Protest gegen Armut in Deutschland: „Uns steht nicht das Wasser bis zum Hals, wir sind am Absaufen."

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Von Frank Weinert
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"Armut ist nicht sexy". Unter diesem Motto haben am Wochenende Hunderte vor dem Bundeskanzleramt in Berlin protestiert.

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Steigende Preise in Deutschland verschärfen die Not von rund 14 Millionen Armutsbetroffenen im Land. Der Protest von vielen hundert Menschen am Wochenende vor dem Kanzleramt lautstark: „Armut ist nicht sexy“ – so der Slogan der Protestierenden. Sie forderten mehr Unterstützung für Menschen mit niedrigen Einkommen in der Energiekrise - wie "Anni": „Uns steht das Wasser nicht mehr bis zum Hals, wir sind mitten im Absaufen. Wir können nicht mehr, wir brauchen Hilfe…“

Der Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Dass da Menschen auf diese Weise Gesicht zeigen, hatten wir noch nie.“ Aus Schneiders Sicht hat sich die gesellschaftliche Stimmung verändert. „Nach meiner Wahrnehmung haben erstmal die Kommentare aufgehört nach dem Motto: Wer noch was zu essen hat, ist nicht arm“, sagte Schneider. „Diese völlige Negierung der Armut, diese Ignoranz, die nehme ich derzeit nicht wahr.“

Aufgerufen zum Protest gegen die Politik der Ampel-Koalition hatten zahlreiche Sozialverbände, unter ihnen der Paritätische Wohlfahrtsverband. Michael Stiefel, Präsident des Vereins „Armutsnetzwerk“, prangert die Verhältnisse in Deutschland an: „Die Gesellschaft spaltet sich sehr stark. Davon sind auch viele Menschen betroffen, die aus anderen Ländern zu uns kommen und teilweise schon sehr lange hier sind. Man hat es in der Pandemie gemerkt: wer in Neukölln mit 5 Leuten nur eine zwei Zimmer Wohnung hat oder jetzt aus der Ukraine oder aus Syrien kommend im Hostel mit fünf Leuten leben muss in einem Zimmer. Das ist Armut, und das ist schäbig in so einem reichen Land.“

Vor dem Bundeskanzleramt zeigten die Demonstrierenden Schilder mit der Aufschrift: „Wir brauchen gesundes Essen. Armut abschaffen.“ oder „Soforthilfe für Arme“. Unter dem Hashtag #ichbinarmutsbetroffen beschreiben Menschen seit Mai im Internet ihr Leben mit sehr wenig Geld und ihre Schwierigkeiten wegen steigender Preise. Erklärtes Ziel sei es, die mit Armut verbundene Scham zu überwinden.

Noch nie hätten so viele Menschen in Deutschland am Existenzminimum gelebt wie heute, beklagte die Kampagnen-Plattform „Campact“. 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen sowie 16 Prozent der Erwachsenen seien Ende 2021 von Armut betroffen gewesen, betonte die Organisation unter Hinweis auf eine Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Experten rechneten damit, dass bis zu 40 Prozent aller Leistungsberechtigten ihren Anspruch aus Angst, Scham oder Unwissenheit nicht geltend machten.

Anstoß für die Bewegung war der Beitrag einer alleinerziehenden Frau aus dem Rheinland auf Twitter im Mai dieses Jahres. Das Hashtag #IchBinArmutsbetroffen wurde danach tausendfach genutzt.

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