreise, um die Verfügbarkeit von Gas in der EU zu gewährleisten.

**euronews:**Und wie weit sind bislang die Verhandlungen mit den verlässlichen Partnern wie Norwegen über niedrigere Gaspreise?

**Dombrovskis:**Wir hoffen natürlich, dass wir so bald wie möglich zu einem Abschluss kommen, aber da es sich um Verhandlungen handelt, können wir jetzt keine Frist festlegen, da auch die andere Seite zustimmen muss. Aber wir haben natürlich im Hinterkopf, dass es in einem sehr kurzen Zeitrahmen geschehen muss, weil wir uns mit der Krisenlage befassen.

**euronews:**Kommen wir dazu, wie die EU-Mitgliedsstaaten damit umgegangen sind. Wie besorgt sind Sie über die deutsche Entscheidung, einseitig einen 200-Milliarden-Energieplan anzukündigen? Halten Sie das für einen Verstoß gegen den Wettbewerb? Es ist auch ein Verstoß gegen die Solidarität und Einigkeit, die es bisher unter den Mitgliedsstaaten gab.

**Dombrovskis:**Was die Ankündigung Deutschlands betrifft, so haben wir in der Tat im ECOFIN-Rat über die Maßnahmen Deutschlands und anderer Länder gesprochen. Der deutsche Finanzminister Lindner hat das Paket vorgestellt und auch darauf hingewiesen, dass die Unterstützung mehrere Jahre laufen soll, dass also nicht alles sofort genutzt werden soll und viele der Maßnahmen noch in Vorbereitung sind. Es ist also noch offen, wie genau sie umgesetzt werden sollen.

Es gibt immer noch 225 Milliarden Euro aus den Darlehen des Pandemie-Wiederaufbauprogramms, die nicht genutzt werden
Valdis Dombrovskis
Vizepräsident der Europäischen Kommission und EU-Handelskommissar

**euronews:**Es gab darauf die Einwände der Kommissare Breton und Gentiloni. Gibt es so etwas wie eine Spaltung innerhalb der Kommission? In Bezug auf den Standpunkt Deutschlands fordern die beiden mehr Solidarität als Sie.

**Dombrovskis:**Zunächst einmal gibt es eine Reihe von Abläufen bezüglich der Solidarität, die bereits vorhanden sind. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Es gibt immer noch 225 Milliarden Euro aus den Darlehen des Pandemie-Wiederaufbauprogramms, die nicht genutzt werden. Die ECOFIN-Finanzminister haben sich auf einen Standpunkt bezüglich des so genannten REPowerEU-Programms geeinigt: Einerseits, um die Verwendung dieser 225 Milliarden Euro zu beschleunigen und andererseits zusätzliche 20 Milliarden Euro an Zuschüssen auf den Tisch zu legen, um die derzeitigen Herausforderungen im Energiebereich anzugehen.

**euronews:**Es wurde diese Woche auch gesagt, dass ein Schrumpfen des Wirtschaftswachstums nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Von der EZB war zu hören, dass eine Rezession bevorsteht. Ist das das wahrscheinlichste Szenario?

**Dombrovskis:**Wir erkennen, dass die erste Hälfte dieses Jahres eigentlich recht stark war. Und wenn überhaupt, werden wir wahrscheinlich unsere Wachstumsvorhersage für dieses Jahr nach oben korrigieren, also ausgehend von 2,7 %, unserer jetzigen Vorhersage. Aber wir sehen auch, dass sich das Umfeld derzeit schnell verschlechtert und die Vertrauensanzeichen deutlich sinken. Ich würde also sagen, dass die Wirtschaftsaussichten auch in hohem Maße davon abhängen, wie wir die derzeitige Energiekrise bewältigen. Wenn es uns gelingt, eine ausreichende Energieversorgung sicherzustellen, können wir diesen Fall vermeiden. Es wird also viel davon abhängen, wie wir die Energiekrise bewältigen.

Der beste Weg, die Folgen des Krieges abzumildern, ist, den Krieg zu beenden
Valdis Dombrovskis.
Vizepräsident der Europäischen Kommission und EU-Handelskommissar

**euronews:**In Bezug auf das, worüber wir gerade sprachen, nämlich die Sorge über eine hohe Inflation im Energiebereich und weitere Sanktionen gegen Russland. Wie kann die EU sicherstellen, dass die Bevölkerung hinter ihnen steht?

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**Dombrovskis:**Zunächst einmal haben wir es mit den Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine und mit den Entscheidungen zu tun, die Russland trifft. Der beste Weg, die Folgen des Krieges abzumildern, ist, den Krieg zu beenden, denn je schneller der Krieg beendet wird, desto schneller können wir damit beginnen, uns von den wirtschaftlichen Folgen des Krieges zu erholen. Und unter diesem Gesichtspunkt ist es sehr wichtig, dass wir die Ukraine nach Putins weiteren Schritten Richtung Eskalation des Krieges, weiterhin unterstützen, militärisch und finanziell.

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