Plenković: Warum in der Ostukraine der kroatische Weg hätte genutzt werden sollen

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Von Foteini Doulgkeri
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Der kroatische Ministerpräsident äußert sich gegenüber euronews über den Beitritt seines Landes zum Euro- und zum Schengen-Raum. Er schätzt die Lage in der Ukraine ein und sagt, weshalb er guter Dinge bezüglich des Westbalkans ist.

euronews: Am 1. Januar hat Kroatien den Euro eingeführt, wurde das 20. Mitglied des Euroraums sowie das 27. Mitglied des Schengen-Raums. Darüber spreche ich mit dem kroatischen Ministerpräsidenten Andrej Plenković.

Herr Ministerpräsident, herzlich willkommen und vielen Dank für Ihren Besuch. Beginnen wir das Gespräch mit diesem Meilenstein in der Geschichte Ihres Landes, dem Beitritt zum Euroraum und zum Schengen-Raum. Zunächst einmal: Wie läuft der Übergang für die Regierung und vor allem für die Bevölkerung?

Wir sind bisher das einzige Land, das am selben Tag sowohl dem Euroraum als auch dem Schengen-Raum beigetreten ist
Andrej Plenković
Ministerpräsident Kroatiens

Andrej Plenković: Der 1. Januar 2023 war ein geschichtsträchtiger Augenblick. Wir sind bisher das einzige Land, das am selben Tag sowohl dem Euroraum als auch dem Schengen-Raum beigetreten ist. Der Übergang, also alles was aus technischer Sicht im Verantwortungsbereich des Staates lag, verlief gut. Es gab keine Schwierigkeiten. Die Geldautomaten funktionierten. Es gab genügend Euro-Münzen und -Banknoten. Der Ablauf bei Zahlungsüberweisungen lief einwandfrei. Die ersten zwei Wochen der gleichzeitigen Gültigkeit von kroatischen Kuna und Euro verliefen ohne Schwierigkeiten. Seit Sonntag verwenden wir nur noch Euro. Das war alles in Ordnung. Der einzige Vorfall war, dass einige Gewerbetreibende ihre Preise im Zusammenhang mit der Aufrundung der Preise von Kuna auf Euro erhöht haben, was nicht angemessen war. Es werden jetzt die verschiedenen Überprüfungen durchgeführt, die sich mit diesen Schwierigkeiten befassen. Wir als Regierung versuchen, sie davon zu überzeugen, die Preise wieder auf den Stand von Ende Dezember 2022 zurückzusetzen.

euronews: Ist das die größte Sorge der Bevölkerung beim Beitritt zum Euroraum, dass die Preise steigen werden, besonders jetzt, wo wir die Krise der Lebenshaltungskosten haben? Ergreifen Sie also bereits besondere Maßnahmen?

Plenković: Natürlich haben wir in Kroatien, wie alle anderen auf dem europäischen Kontinent auch, mit den Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine zu tun, mit den Folgen der Energie- und der Lebensmittelkrise und dem Inflationsdruck. Die Tatsache, dass Kroatiens sechsjähriger Weg zum Beitritt in den Euroraum mit dem veränderten weltweiten Zusammenhang zusammenfiel, hatte auch Einfluss auf den Anstieg der Preise in Kroatien, auf die Inflation. Nach Angaben unseres Statistikamtes liegt die Inflation im Jahr 2022 bei 10,8 Prozent, was nur 1 Prozent über dem Durchschnitt des Euroraumes liegt, aber niedriger ist als in allen Ländern der EU, die zu Mittel- und Osteuropa gehören und nicht den Euro haben. Wir glauben, dass sich das beruhigen wird, dass die Dinge wieder zur Normalität zurückkehren werden. Wir haben Maßnahmen ergriffen und als Regierung gehandelt. Ich habe im Laufe des Jahres 2022 ein Paket von 3,6 Milliarden Euro für unsere Bevölkerung und unsere Wirtschaft geschnürt, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren und gesellschaftliche Brüche zu vermeiden. Wenn wir als Staat alles getan haben, was wir konnten, ist es nur angemessen, dass sich alle Beteiligten, einschließlich einiger Gewerbetreibender - ich betone, einige, nicht alle - angemessen verhalten sollten.

euronews: Kommen wir zum Grund für die Krise. Europa, die Vereinigten Staaten, die internationale Gemeinschaft im Allgemeinen, haben Sanktionen gegen Russland verhängt, um die Finanzierung des Krieges einzuschränken. Aber Präsident Selenskyj sagt, das reiche nicht aus. Glauben Sie, dass Europa genug tut?

Wir waren Anfang der neunziger Jahre Opfer einer Aggression, aber das Ausmaß dieses militärischen Vorgehens gegen die Ukraine ist weitaus größer
Andrej Plenković
Ministerpräsident Kroatiens

Plenković: Ich muss sagen, dass die Lage mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, die nun seit fast elf Monaten andauert, beispiellos auf dem europäischen Kontinent ist. Wir waren Anfang der neunziger Jahre Opfer einer Aggression, aber das Ausmaß dieses militärischen Vorgehens gegen die Ukraine ist weitaus größer: Die Folgen für die Menschen, die getötet wurden, die flüchten mussten, die erheblichen Sachschäden und die Folgen für ganz Europa. Als eine der Führungskräfte innerhalb des Europäischen Rates habe ich das Gefühl, dass wir noch nie eine solche Einigkeit der Europäischen Union, eine solche Entschlossenheit, eine so klare und deutliche Verurteilung Russlands und ein solches Ausmaß an Solidarität mit der Ukraine hatten, nicht nur politisch, nicht nur diplomatisch, wirtschaftlich, finanziell, in humanitärer Hinsicht, sondern auch in militärischer Hinsicht.

euronews: Wie wird dieser Krieg enden?

Plenković: Wie jeder Konflikt wird er diplomatisch enden. Aber das Wichtigste ist, dass wir die Ukraine dabei unterstützen, ihre Gebiete zurückzugewinnen, ihre Eigenständigkeit zu bewahren und die verfassungsmäßige Ordnung zu erhalten. Das wird im heldenhaften Kampf des ukrainischen Volkes, seines Militärs und seiner Führungskräfte, die sich entschieden haben, zu bleiben und bei ihrem Volk zu sein, letztendlich den Sieg ausmachen.

euronews: Da Sie den Krieg in Ihrem Land vor 30 Jahren erwähnt haben: Gibt es Lehren, die für die Lage in der Ukraine jetzt gelten und nützlich sein könnten?

Plenković: Ich habe mich in den vergangenen acht Jahren eingesetzt: Seit dem Geschehen im Jahr 2014, seit der Besetzung der Krim, den unrechtmäßigen Volksabstimmungen, der Einverleibung der Krim und allem, was im Raum Donezk und Luhansk geschehen ist. Zu dieser Zeit war ich Mitglied des Europäischen Parlaments und Leiter der Abordnung für die Ukraine. Gerade hatten wir den 25. Jahrestag der friedlichen - ich betone es insbesondere für die russischen Medien - der friedlichen Wiedereingliederung der ehemals besetzten Gebiete Ostslawoniens durch diplomatische Vermittlung, durch die Einbeziehung der Vereinten Nationen, die dafür sorgten, dass alle dort lebenden Menschen bleiben konnten. Die Bemühungen, Kroatiens Einheit und seine verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen, waren erfolgreich. Das war dieser herausragende Vorgang vor 25 Jahren. Ich meine, dass es sich um eine Vorlage handelt, die auch auf Donezk und Luhansk hätte angewendet werden können und sollen.

euronews: Sprechen wir zum Abschluss noch über den Balkan - eine Region, in der es in letzter Zeit starke Spannungen gab: In Bosnien, wo es eine große kroatische Gemeinde gibt. Und es gibt Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo. Glauben Sie, dass es in dieser Region zu einer Destabilisierung kommen könnte?

Die Europäische Union hat sich auf höchster Ebene noch nie so sehr für den westlichen Balkan eingesetzt wie im Jahr 2022
Andrej Plenković
Ministerpräsident Kroatiens

Plenković: Nein. Die Europäische Union hat sich auf höchster Ebene noch nie so sehr für den westlichen Balkan eingesetzt wie im Jahr 2022. Alle meine Kollegen haben verstanden, dass wir uns mehr einsetzen, mit den Führungskräften sprechen und die Vorgänge beeinflussen müssen. Das geschieht jetzt. Zweitens: Serbien und Montenegro verhandeln. Schließlich haben Nordmazedonien und Albanien die Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Bosnien und Herzegowina wurde der Kandidatenstatus zuerkannt, und das Kosovo hat einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt. Die Länder der Region müssen die Spannungen abbauen, die Fragen der Funktionsfähigkeit des Staates und der Demokratie angehen und darüber hinaus die Spannungen abbauen, die in der Vergangenheit die Ursache für Auseinandersetzungen und auch den Einsatz des Militärs waren. Ich meine, dass es bei einem so starken Einsatz der europäischen Partner in den EU-Stellen nicht zu einem Zwischenfall kommen wird, der zu einer Destabilisierung führen könnte. Aber wir müssen vorsichtig sein, uns weiterhin einbringen, und alle Führungskräfte sollten Verantwortung übernehmen. Denn je mehr Länder beständig sind und funktionieren, desto schneller wird ihr Weg in die Europäische Union führen.

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