Im Fadenkreuz Moskaus: Moldawien kämpft gegen den "russischen Winter"

Im Fadenkreuz Moskaus: Moldawien kämpft gegen den "russischen Winter"
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Von Hans von der BrelieSabine Sans
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Damit es warm bleibt, verhandelt Moldawien mit West und Ost. Der Preis: Die Abhängigkeit von Russland bleibt erst einmal.

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Moskau versucht, Moldawien zu destabilisieren und setzt dafür Energie, Geld und Geheimagenten als Waffe ein. Der russische Konzern Gazprom spielt mit dem Gashahn und infolge der halbierten Liefermengen gibt es auch Probleme mit der Stromversorgung. Die Menschen fürchten Kälte und Dunkelheit, die Wirtschaft Blackouts und Produktionsausfälle. Als pro-russisch eingestufte Gruppen und Oppositionsparteien organisieren seit September Massenproteste in der Hauptstadt, ein Teil der mit Bussen aus der Provinz herbei transportierten Menschen werden für das Demonstrieren offenbar bezahlt, die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eingeleitet – und unser Reporter Hans von der Brelie hat mit allen Beteiligten vor Ort gesprochen.

Was ist los in Moldawien?

Was ist denn da nur wieder los in Moldawien? Banale Frage, die ich mir in meinen Reporter-MoJo-Rucksack oben auf die Kamera-Ausrüstung gepackt habe, doch in Moldawien, dem kleinen Land zwischen Ukraine und Rumänien, ist selten etwas banal – und oft alles kompliziert. Sehr kompliziert… oder vielleicht doch nicht? Kaum angekommen in der Hauptstadt, stecke ich mit Maxim am Steuer im Stau. Menschenmassen wälzen sich Richtung Stadtzentrum, ein Sternmarsch, perfekt organisiert, viele Dutzende Schilder mit Ortsnamen, manche in kyrillischen Buchstaben. Lautes Gebrüll: Wir wollen keine Diktatur! Weg mit der Regierung! Neuwahlen!

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Hans von der Brelie filmt Proteste in Moldawieneuronews

Zusammen mit Übersetzerin Valentina lasse ich Maxim im Verkehrschaos zurück, mische mich unter die Menge, laufe mit. Ein Mann mit Flüstertüte gibt den Takt vor, die Sprechchöre der Marschierenden übernehmen die Slogans. Einige der Demo-Gruppen – nicht alle – sind umhüllt von einer Alkohol-Geruchsblase. Mir fällt auf: Hier demonstrieren überwiegend ältere Menschen. Ein Aufstand der Rentner aus der Provinz? Wieso bezeichnen sie die demokratisch gewählte Regierung Moldawiens als "Diktatur"? Hängt das mit der pro-europäischen Einstellung der Präsidentin zusammen, mit dem EU-Mitgliedsantrag, den Moldawien gleichzeitig mit der Ukraine in Brüssel eingereicht hat?  

Sind diese Demonstranten von Moskau manipuliert?

Die Frage stellt sich: Sind diese Menschen hier von Moskau manipuliert? Oder treibt sie wirklich die blanke Not auf die Straße? Oder vielleicht beides? Strippenzieher der Proteste ist die von pro-russischen Strohleuten infiltrierte Șor-Partei. Moldawien ist eines der ärmsten Länder Europas – und abhängig von Erdgas aus Russland. Die von Putins Krieg (im Nachbarland Ukraine) und von Gazproms Lieferengpässen befeuerte Inflation treibt sehr arme Menschen in existentielle Notlagen, was sich politisch leicht instrumentalisieren lässt. Die Wut lässt sich lenken – und sie lässt sich umlenken, weg von den eigentlichen Verursachern der Misere - Putin, Krieg, Energienot – hin zu Sündenböcken, ein Mechanismus alt wie die Bibel.

Ich tausche einige Worte mit Gregore, einem älteren Herrn mit Kappe: "Wir protestieren wegen der Preise, wegen der Gasrechnung, der Stromrechnung und so weiter", meint er bitter. In Galinas Gesicht blitzen empörte Augen und mehrere Goldzähne: "Der Winter kommt, wir haben kalt, wir haben nichts zum Heizen", zählt die gut gekleidete Dame auf. Nina, eine altrosa Wollmütze auf dem betagten Haupt, wird konkreter: "Ich komme aus Bălți und habe immer noch kein Holz fürs Heizen. Fünfmal habe ich schon gefragt, aber das Holz liegt beim Zoll an der Grenze. Für Erdgas muss ich 350 Lei im Monat zahlen, für Strom 325 Lei, was bleibt mir denn da noch zum Leben? Meine Rente liegt gerade mal bei 2745 Lei." Ähnliches ist von Ludmilla zu hören: "Ich habe 46 Jahre lang gearbeitet, jetzt kann ich die Rechnungen nicht mehr bezahlen", sagt sie in scharfem Tonfall, rückt dann ihr weinrotes Käppchen zurecht. Alla, weiße Mütze, stimmt ein: "Und ich habe 41 Jahre gearbeitet – und jetzt muss ich überall die Hand aufhalten." Alexander, mit Schiebermütze, ergreift ebenfalls das Wort: "Wie kann man denn mit einer Rente von 1500 Lei leben?" Violeta, Silberblick und Kapuze mit Kunstpelzrand, will ebenfalls mit mir reden: "Der Winter steht vor der Tür und wir wissen nicht, was wird. Wir wissen nicht, was wir unseren Kindern anziehen sollen, wir haben keine warmen Schuhe, wir wissen nicht, wie wir heizen sollen, was da für Rechnungen auf uns zukommen. Die Preise steigen täglich. Wie kommen wir durch den Winter?"

Vielen Menschen, die hier auf der Straße stehen, in der Kälte, glaube ich. Es geht ihnen erkennbar schlecht. Sie haben glaubhaft Angst vor der Zukunft. Es geht um Mini-Renten. Es geht um Geld und kalte Wohnungen. Zwar gehen, wie bei derartigen Demos üblich, die Zahlen der Teilnehmer je nach interessierter Schätzung weit auseinander, die Veranstalter – die euroskeptische Șor-Partei – sprechen von mehreren Zehntausend Demonstrierenden, die Polizei von einigen Tausenden. Ich selber bin schlecht im Schätzen, zugegeben, aber es steht außer Frage: Hier ist ganz schön was los, die Zahl der Teilnehmer ist hoch. Hinzu kommt: Das hier ist kein Einmal-Event. Die Demonstrationen begannen bereits September, finden fast jede Woche statt. Nur: Warum demonstrieren die Menschen gegen eine Regierung, die Milliarden-Hilfen aus Europa und den USA organisiert? Warum protestieren sie nicht gegen Russland und den Gazprom-Konzern, der die Gaslieferungen kappt?

Inszenierte Proteste?

Moldawiens oberste Korruptionsermittlerin, Veronica Dragalin, kennt ein paar Fakten und Ermittlungsergebnisse, die mich wirklich zum Staunen bringen. "Verfügen Sie über Informationen, dass diese Proteste möglicherweise inszeniert sind, dass sie manipuliert werden?", frage ich Dragalin. "Wir haben Beweise gefunden, sehr große Bargeldsummen", antwortet die junge, dynamische Top-Ermittlerin ohne zu zögern. Es geht um 20 schwarze Taschen voller Bargeld!

Korruptions-Staatsanwältin Dragalin: "Unsere Beamten und Staatsanwälte haben einige Verhaftungen vorgenommen. Sie konnten Leute festsetzen, die mitten in der Nacht mit sehr großen Bargeldsummen quer durchs Land gefahren sind, Bargeld, das sie an die Protestteilnehmer verteilt haben, die in die Hauptstadt kommen. Und wir haben bei dieser Art Demonstrationen Leute festgenommen, die Gegenstände mit sich führten, die als Waffen eingestuft werden können."

Ich hake nach: "Aber gibt es denn da nicht doch einen Zweifel? Ich habe bei einer der Demonstrationen mit einigen der Teilnehmer geredet, die Menschen dort sagen, es ist unser gutes Recht zu demonstrieren, wir leben in einer Demokratie. Aber Sie sagen: Hier schlummert das Risiko der Gewalt. Gibt es Belege dafür?" Dragalins Antwort: "Sicher, die Menschen haben das Recht auf Protest. Was wir untersuchen, sind die kriminellen Elemente. Wir führen eine Sonderermittlung, die uns erlaubt, mehr über die Pläne dieser diversen organisierten Aktivitäten zu wissen. Polizei, Staatsanwaltschaft und Fahnder arbeiten Hand in Hand, um zu verhindern, dass es zu einer Eskalation Richtung Gewalt kommt. Und bislang ist uns das ganz gut gelungen. Aber es ist natürlich schon eine gefährliche Situation, wenn große Geldmengen unbekannter Herkunft ins Land gebracht werden, vielleicht von kriminellen Organisationen oder ausländischen Staaten, mit der gezielten Absicht, eine Atmosphäre der Destabilisierung aufzubauen." Dragalin weiter im Interview: "Die Menschen werden mit Bussen in die Hauptstadt gebracht. Sie bekommen Geld gezahlt. Sicher, sie dürfen demonstrieren, aber was wir untersuchen ist die Aufstachelung zu Gewalt und damit einhergehend illegale Parteienfinanzierung. Alle politischen Parteien müssen das Gesetz respektieren und die Regeln zur Parteienfinanzierung beachten."

Dunkle Geldquellen

Um es auf den Punkt zu bringen, stelle ich dann doch noch eine sehr direkte Frage an Moldawiens Top-Staatsanwältin in Sachen Korruption und Undercover-Ermittlungen: "Destabilisiert der russische Geheimdienst gerade ihr Land?", will ich wissen. Veronica Dragalins Antwort in perfektem Englisch: "Es sind Informationen bekannt, die nahelegen, dass einige politische Parteien in Moldawien von Personen finanziert wurden, die Verbindungen zu den russischen Geheimdiensten haben. Wir untersuchen das. Ich kann beim derzeitigen Stand der laufenden Ermittlungen aber nicht näher hierauf eingehen."

Letzte Nachfrage meinerseits: "Und was ist mit der Șor-Partei, die die Proteste organisiert, gibt es hier Verbindungen zu Moskau?" Auch auf diese Frage gibt Dragalin eine direkte Antwort: "Wir untersuchen insbesondere, ob diese Partei, die Șor-Partei, in kriminelle Machenschaften, in illegale Parteienfinanzierung verwickelt ist. Um es noch genauer zu sagen: Wir untersuchen, ob diese Partei bewusst finanzielle Unterstützung von einer Gruppe des organisierten Verbrechens annimmt. Als Staatsanwältin kann ich Ihnen meine Meinung sagen, dass, wenn es um legitime Finanzierung von legalen Parteiaktivitäten gehen würde, diese nicht mitten in der Nacht durchgeführt werden würde, mit Unmengen von Bargeld und dem Versuch, den Ermittlern zu entkommen." Und, abschließend, zum Thema der bezahlten Demonstranten: "Wenn Menschen protestieren, weil sie dafür bezahlt werden, dann ist das ein Marker dafür, dass jemand die Verletzlichkeit und Verzweiflung dieser Menschen ausnutzt."

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"Orheiland", der von Ilan Șor gestifteten Vergnügungsparkeuronews

Der Mann Moskaus für Moldawien?

Um der Sache auf den Grund zu gehen, beschließe ich nach Orhei zu fahren, die Stadt unweit der Grenze zur Ukraine gilt als Hochburg der Șor-Partei. Bezirkspräsident Dinu Țurcanu, ein Vertrauter des Parteigründers Ilan Șor, hat eingewilligt, mich zu treffen. Doch vor dem Gespräch möchte Țurcanu mir "Orheiland" zeigen – den von Ilan Șor gestifteten Vergnügungspark, einen der wenigen überregionalen Touristenmagneten Moldawiens, der jedes Jahr Familien aus ganz Moldawien anzieht. Orhei ist so etwas wie die "Vorzeigestadt" der Partei, um zu belegen: Wir können das, wir tun was, mit uns geht es vorwärts. Orheiland allerdings steht still, kein Karussell dreht sich, logisch, bei den irrwitzigen Energiepreisen…

Ilan Șor selbst ist auf der Flucht, es geht um das Verschwinden von einer Milliarde Dollar, "der Bankraub des Jahrhunderts", wie es hier in Moldawien in den Medien heißt. Bankraub jetzt nicht im Sinne von Maske auf und Pistole raus, sondern Bankraub im Sinne von: Ui, da fehlt ja auf einmal eine Milliarde Dollar in den Bilanzen! Viel Geld, quasi verloren gegangen! Sowas Dummes aber auch! (falls Ironie hier angebracht ist) – dummerweise ließ sich das Geld auch nach intensiver Suche nicht wiederfinden. Es ist weg. Und Ilan Șor auch.

Der Oligarch wurde in erster Instanz verurteilt, hält sich in Israel auf und steuert von dort aus seine Partei in Moldawien. Zu den Straßenprotesten in der Hauptstadt Moldawiens lässt er sich gerne mal per Video-Call zuschalten, hält kurz eine Ansprache auf Russisch, die Menschen jubeln ihm zu. Berichte lokaler Investigativmedien, aber auch die USA sehen in Ilan Șor den "Mann Moskaus für Moldawien". Er steht auf der Sanktionsliste der Vereinigten Staaten von Amerika.

Euroskeptiker fordern Neuwahlen

"Bislang hat sich noch niemand die Mühe gemacht, von den westeuropäischen Medien, mit uns direkt zu reden", meint Șor-Vertreter Dinu Țurcanu, der mich in Orhei mit ausgesuchter Höflichkeit empfängt. Er gilt als einer der Mit-Organisatoren der Proteste in der Hauptstadt. Grund zu guter Laune dürfte er derzeit keine haben: Soeben durchsuchten Fahnder auch seine Wohnung. Er wird verdächtigt, Massen-Unruhen zu planen. Hat Moskau seine Hand im Spiel? Unlängst kamen Berater aus Russland, unter Geheimhaltung, es gibt Anzeichen dafür, dass sie vom russischen Geheimdienst geschickt wurden. Provokant gefragt: Wird hier ein Umsturz geplant?

Nach dem winterlichen Spaziergang durch den Orheiland-Vergnügungsparkt schließt Țurcanu sein Büro in der Bezirksverwaltung auf. Wir lassen uns auf ein längeres Interview ein. Ich beschließe, das Gespräch mit einer offenen Frage zu eröffnen: "Warum gehen Ihre Anhänger auf die Straße? Was ist Ihre Hauptforderung?"

Țurcanu: "Unsere Hauptforderung ist der Rücktritt der Regierung und vorgezogene Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Wir wollen eine komplette Neuausrichtung des politischen Systems."

Euronews: "Warum bestehen Sie auf vorgezogenen Neuwahlen?"

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Țurcanu: "Weil die derzeitige Regierung unfähig ist und keine Zukunftsvision hat."

Euronews: "Was ist der Bezug zur derzeitigen Energiekrise?"

Țurcanu: "Es sollte bessere und mehr Ausgleichszahlungen aus dem Staatsbudget geben, die hundert Prozent des Preisanstiegs abdecken. (…) Es geht nicht, dass ein Lehrer 80 Prozent seines Gehaltes für allgemeine Lebenshaltungskosten ausgeben muss, hierfür muss die Regierung eine Lösung finden, die Wirtschaft ankurbeln, die Beziehungen zu unseren früheren Absatzmärkten wiederherstellen, insbesondere zu Russland. Und Europa sollte seinen Markt für moldawische Produkte öffnen."

Euronews: "Die heutige Krise hängt direkt damit zusammen, dass Gazprom die Gaslieferungen reduziert hat. Haben Sie enge Beziehungen zu Gazprom, um das rückgängig zu machen?"

Țurcanu: "Große Länder mache große Politik, kleine Länder machen schlaue Politik! Eingedenk unserer geografischen Lage ist es wichtig, dass wir keine Gesprächs-Brücken sprengen, wir brauchen gute Beziehungen zu allen Nachbarn, auch zu Russland. Wir müssen mit allen reden und so alle Probleme bezüglich Gas und Energie lösen."

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Parteidelegation zum Besuch in der russischen Duma

Ich beschließe, meinen Fragen etwas mehr Durchschlagskraft zu geben, es mal auf die ganz direkte Tour zu probieren. Vielleicht lässt sich Țurcanu damit aus der Reserve holen. Jetzt geht es ans Eingemachte:

Euronews: "Warum schickt Ihre Partei Abgeordnete des Parlaments nach Moskau, während Moskau Raketen in ein Nachbarland schickt und dort Menschen tötet? Warum tun Sie das?"

Țurcanu: "Wir verurteilen klar den Krieg gegen die Ukraine! So wie auch jeden anderen Krieg, egal, wo er sich abspielt. Gleichzeitig könnte die Republik Moldawien eine historische Rolle in dieser Situation spielen. Die Kommunikation, einschließlich derjenigen unserer Partei mit den Repräsentanten der Russischen Föderation, ist ein kontinuierlicher Prozess. Unser Land sollte einen derartigen Dialog mit allen Nachbarn führen. Die Kommunikation zwischen den Völkern, zwischen den Eliten sollte nicht gesprengt werden. Sie muss aufrechterhalten werden, um Stabilität und Frieden herzustellen."

Șor-Partei dementiert Verbindungen zum russischen Geheimdienst

Euronews: "Unlängst kamen Berater aus Russland, um Ihre Partei zu beraten, die Strategie Ihrer Partei. Es scheint, dass diese Berater enge Verbindungen zum russischen Geheimdienst haben. Wird Ihre Partei vom russischen Geheimdienst beeinflusst?"

Țurcanu: "Die Șor-Partei ist eine Partei, die die Interessen der Republik Moldawien vertritt und wird ausschließlich von seinen Mitgliedern und seinen Wählern beeinflusst. Wir waren und sind nicht von Spezial- oder Geheimagenten infiltriert. Es ist gut, dass Sie diese Frage gestellt haben, denn das europäische Establishment bekommt lediglich einseitige Informationen durch die Propaganda der derzeitigen Regierung."

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Langsam wird mein Gesprächspartner doch etwas nervös, immer wieder fasst er mit dem Finger an sein Gesicht, reibt sich mal die Augenbraue, dann wieder die Lider. Aber man muss ihm zugutehalten, dass er das Interview nicht abbricht. Der Mann steht Rede und Antwort, das muss man ihm lassen.

20 schwarze Taschen voller Bargeld

Euronews: "Es wurden 20 schwarze Taschen voll mit Geld gefunden, (umgerechnet etwa) 200.000 Euro Bargeld! Woher kommt das Geld, wofür ist es gedacht?"

Țurcanu: "Ok, kommen wir zu der pikantesten Angelegenheit, zum Geld. Der Präsident unserer Partei hat niemals verheimlicht, dass er einer der reichsten Männer Moldawiens ist, wenn nicht sogar der reichste Mann Moldawiens. Und er hat das Recht, seine Partei zu finanzieren, das ist konform mit dem Gesetz, ihm gehört das Geld ganz legal. Und Ilan Șor hat öffentlich gesagt, dass dieses (beschlagnahmte) Geld dazu hätte dienen sollen, bestimmte Ausgaben der Partei und der Leute, die demonstrieren gingen, abzudecken. Daran ist nichts Illegales. (Das Geld ist) für das Essen, für Wasser, für die Mahlzeiten (der Demonstranten). Aber wir bezahlen die Demonstranten nicht, sie kommen aus eigenem Antrieb."

Euronews: "(Befreundete) Geheimdienste fingen offenbar Gespräche ab, aus denen hervorgeht, dass zweistellige Millionenbeträge über vom Kreml gesteuerte Netzwerke hin zu mehreren Parteien in Moldawien geleitet wurden, auch zu Ihrer Partei. Besteht das Risiko, dass Sie sich abhängig machen von einer ausländischen Macht?"

Țurcanu: "Es ist wichtig, dass Sie verstehen, dass die Republik Moldawien nicht nur in direkter Nachbarschaft mit einem echten Krieg lebt, sondern dass hier auch ein Informationskrieg tobt. Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass die politische Partei Șor von der Russischen Föderation finanziert wird. Das, was derzeit hier abläuft, bringt uns zu einer Form klassischer Diktatur, sogar noch schlimmer: Das wandelt sich zu einer Gedanken-Diktatur."

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Gearbeitet wird trotz Eiseskälteeuronews

Wie wird Moldawien unabhängiger von Energie aus Russland?

Ich mache mich auf die Fahrt in die Stromzentrale Moldawiens, nahe der Hauptstadt, ein Kraftwerk, Bauarbeiter, einiges los heute – trotz Winterkälte. Halbierte Gaslieferungen aus Moskau und von Russland zerbombte Kraftwerke im Nachbarland Ukraine führten zu mehreren Blackouts in Moldawien. Jetzt wird erneut darüber nachgedacht – und daran gearbeitet – das Land unabhängiger von Energie aus Russland zu machen.

Das Problem: Das einzige Großkraftwerk liegt in der von pro-russischen Kräften kontrollierten Separatistenregion Transnistrien, dort wird russisches Gas verstromt. Die Elektrizität wird dann von dort ins gesamtmoldawische Stromnetz eingespeist.

Eine neue Alternativ-Gasröhre aus Rumänien macht Moldawien etwas unabhängiger von Russland. Und sie funktioniert tatsächlich. Es hört sich ungewöhnlich an, aber es stimmt: Es ist technisch möglich, Erdgas von Westen nach Osten zu pumpen. Das Problem ist nicht unbedingt die technische Kapazität – sondern, wen wundert es, der Preis.

Und neue Hochspannungsleitungen aus dem Westen könnten ebenfalls helfen. Zwei Super-Powerverbindungen sind in Planung – bereits seit einigen Jahren übrigens. Es geht um die Stromtrassen von Vulcanesti in die Hauptstadt Moldawiens und um eine zweite Verbindung, von Suceava (in Rumänien) nach Balti (in Moldawien). Ich stelle mir – und später dem für Infrastruktur zuständigen Minister Moldawiens – die Frage, warum die so lange diskutierten Hochspannungsleitungen aus der EU nach Moldawien nicht bereits gebaut und in Betrieb sind. Langjährige "Sabotage durch Lokalpolitiker" habe die Verwirklichung des Projekts verzögert, bekomme ich zu hören. Jetzt bräuchte man die Extra-Leitungen dringend – doch fertig sind sie wohl erst 2025.

Notabschaltungen

Als es nach der Bombardierung der Kraftwerke in der Ukraine vorübergehend auch in Moldawien dunkel wurde, konnte trotzdem Rumänien kurzfristig einspringen und Elektrizität liefern. Das klappte erstaunlich schnell und erstaunlich gut. Zwischenzeitlich bezog Moldawien 100 Prozent seines Stroms aus dem westlichen Nachbarland. Nur: Eine Dauerlösung sind die Einkäufe auf dem (teuren) Spotmarkt nicht. Der Manager an der Spitze des moldawischen Stromversorgers Moldelectrica, Sergiu Aparatu, erklärt mir, warum: "Jetzt kommt der Strom hauptsächlich aus Rumänien, und der Preis ist für die Menschen bei uns fast unerschwinglich. Der wichtigste Rat an die Bevölkerung: Verbraucht weniger Energie!"

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Warum haben sich denn die Angriffe auf ukrainische Kraftwerke so stark auf das moldawische Stromnetz ausgewirkt, will ich noch von Aparatu wissen. "Das ist wie der Blutkreislauf in einem menschlichen Organismus", bemüht sich der oberste Strommanager Moldawiens um einen anschaulichen Vergleich. "Wenn jemand ein Bein verliert, dann verliert der gesamte Organismus Blut und der Druck im Kreislauf sinkt rasch. So ähnlich ist das auch bei uns (und den Leitungen zwischen der Ukraine und Moldawien), wenn im Nachbarland plötzlich die Spannung sinkt, dann kommt es auch bei uns zu automatischen Notabschaltungen."

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Ion Ignat, Ingenieur und Fabrikmanagereuronews

Die Energiekrise hat brutale Auswirkungen. Das sieht man etliche Kilometer weiter in der Meteor-Fabrik. Die stellt zwar keine Meteoriten her, dafür aber mit viel Energie (Vorsicht: hoher Erdgasverbrauch!) Baumaterialien, Zement, Betonblöcke und alles, was dazugehört. Es empfängt mich ein gesetzter Herr mit Ballonmütze und wachem Blick: Ion Ignat. Es ist erstaunlich still auf dem Gelände, über das mich der Ingenieur und Fabrikmanager führt. Meteor ist sein Werk, alles hier hat er selbst erdacht, entworfen, erbaut. Jetzt musste Ignat seine Fabrik vorübergehend stilllegen. Das tut ganz schön weh, und das merkt man dem Mann an.

Seit 30 Jahren produziert Ignat mit billigem Russen-Gas Bau-Material. Einen fünffach höheren Gaspreis könne er noch verkraften, vertraut er mir an. Aber siebenfach? Nein! Da bleibt nur noch: Maschinen stopp!

"Gazprom hat in mehreren Schritten die Gaslieferungen reduziert. Wer ist verantwortlich für die Situation, in der Sie sich heute befinden?", frage ich Ignat. Seine Hand am Rad einer der unzähligen Leitungen auf dem Fabrikgelände antwortet der Meteor-Besitzer ohne Umschweife: "Wir empfinden das als Erpressung. Knapp und klar. - Wir haben hier 50 Arbeiter. Aber die Hälfte von ihnen muss nun zu Hause bleiben." – Na ja, aber wer ist denn nun verantwortlich für Ihre Probleme, hake ich nach. Ignat: "Hauptgrund ist die bewaffnete Invasion Russlands in dem souveränen, unabhängigen Staat der Ukraine."

Zurück in der Hauptstadt Chişinău habe ich eine Verabredung mit dem stellvertretenden Regierungschef, Andrei Spînu. Im Infrastruktur-Ministerium, das er leitet, erwartet mich eine Überraschung:

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Es ist stockdunkel, eine vom Minister selbst angeordnete Energiesparmaßnahme. Moldawien muss auf jeden Lichtstrahl achten, sozusagen, und die Regierung macht mit beim Sparen. Fürs Euronews-Interview knipst Andrei Spînu dann doch das Licht für einige Minuten an.

"Wer ist verantwortlich für die heutige Krise in Moldawien?", lautet auch hier meine Frage.

Andrei Spînu nimmt kein Blatt vor den Mund: "Das Problem ist, dass (die russische Firma) Gazprom von einem Tag auf den anderen entschieden hat, das Volumen der Gaslieferungen zu drosseln."

Euronews: "Und was tun Sie nun? Wie können Sie Ihre Energie-Abhängigkeit in den kommenden zwei bis drei Jahren verringern?"

Andrei Spînu: "Das ist ganz einfach. Wir müssen vertrauenswürdigere Partner finden, sowohl für Gas als auch für Elektrizität. Wir müssen diversifizieren. Und das tun wir derzeit. Wir kaufen Gas auf dem internationalen Markt. Und wir haben über einen Monat lang unseren Strom aus Rumänien bezogen. Darüber hinaus laufen noch eine ganze Reihe weiterer Diskussionen."

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Euronews: "Konkret, welche Alternativen gibt es beim Erdgas?"

Andrei Spînu: "Im internationalen Tagesgeschäft bekommen wir jeden Tag die unterschiedlichsten Angebote diverser Firmen. Doch wenn wir über langfristige bilaterale Lieferverträge sprechen, so käme Rumänien infrage, es könnteAserbaidschan__sein oder Flüssiggas aus den USA, das über Flüssiggasterminals in Griechenland, Polen oder Litauen angelandet werden könnte. Es käme auch Norwegen infrage, es gibt eine Menge Möglichkeiten und ich bin zuversichtlich, dass wir vertrauenswürdigere Langzeitverträge werden abschließen können."

Euronews: "Wenn es um Infrastruktur geht, um Energie, um Strom, um Erdgas: Gibt es in diesen Bereichen so etwas wie russische Einflussnahme auf Moldawien?"

Andrei Spînu: "Das liegt auf der Hand. Noch vor eineinhalb Jahren war Moldawien vollständig von einer einzigen Quelle abhängig, vermutlich als einziges Land auf der Welt in einer derartigen Lage, und zwar sowohl bei Erdgas als auch bei Strom, nämlich von Gazprom. Die Elektrizität wurde bislang ausschließlich aus russischem Gas erzeugt, die Fernwärme basiert auf russischem Gas… Wenn Sie zurückblicken auf die vergangenen 30 Jahre, seitdem wir unabhängig sind, dann ist es eigentlich unfassbar, wie es die jeweiligen Politiker geradezu sträflich vernachlässigt haben, für Diversifizierung zu sorgen und die dafür notwendige Infrastruktur zu errichten."

Entmachtete Oligarchen könnten Regime-Wechsel anstreben

Euronews: "Seit September gibt es hier Straßenproteste, die Leute rufen: keine Diktatur! Das ist auf Ihre Regierung gemünzt. Und die Demonstranten fordern Neuwahlen. Wer protestiert dort?"

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Andrei Spînu: "Nun, es ist das Volk. Aber die eigentliche Frage ist doch: Wer steckt hinter den Protesten, wer organisiert sie? Und auch hier ist die Antwort einfach: Es sind die aus der Macht verdrängten Oligarchen, einige haben das Land verlassen. Es kursiert Schwarzgeld. Die Proteste werden von den entmachteten Oligarchen finanziert. Sie bezahlen Menschen dafür, dass sie auf die Straße gehen. Und wir müssen ebenfalls mit in Betracht ziehen, dass diese Oligarchen von ausländischen Staaten unterstützt werden, die einen Regimewechsel in unserem Land anstreben."

Euronews: "Zurück zur Energieversorgung. Der Winter steht vor der Tür! Was tun Sie, damit die Bevölkerung heil durch die kalte Jahreszeit kommt?"

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Andrei Spînu stellt sich dem Euronews-Intervieweuronews

Andrei Spînu: "Wir errichten Gaslagerstätten. Wir haben bereits Lagerkapazität von 200 Millionen Kubikmetern. Das ist ausreichend für zwei Monate. Sollte Gazprom auf die Idee kommen, den Gasfluss auf Null zu drehen, dann haben wir zwei Monate Erdgas auf Lager. – Dann gibt es Einsparmöglichkeiten, etwa bei der Fernwärmeversorgung in der Hauptstadt. Und landesweit laufen Kampagnen, um die Bevölkerung zum Energiesparen anzuhalten."

Euronews: "Wie wird das Geld verwendet, das die Europäische Union bereitstellt? Kommt das Geld der Bevölkerung zugute? Und wie?"

Andrei Spînu: "Wir haben diesen Hilfsfonds zum Abbau sozialer Benachteiligungen eingerichtet, der ist mit 250 Millionen Euro gefüllt. Damit ermöglichen wir den Leuten, ihren Gas- und Stromverbrauch, ihre Heizrechnung zu bezahlen."

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Ohne die EU wäre Moldawien bald pleite

Ein Großteil des Geldes kommt von der Europäischen Union. Dass es auch bei den Leuten vor Ort landet, dafür sorgt Dorfbürgermeister Leonid Zalevschi. Er hilft bei der Antragstellung für Heizkostenzuschüsse, kümmert sich um Brennholzlieferungen. Zalevschi ist gewissermaßen ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen, ein Organisator, der anpackt und auch mal mit Lust und Kraft die Axt schwingt. - Ohne Europas Hilfe wäre Moldawien pleite, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Und ohne Heizkostenzuschuss käme hier kaum jemand unbeschadet durch den Winter.

Leonid Zalevschi, der Bürgermeister von Todiresti, zeigt uns den Weg. Maxim steuert den Wagen über ungeteerte Dorfstraßen. Hier und dort liegt ein Brennholzstapel am Wegesrand, auf den Zalevschi stolz zeigt. Noch im Auto stellt er seinen Redefluss auf Maximalgeschwindigkeit. Das Wesentliche: "Sozial schwache Familien bekommen Hilfe. Vor (der Krise) galten etwa 20 Prozent der Bevölkerung als sozial schwach, jetzt gilt das für fast jeden von uns. - Wir zahlen den Preis der Freiheit, in der wir leben wollen."

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Der Dorfbürgermeister (li.) sorgt dafür, dass das EU-Geld bei den Menschen ankommteuronews

"So, da vorne links abbiegen, dann hältst Du beim dritten Haus auf der linken Seite", unterbricht der Dorfbürgermeister seine Erklärungen. Als wir aus dem Auto klettern, hören wir harte Axtschläge auf Holz. Iurie Beschier ist fünffacher Vater. Vor einem Jahr ließ er sein Haus an das Gasnetz anschließen, eine Neuerung, auf die die Familie sich lange gefreut hatte. Dann explodierten die Gas-Preise – weshalb Iurie jetzt doch wieder Holz hackt. Statt mit Gas heizt er erneut mit Holz – bezuschusst vom Staat und der Europäischen Union. Für die Zuteilung sorgt hier vor Ort das Bürgermeisteramt.

Nach einer Begrüßung mit Handschlag fragt Zalevschi: "Hier haben wir jetzt drei Festmeter Holz, für November, Dezember und Januar. Reicht Dir das, drei Festmeter, bis Ende Januar?" – Iurie Beschier ist noch nicht ganz überzeugt: "Ich denke, das reicht nicht. Das Haus ist groß – ich habe fast hundert Quadratmeter zu heizen." Also lässt sich Bürgermeister Beschier erweichen, noch einmal zwei Festmeter obendrauf zu versprechen. Plus den guten Rat als Zugabe: "Wir müssen halt den Gürtel enger schnallen."

Die Beschier-Söhne helfen beim Stapeln der Holzscheite, im Garten scharren einige Hühner, Iurie schaut noch mal kurz nach frischen Eiern, dann gehen wir in die geräumige Küche. Es ist warm, gut geheizt, bei den Beschiers. Denn sie haben ein Nesthäkchen, ein Baby, mit großen Augen macht es gerade eben seine allerersten Gehversuche, noch etwas wackelig auf den Beinen. Alle haben gute Laune, die Freude über den Neuzugang steht allen Familienmitgliedern ins Gesicht geschrieben. Während Ludmila das Essen zubereitet, verabschiedet sich eine der älteren Töchter, sie hilft in der Ortskirche mit.

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Die vielköpfige Familie hat ein großes Herz und einen Sinn für Nachbarschaftshilfe, sie kümmern sich um eine alleinstehende ältere Frau nebenan. Zum Kochen verwendet die Familie Gas. Die Regierung hat ein System eingeführt, mit dem einkommensschwache Haushalte in den Genuss von verbilligter Energie kommen. Den Gaspreisdeckel zahlt zum Teil die EU – eine Geste der Solidarität mit dem Nachbarn im Osten.

"Die Lage ist schwierig, ich habe derzeit weniger Arbeit", erzählt Iurie Beschier. "Und von dem, was ich verdiene, geht ungefähr die Hälfte für Rechnungen drauf, Gas, Wasser und so weiter." Iurie verdient sein Auskommen mit Autowaschen – harte Arbeit für wenig Geld. Da schlägt die Geldentwertung voll durch! Mit 34 Prozent hat Moldawien die höchste Inflation Europas. Iuries Ehefrau Ludmila zählt auf: "Medikamente, Speiseöl, Mehl, Fleisch – alles wird teurer. Auch Strom." Dann holt sie ein paar Rechnungen hervor: "Im März haben wir für den Strom 308 Lei (also etwa 15 Euro) bezahlt und im Oktober 2022 waren es dann auf einmal 750 Lei (umgerechnet 37 Euro). Das ist mehr als das Doppelte im Vergleich zu den Vormonaten."

Um völlig unabhängig von Energielieferungen aus dem Osten zu werden bräuchte Moldawien Zeit – und die steht heute, in der aktuellen Krisenlage, nicht unbegrenzt zur Verfügung. Deshalb hat die Regierung nun erneut einen Stromvertrag mit den Separatisten in Transnistrien geschlossen. Der Preis: Die Teil-Abhängigkeit von Russland bleibt erst einmal.

Weitere Quellen • Fixer: Valentina Iusuphodjaev; Übersetzer: Valentina Iusuphodjaev, Eugenia Tarlev Pitel; Videoschnitt: Stéphane Petit; Grafiken: Matthieu Michaillat; Ton: Thibaud Pick; Produktion: Louise Lehec; Produktionsleitung: Sophie Claudet

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