Kremlkritiker Browder: "Putin, treten Sie zurück, bevor Ihr eigenes Volk Sie dazu zwingt"

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Von Méabh Mc Mahon
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Dürfen eingefrorene russische Vermögenswerte zum Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden? Ja, meint Kremlkritiker und Autor Bill Browder und fordert, die Gesetze dementsprechend anzupassen.

Bill Browder ist Geschäftsmann, Kremlkritiker und der Autor von “Freezing Order”. Bill Browder war im EU-Parlament in Brüssel, um auf der Veranstaltung “Make Russia Pay” zu sprechen – Thema: wie könnte man mit den eingefrorenen russischen Vermögenswerten die Ukraine wiederaufbauen?

Méabh Mc Mahon, Euronews: 

“Sie sind ein amerikanisch-britischer Investor, der auch die weltweite Magnitski-Kampagne anführt. Das ist eine Menschenrechtsbewegung zu Ehren Ihres Freundes und ehemaligen Anwalts Sergej Magnitski, der 2009 im Alter von 37 Jahren ermordet wurde.”

Bill Browder, Autor und Geschäftsmann:

"Ich versuche seit seiner Ermordung vor 13 Jahren, Gerechtigkeit für ihn zu erreichen. Und das hat dazu geführt, dass ich mich auf der ganzen Welt mit Gesetzgebern getroffen habe, um ein Gesetz namens Magnitsky-Act zu verabschieden, mithilfe dessen das Vermögen jener Leute eingefroren und die Visa jener Leute verboten werden, die ihn getötet haben. Der Magnitsky-Act wurde inzwischen in 35 Ländern weltweit verabschiedet, darunter in 27 Ländern der Europäischen Union. Der Magnitsky-Act dient jetzt auch als Vorlage, um Oligarchen und andere Funktionäre des Putin-Regimes auf der ganzen Welt zu bestrafen. Ich hätte mir nie vorstellen können, welche Auswirkungen der Magnitsky-Act haben würde und leider auch nicht, dass er weiter notwendig ist angesichts all dessen, was Putin getan hat.” 

Euronews:

"Ich glaube, die EU hat die Vorlage im Jahr 2020 übernommen. Mit welchem Erfolg?

Browder:

"2012 haben die USA den Magnitsky-Act verabschiedet. Die EU hat weitere acht Jahre dafür gebraucht. In der EU funktioniert nicht alles reibungslos. Sie ist eine Organisation des kleinsten gemeinsamen Nenners, in der sich zum Beispiel Ungarn jahrelang erfolgreich gegen das Gesetz sträubte, so dass diese Hürde nicht genommen werden konnte. Der Magnitsky-ACT wurde zwar schließlich angewandt, aber nicht in dem Maße, wie es sein sollte. Die EU war wieder sehr, sehr konsensorientiert - oder sollte ich sagen, sie ist eine Veto-Organisation, in der ein Land mit einem Veto alles blockieren kann?"

Euronews:

"Amerikaner sind immer wieder erstaunt, wie lange es dauert, bis hier in der Europäischen Union etwas passiert. Wir haben vor kurzem gehört, dass die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, versprochen hat, einen Vorschlag auf den Tisch zu legen, die eingefrorenen Vermögenswerte russischer Oligarchen zu beschlagnahmen und für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden. Aber meine Frage an Sie: Ist das rechtlich überhaupt möglich?" 

Browder:

“Es gibt zwei Arten von Vermögenswerten. Es gibt einerseits das Oligarchenvermögen und andererseits das russische Staatsvermögen, das eingefroren wurde. Das russische Staatsvermögen beläuft sich auf 350 Milliarden Euro.

Und mir scheint, dass es sich bezüglich des russischen Staatsvermögens um eine eindeutige Sache handelt. Hier hat ein Land einen Angriffskrieg, ein Verbrechen begangen. Das ist sehr leicht zu beweisen. Sie brauchen nur Ihren Fernseher einzuschalten. Sie können den Schaden beziffern, den die Russen der Ukraine zugefügt haben, und zwar etwa eine Billion Euro. Und Sie sind im Besitz der 350 Milliarden.

Nun gibt es alle möglichen Bürokraten und andere Leute, die sagen, oh, das kann man nicht machen, und es ist nicht richtig, und die sagen, es verstößt gegen dies oder das. Wir leben in einer Welt, in der wir die Gesetze an die neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Putin hat eine neue Ära von Verbrechen eingeläutet. Und deshalb müssen wir die Gesetze anpassen, damit sie in Kraft treten können.

Wir befinden uns hier in einem gesetzgebenden Gremium, im Europäischen Parlament, und ich war nicht nur hier. Ich war auch schon im britischen Parlament, im US-Kongress, im kanadischen Parlament und so weiter, und in all diesen Institutionen macht man genau das: Gesetze.

Wenn es also rechtliche Mängel gibt, dann denke ich, dass der Schlüssel zur Beseitigung dieser Mängel darin liegt, zu sagen: Okay, lasst uns ein neues Gesetz verabschieden, um diese Lücke zu schließen, damit Putin keine Ukrainer ermorden kann, ohne dafür bezahlen zu müssen." 

Euronews:

"Mit Wladimir Putin, den Sie offensichtlich gut kennen, waren Sie früher sogar befreundet, und dann wurden Sie sein "größter Feind"."

Browder:

"Ich war nie sein Freund. Ich habe Wladimir Putin nie wirklich getroffen. Ganz zu Beginn seiner Präsidentschaft, als er gegen die Oligarchen vorging, waren unsere Interessen deckungsgleich. Dann wurde er selbst zum größten Oligarchen. Und danach wurden wir zu Erzfeinden.

Als ich den Magnitsky-Act verabschiedete, war er so wütend auf mich. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie er mich auf der ganzen Welt mit acht Interpol-Haftbefehlen und Auslieferungsersuchen gejagt hat. Sogar auf dem Gipfel in Helsinki 2018 forderte er Trump auf, mich auszuliefern. Seit dem Magnitsky-Act ist er wirklich besessen von mir." 

Euronews:

"Deshalb können Sie nie wieder einen Fuß nach Russland setzen."

Browder:

"Sie wollen mich unbedingt in Russland haben, weil sie all diese Haftbefehle gegen mich ausgestellt haben. Sie wollen mich nach Russland zurück bringen. Sie wollen mich foltern und töten."

Euronews:

Waren Sie überrascht, als er in die Ukraine einmarschierte?

Browder:

"Ich war tatsächlich überrascht. Nicht davon, dass er die Fähigkeit hat, zu morden oder schrecklichen Schaden anzurichten. Aber ich war überrascht, weil sich Wladimir Putin in einer schwachen Position befindet. Die Wirtschaft des Landes ist angeschlagen. Sie entspricht der des US-Bundesstaates New York. Sein Militärbudget ist so groß wie das des Vereinigten Königreichs, und seine Leute stehlen davon noch etwa 80 Prozent.

Deshalb hätte ich nie gedacht, dass er russische Soldaten für alle sichtbar in die Ukraine schickt. Alles, was er vor der Invasion getan hat, konnte er abstreiten. 2014 schickte er eine Gruppe von Männern ohne offizielle Uniform in die Ukraine und sagte: "Oh, das waren nur Touristen.” Sie gingen nach Salisbury und vergifteten dort ein paar Leute, waren aber angeblich nur dort, um sich Kathedralen anzuschauen. Das war sein Verbrecherstil – aber nicht, in voller Montur des russischen Militärs in ein fremdes Land einzufallen." 

Euronews:

Und wie sieht es hier aus? Wir sind in Brüssel, dem Herzen der Europäischen Union. Der Westen und natürlich die EU haben eine Menge Sanktionen gegen Russland verhängt. Sind diese Ihrer Meinung nach erfolgreich?

Browder:

"Die Sanktionen gegen Russland zeigen Wirkung, aber es gibt viele Orte, an denen Russland bis vor kurzem keine Sanktionen befürchten musste. Bis zum vergangenen Montag haben sie täglich eine Milliarde Euro mit dem Verkauf von Öl und Gas verdient. Es ist also großartig, dass wir die Reserven der Zentralbank und das Vermögen der Oligarchen eingefroren haben.

Wenn sie eine Milliarde Euro am Tag verdienen und eine Milliarde Euro am Tag ausgeben, um Ukrainer zu töten, dann funktioniert das nicht.

Am letzten Montag wurde die Ölpreisobergrenze eingeführt, die regelt, dass niemand von Russland Öl zu einem höheren Preis als 60 Euro pro Barrel kaufen darf. Wer nicht nachweisen kann, dass er sich daran hält, kann seine Schiffsladung nicht versichern. Seit kurzem sind die russischen Ölexporte um 50 Prozent zurückgegangen. Mal sehen, ob das so bleibt."

Euronews:

"Aber nun zu den Oligarchen, den Milliardären. Sie haben diese in der Vergangenheit öffentlich an den Pranger gestellt. Glauben Sie, dass sie durch diese Sanktionen geschädigt werden?" 

Browder:

Auf jeden Fall. Die Oligarchen sind am Ende. Sie sind jetzt eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Sie können nirgendwo auf der Welt ein Bankkonto eröffnen. Sie können nicht reisen. Sie können mit niemandem Geschäfte machen. Früher verbeugte sich jeder Juwelier und jeder Rezeptionist vor ihnen, wollte Geschäfte mit ihnen machen und gab ihnen das Gefühl, die wichtigsten Menschen der Welt zu sein. Jetzt macht man einen großen Bogen um sie.

Euronews:

Und wie sieht es mit der Zukunft Russlands und den künftigen russischen Beziehungen zur Europäischen Union aus?

Browder:

"Ich denke, Wladimir Putin hat die Zukunft Russlands für die nächsten 30 Jahre ruiniert. Dieses Land ist zu einem Pariastaat geworden, einem Terrorstaat.

Zuerst muss der Krieg beendet werden, dann muss es Reparationen und eine demokratische Regierung geben, bevor wir Russland wieder so sehen können wie früher."

Euronews:

"Wie lautet Ihre Botschaft an Putin?"

Browder:

"Treten Sie zurück, bevor der Westen und Ihr eigenes Volk Sie zum Rücktritt zwingen."

Journalist • Andrea Büring

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