Warum Erdogan im Fall eines mit 6 Jahren verheirateten Mädchens unter Druck gerät

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan besucht Mahmut Ustaosmanoğlu, religiöser Führer der İsmail-Ağa-Gemeinde in Istanbul.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan besucht Mahmut Ustaosmanoğlu, religiöser Führer der İsmail-Ağa-Gemeinde in Istanbul. Copyright Anadolu
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Von Alexandra Leistner
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Im Fall eines mit sechs Jahren mit einem Imam zwangsverheirateten Mädchens, das jahrelang missbraucht wurde, gerät auch Präsident Erdogan unter Druck.

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In der Türkei sorgt der Fall einer jungen Frau für Aufsehen, die offenbar im Alter von sechs Jahren mit einem Imam zwangsverheiratet wurde. Ein Strafgericht in Istanbul akzeptierte am Freitag die Anklageschrift wegen Kindesmissbrauchs. 

Angeklagt sind der "Ex-Mann" der heute 24 Jahre alten Frau, die in türkischen Medien "HKG" genannt wird, sowie ihre Eltern. Sie wirft ihrem Vater, Yusuf Ziya Gümüşel, der der als Sekte eingestuften Stiftung Hiranur-Stiftung vorsteht, sie im Jahr 2004 mit einem anderen Mitglied zwangsverheiratet zu haben.

Laut Anklageschrift, die türkischen Medien vorliegt, hatte sich HKG Ende November 2020 an die Staatsanwaltschaft gewendet. Kurz zuvor war die Ehe mit dem sehr viel älteren Mann, der sie jahrelang sexuell und körperlich misshandelte, geschieden worden. 

Ihren Eltern wird laut Anklage zur Last gelegt, die Gewalt gegen die Tochter gebilligt zu haben. Die Staatsanwaltschaft hat für alle Angeklagten mindestens 27 Jahre Gefängnis gefordert.

Die Nachrichtenplattform BirGün hatte den Fall öffentlich gemacht und für viel Empörung in der Öffentlichkeit sowie in der Politik gesorgt. 

Das Ministerium für Familie und Soziales der Türkei ist in dem Fall um Kindesmissbrauch laut einer Stellungnahme Mitkläger. Zahlreiche Politiker haben sich zu dem Fall, der auch auf der Tagesordnung des Parlaments stand, zu Wort gemeldet und unter anderem "die schlimmste Bestrafung" gefordert. 

Özgür Özel, stellvertretender Vorsitzender der oppositionellen Volkspartei (CHP) sagte, der Vorfall hätte die Türkei "erschüttert". 

Für das extreme öffentliche Interesse an dem Fall in der Türkei sorgt, dass die Hiranur Stiftung der İsmail-Ağa-Gemeinde (auch İsmailağa) angehört, die Mitgliedern der türkischen Regierung - darunter Staatschef Recep Tayyip Erdogan - nahesteht.

Was ist über die İsmail-Ağa-Gemeinde bekannt?

Mustafa Kamacı/Anadolu Agency
Erdogan trägt den Sarg des verstorbenen Geistlichen Mahmut Ustaosmanoğlu im Juni 2022.Mustafa Kamacı/Anadolu Agency

Die İsmail-Ağa-Gemeinde ist eine islamische Gemeinschaft, nach der İsmail-Ağa-Moschee benannt, die dem Orden der Nakşibendi nahesteht und Anfang der 1980er Jahre von Mahmut Ustaosmanoğlu gegründet wurde.

Die Gemeinde hat eigenen Angaben zufolge etwa 100.000 Anhänger und ist im Istanbuler Viertel Çarşamba ansässig. In Koranschulen, eigenen Medien und Privatschulen im ganzen Land gibt die Gemeinde ihre Lehre weiter.

Das selbsterklärte Ziel der Gemeinde besteht darin, "der Menschheit das Licht des Islam in seiner hellsten und lebendigsten Form unter der Führung unserer Heiligkeit Mahmud Efendi (Kuddise Sirruhu) in der immer währenden Suche nach Frieden für die Menschheit zu präsentieren".

Im Juni war der religiöse Führer der Gemeinde, Mahmut Ustaosmanoğlu (auch Mahmud Efendi genannt), im Alter von 93 Jahren gestorben. An seiner Beerdigung - von der Frauen ausgeschlossen waren - wohnte Erdogan bei und trug auch den Sarg. Zudem wurde in seinem Namen ein Nachruf in mehreren türkischen Zeitungen veröffentlicht.

Erdogans AKP wird von Oppositionsparteien vorgeworfen, in ihrer Regierungszeit den Einfluss von Tarīqas bzw. sektenähnlichen religiösen Gemeinden, etwa im Bildungssektor, zugelassen zu haben.

Weitere Quellen • Euronews Turkish

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