Russisches Vermögen für den Wiederaufbau in der Ukraine?

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Von Sandor Zsiros
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Der Weg dorthin sei aber noch lang, meint Sergey Lagodinsky, deutscher Europaabgeordneter der Grünen. Er stellte sich den euronews-Fragen ebenso wie der liberale rumänische Europaabgeordnete Vlad Gheorghe.

euronews: Neun Monate ist es her, dass Russland seinen Einmarsch in die Ukraine begann. Die Antwort der EU auf Moskau war beispiellos. Jetzt fordert das Europäische Parlament neue Schritte. Es bezeichnet Russland als staatlichen Geldgeber des Terrorismus und möchte das eingefrorene russische Vermögen nutzen, um der Ukraine zu helfen. Darüber spreche ich mit Vlad Gheorghe, rumänischer Europaabgeordneter der Liberalen, und Sergey Lagodinsky von den deutschen Grünen. Vlad Gheorghe, was bedeutet es für die Zukunft, dass das Europäische Parlament Russland nun als staatlichen Geldgeber des Terrorismus bezeichnet? Bringt das das Ende des Konflikts näher?

Vlad Gheorghe, rumänischer Europaabgeordneter der Liberalen: Zunächst einmal erkennen wir an, was jeder weiß. Wie nennt man einen Staat, der seine Bevölkerung angreift, der sich über 40 000 Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat und einen Staat, der versucht Zivilpersonen zu töten, indem er sie erfrieren oder verhungern lässt? Wir haben jetzt im Europäischen Parlament gesagt, dass wir das sehen und politisch anerkennen.

Ich sehe den Entschluss vor allem als eine politische Erklärung, als ein wichtiges Zeichen der Solidarität und der Anerkennung, dass sich Russland - und so steht es in dem Entschluss - erstens terroristischen Verhaltens bedient. Und zweitens: Russland stellt eine terroristische Einheit auf.
Sergey Lagodinsky
deutscher Europaabgeordneter, Grüne/EFA

euronews: Herr Lagodinsky, glauben Sie, dass Russland jemals auf die Terrorliste der EU gesetzt wird?

Sergey Lagodinsky, deutscher Europaabgeordneter, Grüne/EFA: Ich glaube, so weit sind wir noch nicht. Ich sehe den Entschluss vor allem als eine politische Erklärung, als ein wichtiges Zeichen der Solidarität und der Anerkennung, dass sich Russland - und so steht es in dem Entschluss - erstens terroristischen Verhaltens bedient. Und zweitens: Russland stellt eine terroristische Einheit auf. Wenn wir zum Beispiel über die Wagner-Einheiten oder Einheiten der so genannten tschetschenischen Armee sprechen, würde ich sagen, dass ihr Verhalten terroristisch ist und dass Russland ein Geldgeber dieser Einheiten ist. So gesehen sind wir auf der sicheren Seite, aber wir haben weder in der Europäischen Union noch auf internationaler Ebene ein Rechtsmittel, um damit umzugehen. Die Vereinigten Staaten sind da eine Ausnahme. Eine der Forderungen in dem Entschluss lautet daher, dass wir versuchen sollten, etwas in dieser Richtung zu entwickeln. Bis wir eine feste Rechtsgrundlage haben, wird es ziemlich schwierig, aus dem, was wir im rechtlichen Bereich tun, tatsächlich Schlussfolgerungen zu ziehen.

euronews: In dem Entschluss wird auch gefordert, dass das eingefrorene russische Vermögen in die Ukraine fließen soll. Wie würde das aussehen?

Gheorghe: Jede Entscheidung muss auf einem Gesetz beruhen, und wir sind gerade dabei, ein solches Gesetz zu verfassen, damit wir in der Lage sind, das russische Vermögen für den Wiederaufbau der Ukraine einzusetzen, denn wir müssen mit dem Wiederaufbau beginnen, bevor der Krieg beendet ist, weil die Menschen das brauchen. Zweitens, um das zurückzuzahlen, was unsere Haushalte bisher unterstützt haben.

euronews: Das ist ein interessanter Punkt: Sie sagten, wir müssen die Rechtsstaatlichkeit achten, denn eine der Säulen der westlichen Zivilisation ist die Achtung des Privat- beziehungsweise des Staatseigentums. Ist das ein Verstoß gegen diesen Grundsatz?

Lagodinsky: Wir sind beide Berichterstatter über das Beschlagnahmen von Vermögenswerten, Privatvermögen von Oligarchen oder Mafiosi in der Europäischen Union, über das wir im Parlament verhandeln werden. Dafür braucht es jemanden, der ein Verbrechen begangen hat, bei dem es eine Verbindung zwischen ihm und den Vermögenswerten gibt und so weiter. Wir versuchen, einen auf Rechtsstaatlichkeit aufbauenden Weg zu diesem Ziel zu finden. Was das Staatsvermögen betrifft, so ist es noch ein weiter Weg bis dorthin. Es gibt eine so genannte Immunität von Staatsvermögen, die vom Völkerrecht anerkannt wird, aber es kann natürlich Ausnahmen geben. Wir sollten mit der internationalen Gemeinschaft darüber sprechen, ob wir hier eine solche Ausnahme haben.

Gheorghe: Das langfristige Ziel lautet, rechtlich Wege zu finden, die russischen Vermögenswerte dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden, um sie in den Wiederaufbau der Ukraine zu stecken. Ein letzter Punkt: Wir haben 40 Milliarden Euro an Privatvermögen und etwa 400 Milliarden an Staatsvermögen. Das ist ein großer Unterschied.

Wir müssen über eine Preisobergrenze für russisches Erdöl und Erdgas nachdenken. Das ist wichtig als Ergänzung zu den Sanktionen.
Vlad Gheorghe
rumänischer Europaabgeordneter der Liberalen

euronews: Das Europäische Parlament fordert neue Sanktionen gegen Russland. Was sollte darin enthalten sein? Meinen Sie, dass es jetzt an der Zeit ist, sie zu verhängen?

Gheorghe: Ja, es ist an der Zeit. Es ist der beste Fingerzeig für alle Diktatoren. Was wir beschlossen haben - dass Russland ein terroristischer Staat ist - richtet sich auch an alle Diktatoren wie Putin: Denken Sie zweimal nach, wenn Sie so etwas tun wollen, denn es gibt außer Putin noch andere Diktatoren, die darüber nachdenken, so etwas zu tun. Und ja, wir müssen mehr Sanktionen verhängen. Wir müssen über eine Preisobergrenze für russisches Erdöl und Erdgas nachdenken. Das ist wichtig als Ergänzung zu den Sanktionen, aber auch sehr wichtig für das Leben der Menschen in Europa, denn Putin führt einen Krieg der Energiepreise, und darauf müssen wir reagieren.

euronews: Wie sollte die Europäische Union die derzeitige Politik gegenüber der Ukraine weiter unterstützen?

Lagodinsky: Es ist eine Frage der Unterstützung zwischen den Mitgliedsstaaten. Wir sind nicht in der Lage, diesen Winter zu überstehen und der Bevölkerung die dringend benötigte gesellschaftliche und geldliche Hilfe zukommen zu lassen, wenn sich die Mitgliedsstaaten nicht gegenseitig helfen. Deshalb meine ich, dass wir nicht umhinkommen werden, uns als Europäische Union stärker zu verschulden, um einen Solidaritätsfonds zu nutzen, der den Mitgliedsstaaten hilft. Wir sind keine Nationalstaaten. Wir geben den Menschen nicht unmittelbar Sozialhilfe. Aber ich meine, dass die Unterstützung der Bevölkerung in Form von gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hilfe für Unternehmen in diesem Winter Vorrang haben sollte. Das ist wichtig, aber unsere Last, so sehr ich sie auch verstehe, ist nicht mit der Last der Menschen in der Ukraine vergleichbar. Sie werden getötet, gefoltert und vergewaltigt. Deshalb sollten wir auch sehen, dass wir immer noch das Privileg haben, in Frieden zu leben, im Gegensatz zu unseren Nachbarn, die angegriffen werden.

euronews: Vlad Gheorghe, dieselbe Frage an Sie.

Gheorghe: Ich werde an Sergey Lagodinskys Antwort anknüpfen. Frieden hat keinen Preis, er ist für alle Menschen einfach notwendig. Wir sind Europäer, wir haben Frieden. Wir wissen den jetzt mehr zu schätzen, weil an unseren Grenzen Krieg herrscht. Natürlich müssen wir mehr für die europäische Bevölkerung tun. Ich bin mir ganz sicher, dass unsere Bevölkerung weiterhin mit vollständiger Solidarität an der Seite der Ukraine steht. Die europäische Bevölkerung, nicht die europäischen Staaten, hat als erstes auf den Krieg geantwortet. Wir als Union sind so stark wie die Verbindung zwischen unseren Staaten. Das ist unsere Stärke, unsere Solidarität und unsere Einigkeit. Wenn wir die verlieren, verlieren wir alles an Putin.

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