Tarkowski und Nurejew ruhen dort: Übersteht der "russische Friedhof" bei Paris den Ukraine-Krieg?

Gräber auf dem "russischen Friedhof" (2008)
Gräber auf dem "russischen Friedhof" (2008) Copyright PIERRE VERDY/AFP
Von Euronews mit AFP/LE Monde/Le Figaro
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Bei den Franzosen eher unbekannt, ist der Friedhof für Russen eine wichtige Erinnerungsstätte. Doch die Gräber zum Teil bedeutender Persönlichkeiten verfallen - seit dem Ukraine-Krieg noch mehr.

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Welche Zukunft für den "russischen Friedhof" von Sainte-Geneviève-des-Bois? Um die Begräbnisstätte ist ein emotionaler Streit zwischen der französischen Gemeinde 20 km südlich von Paris und Moskau entbrannt.

Der "Cimetière de Liers" beherbergt mehr als 5.200 orthodoxe Gräber, deren Instandhaltung prinzipiell zu 70% von Moskau finanziert wird. Doch als Folge des Krieges in der Ukraine - so der Vorwurf - wird der russische Friedhof, einer der größten außerhalb Russlands, nicht mehr von den örtlichen Behörden gepflegt.

"Konzession abgelaufen": Ein Friedhof im Dornröschenschlaf

Die Stadt dürfe kein Geld mehr vom Kreml annehmen, heißt es auf französischer Seite, Transaktionen mit der russischen Zentralbank seien verboten. Konsequenz: Eine große Anzahl von Gräbern auf dem Friedhof "verfällt zusehends" und "verwahrlost", das räumt auch die Stadtverwaltung ein.

Ein Blick über die mit Efeu überwucherten Grabsteine und orthodoxen Kreuze zeigt, dass der Verfall nicht erst von gestern stammt. Der russische Teil des kommunalen Friedhofs, der 62 % der Gesamtfläche einnimmt, wirkt wie vergessen, im Dornröschenschlaf, ein Wald, in dem kaum noch jemand spazieren geht.

Auf vielen Grabsteinen sind kleine Schilder angebracht mit der Aufschrift "Konzession abgelaufen". Um das Geld für die Instandhaltung wurde schon in Vergangenheit gerungen.

2005 unterzeichneten Moskau und Sainte-Geneviève-des-Bois ein Partnerschaftsabkommen, in dem sich der russische Staat bereit erklärte, die Instandhaltungskosten von Gräbern zu übernehmen, für die es keine Nachkommen mehr gibt. Dem Geschichtsverein "Les Amis de l'histoire de Sainte-Geneviève-des-Bois" zufolge seien seit 2005 2 Millionen Euro von der Russischen Föderation an die Stadt gezahlt worden. Offenbar nicht genug.

Keines der Gräber soll aufgelöst werden, sagt die Stadt

"2018 wurden auf Initiative des Russischen Hauses der Wissenschaft und Kultur Kontakte aufgenommen, um ihre Sanierung in die Wege leiten zu können", erklärt die Stadtverwaltung. Aufgrund der Covid-19-Krise und des Konflikts in der Ukraine sei das Verfahren leider nicht fortgesetzt worden. Aber: "Auch wenn sie auf Eis gelegt wurden, war die Nachhaltigkeit des Projekts zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt."

Die Zahlung der Konzessionserneuerung für das Jahr 2022 wurde "vorübergehend aufgeschoben", so die Stadtverwaltung, die hinzufügt, dass sie "die Instandhaltung und Sanierung der öffentlichen Bereiche des Gemeindefriedhofs" weiterhin gut gewährleisten werde.

Und: Man habe keinesfalls vor, eines der Gräber auf dem russischen Friedhof auflösen zu wollen. Die Stadt "wird weiterhin handeln, um dieses wichtige internationale Erbe zu erhalten", hieß es in einer der französischen Nachrichtenagentur AFP übermittelten Erklärung.

Politische Spiele in hässlicher Form

Nach einem alarmierenden Bericht der französischen Tageszeitung Le Monde hatte Moskau die Stadt beschuldigt, dass orthodoxe Gräber im Zusammenhang mit dem Konflikt in der Ukraine vernachlässigt würden. Und die russische Botschaft in Frankreich erklärte, es sei "absolut inakzeptabel, dass politische Spiele im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise eine so hässliche Form annehmen".

Die Auflösung einer Grabstätte durch die Gemeinde hat zur Folge, dass die sterblichen Überreste in das kommunale Beinhaus überführt werden.

Bei den Franzosen eher unbekannt, ist der Friedhof für Russen eine wichtige Erinnerungsstätte. Vor dem Angriff auf die Ukraine machten viele russische Touristen einen Abstecher nach Sainte-Geneviève-des-Bois. Der Friedhof beherbergt die Gräber bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts, wie des Literaturnobelpreisträgers Iwan Bunin, des Filmemachers Andrej Tarkowski und des Tänzers und Choreografen Rudolf Nurejew.

PIERRE VERDY/AFP
Das geschmückte Grab Nurejews (2008)PIERRE VERDY/AFP
ALAIN JULIEN/AFP
Orthodoxe Prozession auf dem Friedhof (2006)ALAIN JULIEN/AFP

Wladimir Putin legte Blumen auf Nurejews Grab

Im November 2000 stattete der noch junge Kremlchef Wladimir Putin der Nekropole einen Privatbesuch ab - als ein "wichtiges Symbol" und ein Beispiel für die "russische Versöhnung". Und legte zur großen Überraschung vieler Blumen auf das Grab von Nurejew.

Der Friedhof entstand 1927, unmittelbar nach der ersten russischen Einwanderungswelle nach Frankreich (1919-1921), quasi als letzte Ruhestätte der Dissidenz. Am Ende des Zweiten Weltkriegs und in den Jahren 1970-1980 sollten zwei weitere Einwanderungswellen nach Frankreich folgen - und sich der Friedhof zusehens füllen.

In den gut 5220 Gräbern sind rund 15.000 Personen beigesetzt. Heutzutage finden aus Platzgründen keine weiteren Beerdigungen mehr statt.

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